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Die Macht der Funktionäre

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DER FUNKTIONÄR. SEINE SCHLÜSSELSTELLUNG IN DER HEUTIGEN GESELLSCHAFT. Johannes Messner. Tyrolia, Innsbruck-Wien-München, 1961. 307 Seiten. Preis 140 S.

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DER FUNKTIONÄR. SEINE SCHLÜSSELSTELLUNG IN DER HEUTIGEN GESELLSCHAFT. Johannes Messner. Tyrolia, Innsbruck-Wien-München, 1961. 307 Seiten. Preis 140 S.

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Unsere pluralistische Gesellschaft wird, wie jede organisierte Gesellschaft, von einer kleinen Gruppe von Menschen geführt, ob wir sie nun als Elite, als Adel neuer Art oder wie immer bezeichnen wollen: von den Funktionären. Die Angehörigen der Führungsgruppe in der pluralistischen Gesellschaft — die Funktionäre — sind in ihrem Rang nicht geboren, sie haben ihn auch nicht auf Grund von Diplomen erworben, sondern sind Funktionäre, weil sie in einer Gruppe Sachwalter der Interessen dieser Gruppe sind. Ihren Stand, der heute bereits ein sozialer Stand ist, müssen die Funktionäre sich stets aufs neue dadurch erwerben, daß sie die ihnen aufgetragenen Aufgaben der Interessenwahrung nach Ansicht der Vertretenen bestens erledigen. Sie sind formell insoweit Erfüllungsgehilfen von Interessentengremien, Exponenten eines Gruppenwillens, wenn sie auch oft selbst, und dies in einem steigenden Umfang, den Gruppenwillen bereits von sich aus bestimmen und auf diese Weise Aufträge ausführen, die sie vermöge ihrer besonderen Sachkenntnisse selbst vorher präzisiert haben. Wie die Manager in den großbetrieblichen Wirtschaftsformen, die den Eigentümern das Recht des Eigentumsgebrauches bereits weitgehend entzogen haben.

Die Soziologie, bis vor wenigen Jahren vor allem vom Problem der „Masse" fasziniert, hatte sich bisher wenig einer Untersuchung der Position der Funktionäre in der modernen Gesellschaft gewidmet. Die Analyse von Burnham („Die Revolution der Manager“) bezog sich vor allem auf die industrielle Führungsschichte, klammerte aber die nicht weniger bedeutsamen Gremien der Führer der Verbände und der verstaatlichten Interessentenverbände weitgehend aus. Erst durch die Entdeckung der Gewichtigkeit des Phänomens der Gruppe in der Gesellschaft, die nicht, wie man angenommen hatte, eine formlose und kaum strukturierte Masse ist, hat die Soziologie jene Erkenntnisse gewonnen, die es möglich machten, sich der Frage der Funktionäre, als einer Führungsgruppe an der Spitze der unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft, zuzuwenden.

Es blieb dem Altmeister der christlichen Sozialethik in Österreich — Johannes Messner — Vorbehalten, sich als erster in einer umfangreichen Monographie mit dem Problem des Funktionärs als dem bestimmenden Element der pluralistischen Gesellschaft zu beschäftigen und die Frage sowohl soziologisch wie vor allem vom Standpunkt der Sozialmoral aus zu untersuchen.

Die soziologische Untersuchung Messners, bedacht auf die Bildung nicht nur von Idealtypen, sondern auch von Realtypen, die der Wirklichkeit angemessen sind, zeigt, daß es nicht den Funktionär schlechtweg gibt, sondern daß der Funktionär sich in einer Vielzahl von Typen darstellt, in Abstimmung mit der angedeuteten Vielfalt von politischen und von Interessentengruppen, deren Miteinander wie Gegeneinander eine Art Verflechtung der Gesellschaft ergibt, ein erstaunliches soziales Bauprinzip, dessen Gerüst als ein Komplex von Grundlagen und von Querkontakten entscheidend von den Funktionären errichtet wurde.

Aus der Vielfalt der Typen lösen sich zwei Gruppen heraus, die Messner in seiner umfangreichen Studie durch eine Reihe von Merkmalen kennzeichnet, die Funktionäre in den Parteien und die Funktionäre in den formell nicht Gebundenen Interessentengruppen. In beiden sozialen Gruppen sind es die Funktionäre, welche nicht nur die Interessenten organisieren, sondern den Organisierten ihre Interessen in Form von Programmen erst eindeutig ins Bewußtsein bringen und, wenn notwendig, auch so etwas formulieren wie eine agitatorisch brauchbare .deologie. Dabei hat der Parteifunktionär de iure eine unmittelbare Beziehung auf das Ganze des Staates und soll zuvorderst um das Gemeinwohl besorgt sein. Insoweit ist ein Gegensatz der beiden Funktionärsgruppen, gleichsam ex offo, vorhanden, ein unter Umständen gefährlicher Gegensatz, wie er etwa auch in bestimmten Situationen des Mittelalters zwischen universale Anliegen und partielle Interessen verfolgenden Adelsgruppen vorhanden gewesen ist. Nun wird aber der Gegensatz, der im Ansatz eine völlige Trennung politisch-staatlicher und nur-ökonomischer Interessen und eine Isolierung des Staates gegenüber der Gesellschaft lierbeiführen könnte, in den letzten Jahrzehnten weitgehend dadurch aufgehoben, daß die Parteien die Funktionäre von Interessentengruppen in ihre Führungsstäbe aufgenommen haben. Je größer die Parteien im Rahmen einer Liquidation der Kleinparteien werden, um so mehr verlagert sich der offene Konflikt der Interessentengruppen in die Mitte der Psr- teien selbst, die sich sozial allseitig offe rieren und zu Allklassenparteien geworden sind.

Verbände und Parteien sind arteigene Gebilde geworden, „Betriebe“, denen man sich zur Erfüllung von Führungsaufgaben als Funktionär oft nur mehr hauptberuflich widmen kann. Auf diese Weise ist die Gruppe der Funktionäre nicht, wie in den ersten Zeiten der parlamentarischen Demokratie und der Koalitionsfreiheit, fast ausschließlich nebenher in der Führung von Parteien und Verbänden engagiert oder betrachtet die Führung von Interessenten als eine Freizeitbeschäftigung, wenn nicht als eine verpflichtende Aufgabe des Standes. Der Funktionär in der pluralistischen Gesellschaft ist im allgemeinen Berufsfunktionär, er lebt vom Verwalten von Interessen. Die Funktionäre als Ganzes sind daher faktisch e i n Berufsstand geworden, dessen berufliche Position vor allem damit zusammenhängt, daß er den Apparat der Gruppen nicht, wie behauptet wird, beherrscht, sondern bürokratisch verwaltet. Die „Herrschaft" der Funktionäre wird überdies noch dadurch abgesichert, daß die Mehrheit der Angehörigen der Interessentengruppen an der Arbeit ihrer Gruppe so gut wie kein Interesse hat und gerne die Alltagsarbeit den Funktionären überläßt.

Mit dem Beamten klassischen Typs und dem Manager der großen Betriebe ist der Funktionär Repräsentant der Gesellschaft unserer Tage, ein Symbol, so wie der Krieger, der Adelige, der Patrizier oder der Besitzbürger es ehedem gewesen sind. Das aber weist darauf hin, daß die Funktionäre nicht mehr sozial-neutral sind, Grund für Messner, in wesentlichen Teilen seines Buches den Funktionär auch vom Standpunkt der Sozialethik zu untersuchen, also nicht allein Tatbestände festzustellen, sondern sie auch sozial zu interpretieren. Der Funktionär kann, weil er im gesellschaftlichen Raum über Macht verfügt (etwa im Rahmen eines großen Interessentenverbandes) auch den bürokratischen Apparat der Gebietskörperschaften in seinen Griff bekommen (S. 97), wozu kommt, daß es immer offensichtlicher wird, daß nicht die Parteien den Staat führen, sondern die hinter ihnen befindlichen, ausschließlich von Funktionären geführten Interessentengruppen, ob sie nun den Parteien verbunden sind oder ob sie sich nur als „Druckgruppen“ betätigen und mit unverhülltcn Drohungen den Parteien ihren Willen aufzwingen. Wenn nun die Parteien aus einem verständlichen, wenn auch nicht immer zu billigenden Eigeninteresse sich der Ver bände im gesellschaftlichen Raum bemächtigen und die Verbandsführer in ihre Führungsgremien holen, verschwindet die notwendige Distanz zwischen der Gesellschaft (den Verbänden) und dem eigentlich politisch-staatlichen Bereich (Parteien). Anderseits sind aber die Funktionäre, die verhalten sind, sowohl die Interessen ihrer Gruppe wie die des Staates zu wahren, oft zu Kompromissen gezwungen, die eine staatsstabilisierende Wirkung haben. Heute wird beispielsweise die gewerkschaftliche Lohnpolitik, sosehr es oft anders zu sein scheint, nicht allein als Durchsetzung von Gruppeninteressen gegen die Interessen anderer verstanden, sondern auch als Bemühen der Funktionäre in einem Interessendualismus, das Gesamtinteresse der Währung, der Vollbeschäftigung zu wahren und zu diesem Zwecke ein stabilisierendes Kompromiß zu finden.

Messner verfällt nicht in die modisch gewordene Abneigung gegen die Funktionäre, weil er in ihnen eine Realität sieht, die Chance, eine erstrebte Gemeinwohlordnung mit Hilfe der nun einmal und unvermeidbar Macht ausübenden Großgruppe der Funktionäre zu realisieren. In der Situation der Massengesellschaft kann das Gemeinwohl nicht mehr durch spontane Handlungen einzelner realisiert werden, sondern nur über die Verbände und ihre Führer, die Funktionäre. Dabei übersieht Messner keineswegs die harte Kritik seines Lehrers Max Weber an der parlamentarischen Demokratie, den Hinweis Webers, daß in den parlamentarischen Vertretungskörperschaften nur noch die Sekretäre der Verbände säßen (S. 140), die lediglich ein „imperatives“ Mandat zur Vertretung ökonomischer Interessen auszuüben haben. Anderseits ist aber (nach Messner) in keiner Periode der Geschichte die soziale Gerechtigkeit so weit verwirklicht worden wie in der Periode der „Herrschaft der Funktionäre“. Die Gemeinwohlordnung, auch in der christlichen Soziallehre weithin nur als Hoffnungsordnung verstanden, hat sich als realisierbare Chance erwiesen, nicht trotz, sondern auch dank der Tätigkeit der Funktionäre, die man fairerweise nicht allein an ihren Versagern messen und dementsprechend disqualifizieren darf. Dagegen soll nicht übersehen werden, daß es gerade in den letzten Jahren zu einer teilweisen Entleerung, zu einer Machtverkümmerung des politischen Raumes zugunsten der Verbände gekommen ist, zu einem Korporativismus eigener Art, zu einer Verbändeherrschaft, wie wir sie in der Deutschen Bundesrepublik vom DGB und auch von Untemebmerseite ausgeübt sehen, bis hin zum grotesken Versuch der Errichtung einet faktischen Gewerkschaftspartei, etwa der deutschen Metallarbeiter.

Messner spricht unter Bedachtnahme auf die Versuchungen, welchen die in die politischen und gesellschaftlichen Führungsgremien aufgestiegenen Funktionäre ausgesetzt sind, von einer Verantwortungsethik, die der Funktionär in seinem Verhalten zu praktizieren hat. Dieser Verantwortungsethik Rechnung zutragen, bedeutet, daß der Funktionär, sosehr es ihm in erster Linie aufgegeben ist, die Interessen seiner Gruppe zu wahren, sich durch die Normen des Gemeinwohls gebunden sehen soll. Das allgemeine Wohl ist der Plafond des Wirkens und der Ansprüche des Funktionärs, der gerade, weil er Macht hat, den Rang eines Vollzugsorganes der sozialen Gerechtigkeit hat, also einer allgemeinen und nicht einer Gruppengerechtigkeit.

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