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Die Höhere Schule in USA.

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Wer nicht durch eigene Anschauung mit amerikanischer Erziehung vertraut ist, kann sich nur schwer ein richtiges Bild von ihr machen. Allzu verschieden sind hier und drüben Ausgangspunkte, Organisation und Ziele. Vergleiche sind meist ungerecht und fallen zuungunsten des amerikanischen Hochschulstudenten aus'. Man vergleicht ihn, wenn man hört, daß er dieser oder jener „Universität“ angehört, ohne Bedenken mit einem fortgeschrittenen Studenten der Wiener Universität. Dabei weiß man nicht, daß es drüben fast unzählige kleine Privat-Colleges gibt, die kaum Mittelschulbildung in unserem Sinn vermitteln, ferner daß der Name „U n i v e r s i-tät“ nicht geschützt ist und daß daher jedermann eine solche nach seinen eigenen Ideen eröffnen kann. Sie wird vielleicht sogar Zuspruch haben, wenn sich ihr Gründer auf Reklame versteht. Man' weiß auch nicht, daß man jeden Studenten zuerst fragen müßte, ob er ein „Undergraduate“ sei — und vor allem, welcher Universität er angehöre.

Um sich gegen gutgläubigen Mißbrauch und absichtliche Irreführung durch akademische Formen und Namen zu schützen, haben sich die alten, angesehenen und ausgezeichneten Höheren Schulen der Vereinigten Staaten in Organisationen zusammengeschlossen. Sie haben strenge Standards des Wissens und Könnens aufgestellt und gewähren einander Einblick in ihren Studienplan — ihr „Curriculum“ — und in ihre Unterrichtstätigkeit. Wenn irgendeine Schule in die Zahl der führenden aufgenommen werden oder ihre Studenten nach Abschluß der Studien dorthin abgeben will, muß sie sich einer ständigen Kontrolle ihrer wissenschaftlichen Anforderungen an die Studierenden unterwerfen. Abgesehen von der Vielfalt der Anstalten und ihrem verschiedenen Wert, macht der Aufbau der amerikanischen Erziehung an sich einen Vergleich mit europäischen Maßen schwierig.

Nach der Elementarschule gibt es eine „H igh-School“ von vier Jahren (in letzter Zeit auch sechs Jahren, durch Hinzuziehung von zwei Volksschuljahren). Diese High-School (etwa 14. bis 18. Lebensjahr) ist eine Einheitsschule mit weitgehender Wahlfreiheit in den Fächern. Es gibt also drüben gar kein Gymnasium, keine Realschule, die man mit unseren Mittelschulen vergleichen könnte. Und dann erst das vierjährige „College“ nach Ende der High-School. Hiefür fehlt uns überhaupt jede Vergleichsmöglichkeit. Es ist bloß der Versuch eines Ausweges aus praktischen Gründen, wenn man gewöhnlich die ersten zwei Collegejahre zu unserer Mittelschule rechnet und die zwei letzten vier österreichischen Universitätssemestern“ gleichstellt. Soviel sei vorausgeschickt. Nun zu den der Höheren Schule in Amerika, dem „C o 11 e g e“ und der „U n i v e r s i t ä t“. Nach dem Ende der High-School — mit etwa 17 bis 18 Jahren — kann der amerikanische Student und die Studentin in ein College eintreten. Es mag für sich allein als ein „Liberal Arts College“ bestehen oder einer größeren Universität als deren Unterstufe eingegliedert sein. Im Osten erfolgt der Eintritt auf Grund von Eintrittsprüfungen für jene Studenten, die nicht von vornherein angenommen sind, weil sie Absolventen bestimmter , erstklassiger Mittelschulen sind, mit denen Vereinbarungen getroffen sind.

Für die „College Entrance Examinations“ wird alljährlich gegen den Sommer zu ein ungeheurer Apparat aufgeboten. Ein Heer von vielen Hunderten von Prüfern übernimmt sie nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Punktesystem. Jede Arbeit trägt nur eine Nummer, keinen Namen.

Keiner der Beurteiler weiß, wessen Arbeit er in Händen hat, und kein Prüfling erfährt je, wer sein Prüfender war. So trachtet man für Gleichmäßigkeit in der Beurteilung und absolute Gerechtigkeit zu sorgen.

Das College, in das der erfolgreiche Kandidat eintritt, umfaßt, wie erwähnt, vier Jahre und dient in erster Linie dem Abschluß einer Allgemeinbildung. Jedoch wird in den zwei oberen Jahrgängen durch Wahl besonderer Fächer das künftige Berf sstudinm vorbereitet. Neben allgemein verbindlichen Fächern wird auch im College, wie schon früher in der High-School, den Neigungen des einzelnen ein weiter Spielraum gewälirt.

Für jedes College ist charakteristisch, daß sein Wert, von der Allgemeinbildung abgesehen, im Gemeinschaftserlebnis ruht. Die Studenten wohnen in einer der vielen „Fraternitie s“, die Mädchen in „S o r o r i t i e s“ oder in einem dem College gehörenden „Dormitory“. Schon äußerlich bietet ein amerikanisches College einen erfreulichen Anblick. Es liegt in Parkanlagen und besteht aus mehreren oder — bei den reichen Anstalten sehr zahlreichen Einzelhäusern für Lehr- und Wohnzwecke, Administration und Sport. Das Ganze heißt „C a m p u s“. So hat jedes College seinen Campus, auf dem sich das geistige und gesellige Leben der Studenten abspielt, der in Liedern besungen wird und dem jeder ewige Treue schwört — und sie auch hält.

Jeder Amerikaner liebt seine Schule über alles. Noch im späteren Leben bezeichnet er sich mit Stolz als Angehöriger seines College und legt darauf mehr Wert, als auf die Verbindung mit der Universität, die er etwa nachher zum Fachstudium besucht.

Neben den Colleges für männliche Jugend gibt es auch hervorragendeFrauen-Colleges und andere, die „coeducational“ heißen und beiden Geschlechtern zugänglich sind. Die „freshmen“, wie man die Studenten des ersten Jahrganges nennt, sind allen möglichen Neckereien seitens der älteren ausgesetzt. An mandien Schulen müssen sie zum Beispiel Kappen in bestimmten Farben tragen. Gibt es wenig Mädchen in einem coeducational College, bedeutet es ein Vergehen, wenn sich ein freshman auf dem Campus mit einer Studentin auch nur in ein Gespräch einläßt. Er hat dafür von Seiten der Juniors und Seniors Strafen hinzunehmen, die darauf ausgehen, ihn vor dem Mädchen lächerlich zu machen.

Eine große Bedeutung kommt den „Alumni“ zu, den ehemaligen Angehörigen des College, die in einer Organisation zusammengefaßt sind. Sie gehen für ihre Alma mater durchs Feuer. Ins Amerikanische übersetzt heißt das, daß sie sich jederzeit zu finanziellen Opfern bereitfinden. Von ihrer Anhänglichkeit und Freigebigkeit hängt meist der Wohlstand des College — bei ärmeren sogar die Existenz ab.

Das amerikanische College ist eine ausgezeichnete, ja einzigartige Bildungsstätte, um die die Welt Amerika beneiden sollte, statt auf sie herabzublicken.

Freilich läßt sich nicht leugnen, daß es neben den erfreulichen Seiten des Collegelebens auch Schattenseiten gibt. Oft spielt der Fußballsport eine große Rolle, nicht nur, weil Jugend und Lehrerschaft ihn lieben, sondern weil vom Sieg des College die Gebefreudigkeit der alumni abhängt und der Erfolg das moralische Prestige der Anstalt erhöht, also neue Studenten bringt. Einige angesehene Colleges haben übrigens — eine in Amerika unerhört revolutionäre Tat — ihren Studenten den Fußballsport untersagt.

Wenn von der Zeit, die der Sport übrigläßt, noch ein beträchtlicher Teil für Theater, Musik, Kunst und gesellige Veranstaltungen gefordert wird, bedeutet auch dies eine Beeinträchtigung des Studiums, das allein die angestrebte allgemeine Bildung schaffen kann.

Frühzeitige Gewöhnung und oft auch Nötigung, Geld zu verdienen, lenken auch vom Studium ab. Es gibt viele Studenten, die ihr Studium nur durch gleidizei-tige Verrichtung manueller Arbeit ermöglichen. — Eine Differenzierung der Arbeit wie in Europa gibt es hiebei nicht. — Der Begriff akademische Würde ist dem Amerikaner fremd, jede Arbeit wird als ehrenhaft betrachtet.

Auf eigenen Füßen zu stehen und nicht von fremdem Geld zu leben, ist allein maßgebend. So erhalten sich viele Studenten durch ihre Tätigkeit in drug Stores, als Kellner, Hauswarte, Liftboys, Agenten, Musiker, Gärtner oder Heizer. So anerkennenswert das Bestreben ist, sich selbst während der Collegejahre zu erhalten, erschwert es doch die geistige Konzentration. Es geht Zeit für das Studium verloren und auch d;e körperliche Anstrengung wirkt sich ungünstig aus.

Der verschwenderische Luxus-der reichen Colleges andererseits ist auch eine Gefahr, denn geistiges Gut will in harter Mühe errungen sein. Schwimmt man in Überfluß — an Material, Büchern und Bequemlichkeit —, hört die Lust zu geistiger Anstrengung auf.

Das vom College Gesagte gilt auch für die amerikanische Universität,an der das eigentliche Fachstudium nach Erlangung des Bachelor Grades (B. A. oder B. S.) begonnen wird. Übrigens haben auch alle Universitäten ihr College, dessen Hörer, wie eingangs erwähnt, „Undergraduates“ heißen und nach Ablegung der vier Jahre „Graduates“ werden. Auch jede Universität liegt auf einem Campus, am Rande der Stadt, in schönen Parkanlagen mit viel Rasen, auf dem die einzelnen Gebäude verstreut liegen. Jeder Staat unterhält seine Staatsuniversität. Manche von ihnen haben eine große Hörerzahl, wenn man alle Inskribierten mitrechnet.

Die der Zahl nach größte — 30.000 Hörer —, auch eine der besten und sicherlich eine der schönstgelegenen und reichsten, ist die Staatsuniversität von Kalifornien in Berkeley, einem Villenvorort von San Franzisko, in einem Eukalyptushain gelegen. Sie hat zu Threm Mittelpunkt einen weit über die Bucht hin sichtbaren Kampanile.

Unter den Privatuniversitäten von durchaus europäischem Rang sind bei uns Harvard, Yale, Princeton, John Hopkins und die größte von allen, die C o 1 u m-bia-Universität in New York, allgemein bekannt. Letztere ist eine wahre Mammutanstalt rastlosen geistigen Lebens. Von ihr strahlen ununterbrochen Anregungen auf alle Staaten der Union aus. Insbesondere in Fragen der Erziehung nimmt Columbia den führenden Platz ein und besitzt . in Teachers College eine Spezialanstalt für die Ausbildung von Lehrern aller Grade für ganz Amerika.

Der Wirkungskreis einer amerikanischen Universität geht weit über den einer europäischen hinaus.

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