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Die Heranbildung unserer Mittelsdiullehrer

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Auf dem Archiv- und Historikertag im September 1949 wurde in einem Referat: „Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht“ beklagt, daß der zukünftige Mittelschulprofessor für Geschichte auf der Universität zwar zu exakter wissenschaftlicher Arbeit an den Quellen angeleitet und geradezu zum Spezialisten auf einem engen Forschungsgebiet erzogen werde, nicht aber Gelegenheit finde, sich jenen stofflichen Überblick über die Weltgeschichte zu erwerben, über den er dann an seiner Schule als gesicherten Besitz würde verfügen müssen.

Im Vordergrund der Mittelschuldiskussion steht zur Zeit das Schicksal der Mittelschule selbst, der „Mittelschule“ in des Wortes alter, österreichischer Bedeutung, Aber nicht minder wichtig als das Problem der zeitgemäßen Mittelschulorganisation ist das der richtigen Studienorganisation für die Lehrkräfte. Die „Kläglichkeit“ der Mittelschule, wie sie jetzt ist, der Anschein von „Verfall“, den sie zuweilen bietet (ein anderer Anschein als der der Primitivität der Unterrichtsweise, der ihr von früher her anhaftet), geht nicht nur auf die „Notlage“ zurück, die wirtschaftliche, moralische, weltanschauliche unseres Landes und unserer Zeit, oder auf den zähen Kampf, den entgegengesetzte Weltanschauungs- und Erziehungstendenzen im Innern der Schule führen, sondern auch auf wesentliche Mängel in der Ausbildung ihrer Lehrkräfte.

Als Ergebnis der Beratungen, die darüber im Bundesministerium für Unterricht in den letzten Jahren gepflogen wurden, brachte nun Ministerialrat Doktor J. L e h r 1 eine umfassende Abhandlung heraus: „Das Lehramt an Mittelschulen. Gedanken zu einer Studienreform .“

Lehrl ist darin der Sprecher seines Ministeriums, aber er spricht zugleich aus dem eigenen Herzen, aus der eigenen pädagogischen Erfahrung, die in sehr reformbewegten und politisch wilden Jahrzehnten herangereift ist, aus dem eigenen Kulturerlebnis und Kulturbedürfnis. Und er spricht offen und nicht autoritativ. Er erwägt und läßt erwägen, sieht nach rechts und nach links und auch zurück, würdigt Gegenmeinungen, nimmt Einwände vorweg und führt seine Ideen trotz allen Exkursen, die er sich leistet, sicher ihrem Ziele zu.

Die Schule ist ihm nicht isoliertes Sachgebiet, sondern Organ des geistigen Lebens, und „Bildung“ heißt ihm schließlich Vertrautheit mit den „Urfragen nach des Menschen letzter Bestimmung, dem Sinn der Geschichte, der rechten Ordnung der Gesellschaft“. Er stellt an den Erzieher hohe Forderungen: Nicht nur durchschauen können, müsse dieser die gärenden Ideen seiner Zeit, das heißt jetzt den Konflikt der beiden „Ideen vom Menschen“, der humanistisch-individualistischen und der sozialistisch-kollektivistischen, er müsse „Kulturvermittler“ auch in dem Sinne sein, daß er für die richtige Entscheidung eintrete, selbst also an der Zukunft mitbaue, selbst das „Weltbild schaffe (!), in dem die Ideen seiner Zeit ihm und seinen Schülern sichtbar werden“ — mit dem Ziel, jenen „sozialen Humanismus“ zu verwirklichen, dem Person und Freiheit ebenso hoch gelte wie die gerechte Ordnung der Gesellschaft.

Der Ministerialrat wagt dabei manches tapfere Wort: Die Schule ist ihm trotz allen, was behauptet wird, „vorerst eine Lehr- und Lernanstalt“; er spricht aber auch von „unredlichen Lehrplänen“ und „unerfüllbaren Bildungszielen“. Er spricht dem wissenschaftlichen Fachstudium das Wort: „ ... Der künftige Lehrer soll in' seinem Fache nicht nur nicht weniger ausgebildet werden, sondern im Gegenteil besser, gründlicher, wissenschaftlicher“! und anerkennt zugleich die „anscheinend so regellose Art“ des Studiums an der philosophischen Fakultät und die „Freiheit des Lernens“. Er verhehlt sich und seinen Lesern die Grenzen des gegenwärtigen Mittelschulstudiums nicht: nie wieder würde die Mittelschule, noch dazu für alle ihre Fächer, „die günstigen Voraussetzungen schaffen, die das gute Gymnasium von 1918 den Studierenden der Geisteswissenschaften, besonders den klassischen Sprachen, geboten habe“. Jene Worte von „Kläglichkeit“, „Verfall“ und „Notlage“ stammen ja aus seiner Abhandlung. Er stellt fest, „daß Wir in einem Lande wohnen, in dessen Schulwesen der Staat die anderen Erziehungsträger der Gesellschaft weit in den Hintergrund gedrängt hat“. Er ist geneigt, dem Wort des Psychoanalytikers zuzustimmen, „daß die Pädagogik noch heute dort stehe, wo die Medizin in den Tagen des Paracelsus stand“.

Die Vorbereitung des künftigen Mittelschullehrers auf seine Lehrtätigkeit war ja nun tatsächlich seit langem etwas im argen, seit der Entfaltung nämlich der modernen Unterrichtsprinzipien und -techniken. Die alte Maxime, der gut durchgebildete Fachmann werde auch ein guter Lehrer sein, das Pädagogische Verstehe sich sozusagen auch von selbst (wie das Moralische)i und wo es nicht als Naturgabe vorhanden sei, sei ohnehin Hopfen und Malz verloren, hat keinen Klang mehr. Die Forderungen nach einer gründlicheren pädagogischen Schulung des Mittelschullehrers werden immer entschiedener. Auch innerhalb der Mittelschullehrerschaft selbst regen sich Stimmen dafür. Vergleiche die Artikel von Dr. E. Christel und J. Kraft in der jungen Zeitschrift „Der österreichische Mittelschullehrer“ (Wien, März 1949 und Jänner 1950).

Nicht, als ob es früher an „Instruktionen“ (sehr wohlbedachten) und an „Handbüchern“ (sehr umfangreichen) der „Didaktik“ gefehlt hätte oder dann an Diskussionen unter den Mittelschullehrern selbst und an aktueller (auch revolutionärer) Literatur.

Alle diese Maßnahmen sind jedoch nur Ansätze. Sie zeigen das Bedürfnis nach einer gründlichen Studienreform, sind das aber noch nicht selbst. Sie haben auch keinen Rückhalt in den Gesetzen. Die Forderungen nun, zu denen die Betrachtungen von Ministerialrat Lehrl hinführen, sind im wesentlichen die folgenden:

Zehn Semester Studienzeit (die Prüfungen inbegriffen). In den ersten vier Semestern Vorlesungen, Proseminare und Repetitorien zur Erwerbung einer Übersicht über den Stoff der gewählten Fächer; daneben Vorlesungen über allgemeine und pädagogische Psychologie. In den folgenden sechs Semestern einerseits das „Fachstudium“ nach den Forschungsmethoden der Wissenschaft, andererseits das „pädagogische Studium“, und zwar: Übungen in pädagogischer Psychologie bei Aufenthalten in Schulen, Volksbildungsanstalten, Ferienlagern und dergleichen; Vorlesungen über „pädagogische Führungslehre“, auch diese verbunden mit Schulversuchen; schließlich Vorlesungen über „Theorie der Erziehung“, „Erziehungs- und Schulrecht“. Prüfungen: Nach dem ersten Studienabschnitt, als erste Staatsprüfung, die sogenannte „Zwischenprüfung“ über den Wissensstoff- der Fächer. Am Schluß des zweiten Studienabschnitts, als zweite Staatsprüfung, die fachliche Lehramtsprüfung wie bisher und dazu eine mündliche pädagogische Prüfung.

Der Sinn der Forderungen und die Eignung gerade dieser Gliederung des Studienganges werden in der Abhandlung gründlich diskutiert. Die Vorschläge scheinen vernünftig zu sein und alles Wesentliche zu umfassen. Es haben sich auch die maßgebenden Stimmen darauf schon so ziemlich geeinigt. In den psychologischen wie in den pädagogischen Vorlesungen und Übungen soll gewiß auch die pathologische und psychiatrische Seite berücksichtigt werden.

Eine Sorge freilich (von der um eine standesgemäßere Entlohnung abgesehen), eine sehr ernste, für die gesellschaftliche Ordnung vielleicht die ernsteste Sorge ist durch solche Studienreformen freilich nicht behoben: Die Sorge, wie die vielen auf den hohen Schulen herangebildeten, und, nehmen wir an, für ihren Beruf immer besser vorbereiteten jungen Menschen nun auch eine ihrer Ausbildung entsprechende Verwendung finden sollen. Die richtige Verteilung der Jugend, schon von den 14jährigen, schon von den 11jährigen Buben und Mädeln an, auf die Bahnen, die sie zu ihren Lebensstellungen führen, das heißt die richtige und wirkungsvolle Berufslenkung ohne diktatorischen Zwang, die richtige Berufsauslese zur rechten Zeit ohne Parteilichkeit und ohne Härte, aber auch ohne falsche Sentimentalität, das sind zur Zeit fast dringlichere Probleme in jedem freiheitlich-demokratischen Staat als die richtige Berufsausbildung. Der Bestand der freien Demokratie hängt zwar nicht nur, hängt aber auch ab von der Bewältigung der Arbeitslosennot. Und wie weit entfernt sind wir von dieser Bewältigung!

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