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Die Krise der Universität

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Seit etwa fünf-Jahren bilden die Universitäten Frankreichs, Italiens, der Bundesrepublik Deutschland, aber auch Österreichs Herde der, Unruhe im Staat. Die Universität, um deren Krise es geht, erscheint uns zumeist als ein ganz selbstverständlicher Bestandteil einer Gesellschaft von gewissem Kulturniveau. Um so wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, daß von einer Selbstverständlichkeit des Bestandes von Universitäten keine Rede sein kann. Es gibt eine große Zahl von Hochkulturen ohne Universitäten. Die Universität stellt nur eine ganz bestimmte Organisationsform der Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung dar. Es bedarf bestimmter historischer Bedingungen und vor allem bestimmter wertender Entscheidungen, damit die Universität als Organisationsform von Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung jene zentrale Bedeutung erlangen kann, die ihr heute auch vom Großteil der radikalen Kritiker und Reformer nicht bestritten wird. Wenngleich die österreichische Rektorenkonferenz auf die Idee verfallen ist, allen wissenschaftlichen Hochschulen des Landes den Titel „Universität' zu erteilen, so kann keineswegs jede Institution zur Vermittlung von besonders qualifiziertem Wissen als Universität etikettiert werden. Von Universität darf vielmehr nur gesprochen werden, wenn es um Universalität geht. Gleichviel, ob Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung in Fakultäten oder in Abteilungen unternommen werden: Zur Idee der Universität gehört es, daß man das Fachwissen als Teil eines umfassenderen Erkennens hegreift. Universalität, Ganzheitsdenken und philosophischer Bezug erweisen die Universität als Produkt historischer Bedingungen und wertender Entscheidungen.

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Seit etwa fünf-Jahren bilden die Universitäten Frankreichs, Italiens, der Bundesrepublik Deutschland, aber auch Österreichs Herde der, Unruhe im Staat. Die Universität, um deren Krise es geht, erscheint uns zumeist als ein ganz selbstverständlicher Bestandteil einer Gesellschaft von gewissem Kulturniveau. Um so wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, daß von einer Selbstverständlichkeit des Bestandes von Universitäten keine Rede sein kann. Es gibt eine große Zahl von Hochkulturen ohne Universitäten. Die Universität stellt nur eine ganz bestimmte Organisationsform der Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung dar. Es bedarf bestimmter historischer Bedingungen und vor allem bestimmter wertender Entscheidungen, damit die Universität als Organisationsform von Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung jene zentrale Bedeutung erlangen kann, die ihr heute auch vom Großteil der radikalen Kritiker und Reformer nicht bestritten wird. Wenngleich die österreichische Rektorenkonferenz auf die Idee verfallen ist, allen wissenschaftlichen Hochschulen des Landes den Titel „Universität' zu erteilen, so kann keineswegs jede Institution zur Vermittlung von besonders qualifiziertem Wissen als Universität etikettiert werden. Von Universität darf vielmehr nur gesprochen werden, wenn es um Universalität geht. Gleichviel, ob Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung in Fakultäten oder in Abteilungen unternommen werden: Zur Idee der Universität gehört es, daß man das Fachwissen als Teil eines umfassenderen Erkennens hegreift. Universalität, Ganzheitsdenken und philosophischer Bezug erweisen die Universität als Produkt historischer Bedingungen und wertender Entscheidungen.

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Alle Traditionen der mitteleuropäischen Universität sind in unseren Tagen fragwürdig geworden. Dem Konzept der autonomen Körperschaft wird das der staatlichen Anstalt entgegengesetzt. Dem analytischen Rationalismus wird vorgeworfen, daß er das gesellschaftliche Engagement vermissen lasse. Das Prinzip der Einheit von Lehre und Forschung anzugreifen, ist ebenso zum Gemeinplatz geworden wie die Forderung nach Einführung des Departmentsystems. Nicht Einsamkeit und Freiheit, sondern gesellschaftliche Verflechtung und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft sollen die Stellung des Wissenschaftlers kennzeichnen.

Dieser grundlegende Wandel der Positionen wurde nicht zuletzt von der Universität selbst herbeigeführt — zum Teil dadurch, daß ihre Defekte ihren traditionellen Anspruch erschütterten, zum Teil dadurch, daß das Denken an den Universitäten die Positionen von einst ins Wanken brachte.

Die Sünden wider die Jugend

Beginnen wir mit den Sünden der. Universität gegenüber denen, von denen heute die Unruhe ausgeht. Hätte es die Universität vermocht, das Vertrauen oder wenigstens das Verständnis ihrer Studenten zu gewinnen, so könnten diese nicht in so großer Zahl zum Angriff auf die bestehenden Strukturen der Universität antreten, so könnten die übrigen Studenten nicht in Passivität verharren, wenn man darangeht, ihre Universitäten so zu verändern, daß kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Sünde gegenüber den Studenten besteht im Verlust der humanen Relation, in einer Unpersönlichkeit und Vermassung, die den Gedanken der universitas magistrorum et studen-tium zur Fiktion, zur Zwecklüge werden ließ.

Den stärksten Anstoß zur Unruhe gibt die Applikation dieser Haltung der Unpersönlichkeit auf einen für den Studenten vitalen Vorgang — auf die Prüfung. Wenn in ihr in oft wenigen Minuten über den Erfolg einer Arbeit von einem Jahr oder mehr entschieden wird und wenn sich dann diese Entscheidung nicht durch überzeugende Gerechtigkeit legitimiert, so darf es nicht wundern, daß eines Tages der Sturm losbricht.

Das unzumutbare Prüfungswesen

hat überdies in Deutschland, Österreich und Frankreich dazu geführ.t, daß die akademische Ausbildung zum bloßem Schein wurde, während in Wahrheit andere Lernformen an ihre Stelle getreten sind. Die Paukkurse für Juristen sind das beste Beispiel. In Deutschland, Frankreich und Österreich wird der Jurist in der Regel nicht von dem geprüft, bei dem er gehört hat, sondern von einem Prüfer, den er oft nie vorher gesehen hat und auch nicht sehen konnte. Auf diesen Prüfer bereitet der akademische Unterricht überhaupt nicht vor, wohl aber der freiwirtschaftlich organisierte Paukerkurs. Der Frage, weshalb man neben

den Kursen überhaupt noch Vorlesungen für Juristen hält, kann für die überfüllten Massenuniversitäten Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Jenes Klima der Inhumanität, das das Verhältnis zwischen den Professoren und den Studenten belastet, beherrscht aber leider auch das Verhältnis der Hochschullehrer untereinander und zu ihren Assistenten. Notorisch ist das Beispiel des Wechsels eines Ordinarius an einer medizinischen Fakultät in einem klinischen Fach: Der neue Mann entfernt oft alle Mitarbeiter seines Vorgängers, um sein ihm ergebenes Team zu installieren. Ob ein Assistent nach langjähriger Forschungszeit habilitiert wird, hängt zumindest ebenso von unwegbaren Machtkonstellationen in Fakultäten ab wie von der wissenschaftlichen Leistung des Kan-

didaten. Noch schlimmer aber steht es um die Nachbesetzung von Lehrstühlen: Persönliche Freundschaften und weltanschauliche Sympathien wiegen oft viel schwerer als die wissenschaftliche Qulifikation. Die neuerdings viel diskutierte Möglichkeit einer Beteiligung von Studentenvertretern an der Kandidatenauswahl kann meines Erachtens nur zu einer Versachlichung des Prozesses der Selbstergänzung der Hochschulen führen.

An' einem anderen Vorwurf ist die Universität, insbesondere die deutsche und die österreichische, auch nicht unschuldig: Es ist der Vorwurf der Kapitulation vor der Macht. Alle Ballung humanistischer Kultur an den deutschen Universitäten vermochte es nicht, handgreiflichen Exzessen primitiver Unkultur entge-

genzutreten. Ja es kam sogar recht oft dazu, daß diesen Exzessen eine höhere Weihe verliehen wurde. Einer der größten deutschen Rechtsdenker der Gegenwart, Carl Schmitt, ließ etwa folgenden Satz in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ 1934 (S. 713) drucken: Es gibt gute und schlechte Wortverbindungen, Nationalsozialismus ist eine gute, Rechtsstaat eine schlechte ... Unabhängig vom Versagen der Universität gegenüber dem Exzeß der Macht hat aber auch das Fehlen einer moralischen Beherrschung der Forschungsergebnisse, insbesondere bei der Möglichkeit ihrer militärischen Anwendung, das alte Prinzip der Freiheit der Wissenschaft in Frage gestellt, den Aspekt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in den Vordergrund gerückt. Alle diese Defekte der Universität,

über die alle bisherigen Rechtfertigungsversuche von Professorenseite nicht hinwegtäuschen können, haben weithin die Uberzeugung gefestigt, daß das traditionelle mitteleuropäische Universitätsmodell, daß insbesondere das Humboldtsche Universitätskonzept überholt sei. Man meint, der Unruhe der Studenten gerade dadurch Rechnung tragen zu sollen, daß man vom traditionellen Univer-sitätskonzept abgeht. Fast jede der in den letzten Jahren erfolgten Hoch-schulneugründungen versucht, sich vom alten Modell auf ihre Weise zu emanzipieren.

Alle diese Reformversuche leiden aber daran, daß es sich bei ihnen um Korrekturen mit den Mitteln der Administration, um den Versuch einer Reform durch Gesetzgebung handelt.

Mehrjähriges Rektorat und Dekanat?

Zum Standardinventar der administrativen und legislativen Korrekturen der bisherigen Hochschulverfassung zählt neben dem Departmentsystem der Übergang zur Kanzlerverfassung oder zumindest zum mehrjährigen Rektorat und Dekanat. Viel zu selten wird bedacht, welche Gefahr sich mit der Preisgabe des Prinzips der Annuität der akademischen Ämter verbindet. Wie auch der Mainzer Öffentlichrechtler Kupp in seinem Beitrag zum ausgezeichneten Saimmelband von Gerhard Schulz, Was wird aus der Universität? richtig sieht, droht die Gefahr einer negativen Auslese. Ein tüchtiger Forscher kann es sich in vielen Disziplinen kaum leisten, ein Jahr lang den Kontakt mit dem Fortschritt seines Faches zu verlieren. Wer sich zur Übernahme eines etwa fünfjährigen Rektorates bereit findet, hat kaum noch eine Chance, nachher wieder an den Stand der Chemie, der Physik oder der Psychologie Anschluß zu finden. Überdies sollte gerade das Prinzip der Annuität das verhindern, was leider ohnedies im Überfluß an den Universitäten eingezogen ist: Selbstherrlichkeit und Willkür.

Etwas besser steht es um den Gedanken der Kanzlerverfassung. Dieser Gedanke zielt nicht auf eine Entfremdung von Gelehrten zu Managern, sondern auf eine Gewännung von Managern für die Universitäten. In der Tat kommt eine moderne Universität soweit einem Großbetrieb gleich, daß es unvermeidlich ist, an ihr ein Management zu etablieren. Ob eine Kanzlerverfassung dabei zum Ziele führt, hängt jedoch davon ab, ob man die als Kanzler

und deren Mitarbeiter einzusetzenden Personen aus der Administration oder aus dem Wirtschaftsleben nimmt.

Nicht nur das Bemühen um ein Verhältnis aller Gesellschaftswissenschaften zur Geschichte, sondern auch die

Einheit von Forschung und Lehre

verdient Verteidigung. Würde man dieses Prinzip opfern, so würde man die Universität einer Gefahr, der sie schon bishpr oft genug erlegen ist, noch stärker aussetzen: dem Dienst an der Macht. Sobald der Forschende nicht mehr die Möglichkeit hat, dem Erkannten im Hörsaal Publizität zu verschaffen, und sobald der Lehrende nicht mehr die Möglichkeit hat, jeden Satz des traditionellen Lehrgutes

durch eigene Forschung neuerlich in Frage zu stellen, wird es dem jeweiligen Inhaber von Macht noch viel leichter als bisher sein, über Wissenschaft und Wissen zu verfügen. Forschung ohne Lehre bliebe kraftlos, Lehre ohne Forschung wäre blind. Als der Ort, an dem alles vermeintlich Gewisse stets aufs neue in Frage gestellt werden kann, ist die Universität nicht nur gesellschafts-orientierte Produktionsstätte von Fachleuten und Forschungsergebnissen, sondern Selbstzweck wie sonst nichts in der Gesellschaft. Im Vordergrund der Diskussion über die organisatorische Umgestaltung der Universität steht auch dfe

Mitbestimmung der Studenten

Es wäre meines Erachtens irreal, aber auch inhuman, wollte man sich grundsätzlich gegen den Mitbestimmungsgedanken an der Universität stellen.

Von Gefahren ist freilich auch der Gedanke der Studentenmitbestimmung nicht frei. Eine sehr ernste Gefahr besteht in der juristischen Formalisierung durch das Schema der Drittelparität. Diesem Schema haben sich leider viele Hochschulgesetze deutscher Länder verschrieben. Die Erfahrung lehrt, daß das Schema zu starrer Blockbildung führt, daß Machtdenken und Taktik dominieren. Meines Erachtens gibt es viele Angelegenheiten, in denen die Studenten zu einem größeren Prozentsatz beteiligt werden können. Worauf es ankommt, Ist Jedoch, daß das wirkliche Wollen der Studenten sebst erfaßt wird und daß nicht eine Mediatisierung durch eine Funktionärsclique stattfindet.

Von den Studenten wird aber auch immer wieder ein Anspruch erhoben, der weit über den akademischen Bereich hinausgreift: die Behauptung eines politischen Mandates der Studenten. Mit dieser Behauptung setzt sich sehr gewissenhaft eine von Preuß verfaßte Schrift (Das politische Mandat der Studentenschaft, Verlag Surkamp 1969, Frankfurt), auseinander. Zugestanden werden muß, daß für diese Behauptung historische Empirie beigebracht werden kann. Anders aber als für irgendwie hierarchisch strukturierte Gesellschaften ist für eine demokratische Gesellschaft höchst zweifelhaft, ob in ihr irgendeinem Bevölkerungsteil, und seien es eben auch die Studenten, ein Mandat zugestanden werden darf, das nicht auch von jedem anderen Bevölkerungsteil beansprucht werden könnte. Der Behauptung eines politischen Mandates der Studenten wohnt die Versuchung zu elitärem Denken inne. Wer ein politisches Mandat der Studenten behauptet, müßte, wenn er den demokratischen Gleichheitsgedanken nicht verletzen will, auch ein politisches Mandat der Eisenbahner, der Bauhilfsarbeiter oder der Buchhalter anerkennen. Es kann, wie ich meine, in der Demokratie das Mandat der einen Gruppe nicht anders beschaffen sein als das einer anderen. Wissen ist, wenn man nicht elitär denken will, nicht geeignet, das Stimmgewicht zu steigern. So muß für das Verhältnis des Studenten zu anderen gesellschaftlichen Gruppen erst recht das gelten, was für den Umgang mit der in eine Krise geratenen traditionellen Universität gefordert wurde: Behutsamkeit und Toleranz.

ELSIE ALTMANN LOOS

Adolf Loos, der Mensch

192 Seiten, Leinen, S 117.—.

Der Architekt Adolf Loos — seine Bedeutung für die Baukunst unseres Jahrhunderts hat längst die Anerkennung der Fachwelt gefunden. In seinen Schriften kann man lesen, was er seiner Zeit und auch unserer Generation zu satren hat. Aber erst das Bild des Menschen vollendet das Bild des Künstlers, und wir wollen nicht nur wissen, was er geschaffen hat, sondern wie er lebte und arbeitete. Aus der persönlichen Sicht ihres gemeinsamen Lebens hat Elsie Altmiann-Loos diese amüsante Künstlerbiographie geschrieben, die Einblick in Leben und Schaffen des großen Architekten gibt.

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