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Die „Öffnung nach rechts“

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Die keineswegs so überraschende und schon im Parlament verwirklichte Zusammenarbeit von Politikern, die einander nach 1938 und nochmals nach 1945 in die Konzentrationslager beziehungsweise nach Sibirien abzuschieben suchten, hat mehrere Ursachen.

Vor allem spielt es eine Rolle, daß die Ungeduld der Sozialisten, die auf Jahre hinaus keine Chance sehen, durch Wahlen an die Macht zu kommen, einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Irgendwie scheint die versuchte Öffnung nach rechts ein Index der Ungeduld „alter Männer“ zu sein, die noch vor ihrem Abgang aus dem Bereich der Politik sich in der Würde von Kanzler und von Finanzminister usw. sehen wollen.

Der Wille, an die Macht zu kommen, entspricht der Natur des politischen Prozesses und ist jeder Partei eingeboren. Auch die ÖVP würde bei einer Mehrheit von 51 Prozent heute anders verfahren als in der Situation von 1945, die einmalig war.

Das den meisten Sozialisten sehr peinliche Vorhaben einer Gruppe in der Parteiführung, links zu schließen und rechts weit und einladend aufzumachen, wurde dadurch wesentlich erleichtert, daß sich die FPÖ bereit erklärt hat, so zu sein, wie es die SPÖ wünscht, alles zu verbrennen, was sie bisher angebetet hat, und alles, aber auch wirklich alles anzubeten, was sie bisher stets unter großer Rauchentwicklung auf dem Parteischeiterhaufen verbrannt hat.

Dadurch aber glaubt die SPÖ — und dies mit Recht — mit einer Aktion zwei Erfolge erzielen zu können. Einerseits würde die ÖVP durch Abgabe von Stimmen an die FPÖ entmachtet werden, anderseits erweist sich das aufdringliche Lob für die FPÖ für diese tödlich, weil sie nun vor ihren Anhängern das Gesicht zu verlieren beginnt. Mit Recht sagen jetzt Anhänger der FPÖ, daß diese nur eine Zweckorganisation der SPÖ sei, weshalb es besser sei, gleich die SPÖ (oder die ÖVP) zu wählen.

Freilich ist die Verlobung der SPÖ mit der FPÖ nicht ganz verständlich, da gleichzeitig mit dem reichlichen Lob die Abneigung der Sozialisten gegen alles Nationale zunimmt. Man lese etwa nach, was in Nummer 21 der „Zukunft“ über die SS-„Visagen“ zu lesen ist. Nach Gerüchten, die von der FPÖ verbreitet werden, soll diese sogar — und wieder eine „Visage“ — den Unterrichtsminister stellen dürfen. So tief sitzt nun der „Haß gegen die Schwarzen“ keineswegs, daß man derlei unten, bei den kleinen Mitgliedern, ohne Widerspruch hinnehmen wird.

Jedenfalls wird derzeit die FPÖ unmittelbar und mittelbar durch Lob gezüchtigt und auf diese Weise geschwächt.

Das nicht immer verständliche Verhalten der SPÖ in der Koalition wird durch das Verhalten der ÖVP mitbestimmt, vor allem durch das stete Nein in Fragen der Sozialreform. Eine entscheidende Bedeutung muß man auch den Angriffen gegen Bundesminister Broda beimessen.

Bei einer Ehe auf Zeit von SPÖ und FPÖ müßten die beiden vom Grund ihres Seins her so ungleichen Partner lange miteinander auskommen. Anderseits sind Konflikte in einem Ausmaß zu erwarten, welche die Koalition täglich bedrohen können, besser: könnten. Keiner der beiden Partner kann es sich nämlich vor seinen Anhängern und vor der skeptisch das Liebesspiel betrachtenden Öffentlichkeit leisten, die Scheidung der nur „standesamtlichen“, daher vorweg leicht trennbaren Ehe leichtsinnig beim ersten Konflikt anzustreben. Käme es dazu, wäre dies ein Triumph der ÖVP.

Daher würde es laufend einen Katalog von gegenseitigen Erpressungen geben, von Vertuschungen und Ehekrachs bei aufgedrehtem Radio, damit die Nachbarn nur Zeugen einer vollendeten Harmonie sein können. Dadurch würde die Neigung zur Abspaltung bei beiden Parteien wachsen, aber freilich kaum die Gestalt neuer Parteien annehmen. Das Innenministerium würde wahrscheinlich nicht in gleicher Weise das Entstehen einer neuen Rechtspartei fördern, wie dies seinerzeit Helmer getan hat, den man als faktischen Mitbegründer des VdU bezeichnen muß, wobei die Gründe für dieses merkwürdige Verhalten noch nicht bis ins letzte geklärt sind.

Was bindet also die beiden ungleichen Partner SPÖ und FPÖ? Wo liegen die Unterschiede, wo die Konfliktkeime, die, zu einem kritischen Gemisch yermenigt,,die Koalition zur Explosion bringen können?

Beide Parteien sind traditionsgebunden — im Negativen. Alles, was vor 1918 in Österreich geschehen und Geschichte geworden ist, aber auch das Stück Geschichte von 1934 bis 1938, wird von beiden abgelehnt. Da aber für die Sozialisten die FPÖ stets ein Mischling ersten Grades bleiben wird, wird es beiden Partnern schwerfallen, sich auf ein gemeinsames negativ-historisches geschichtliches Datum oder auf eine Periode zu einigen, die sie geschichtlich gemeinsam haben. Dagegen waren sich ÖVP und SPÖ zumindest in ihrem gemeinsamen Bezug auf den Beginn der Zweiten Republik einig. Können FPÖ und SPÖ zum Widerstand von 1934 gegengleich ja sagen, die einen auch zum Februar 1934 und die anderen auch zum Juli 1934? Wäre es gar möglich, die Gedenkfeiern zusammenzulegen? Wie steht es mit der Ersten Republik bis 1932? Gilt sie den Freiheitlichen als ein Stück legitimer Geschichte? Wie wird gemeinsam die Periode von 1938 bis 194E klassifiziert werden?

Wie können die beiden Sozialmodelle aufeinander abgestimml werden, das eindeutig gezeichnet der Sozialisten und das romantischunverbindlich entworfene der Freiheitlichen, für die soziale Frager überdies immer zweitrangige Bedeutung hatten?

Wie würden die beiden Parteier das „ewige“ Deutschland interpretieren, die Frage des Antisemitismus die Einordnung des zweiten Weltkrieges in die österreichische Geschichte vornehmen?

Was die SPÖ von den Freiheitlichen trennt und immer, bis zurr Koalitionsbruch, trennen wird, wenr die FPÖ nicht zu einem Zweckverband der Sozialisten absinkt, ist di Idee des demokratischen Sozialismus, der sich nicht auf die Engt eines Landes festlegen kann unc den örtlichen Festlegungen (aucl wenn sie mit „Europa“ überdeck' werden) stets widersprechen muß So „nordisch“ kann ein demokratischer Sozialismus unter den Be-dingungen, die nun einmal in Österreich gegeben sind, nicht werden daß er sich für die Freiheitlicher als annehmbar erweist. Dagegei waren die Konzepte eines demokratischen Sozialismus in der täglichen Regierungs- und Verwaltungstätigkeit für die ÖVP durchaus diskutabel und wurden von ihr nicht selten, praktisch ohne Substanzverlust, übernommen.

Die SPÖ war nach 1955 auf dem Weg, Volkspartei zu werden, und dadurch den deutschen Sozialisten um ein halbes Jahrzehnt voraus. Heute kann man von einem solchen Voraus gegenüber den bundesdeutschen Sozialisten nicht mehr sprechen. Die SPD ist der CDU derzeit so bedenklich nahegekommen, daß diese sich wieder mehr für die Interessen der Arbeitnehmer zu interessieren beginnt. Die SPÖ verschließt sich dagegen neuerlich den „Bürgerlichen“ in einer Weise, daß diese, auch wenn sie-bereits' der SPÖ zugeneigt waren, die ÖVP wieder interessant finden. In der Nummer 22/63 des wissenschaftlichen Führungsorgans der SPÖ wird in einer Art von „Klassenkämpfen“ gesprochen, als ob wir in den Tagen der „großen Novemberrevolution“ im Österreich von 1918 stünden. Das Bürgertum, bis zu seinen klein- und kleinstbürgerlichen Randschichten, wird so in eine Art von „Sozial-sten-schreck“ versetzt, der nur der ÖVP von Nutzen sein kann.

Die Kirche ist in Österreich politisch offen. Die Katholiken haben aber derzeit — das wollen gerade wir nicht verschweigen — nicht unärhebliche Bedenken, wenn sie als Folge einer kleinen Koalition eine Regierung zu erwarten hätten, in der höchstens ein oder zwei gläubige Katholiken Sitz und Stimme haben werden und sonst nur Konfessionslose aller Riten, „Gott-“ bis ganz Ungläubige, das katholische Österreich verwalten. Der parteipolitische Katholizismus, seit 1945, wenn nicht bereits seit 1933, tot, könnte dadurch aus einem der Kirche aufgezwungenen Widerstand heraus aktiviert werden.

Man kann jedenfalls den gläubigen Christen unseres Landes nicht zumuten, zuzusehen, wenn ihre Rechte in einer nun wieder perfekt atheistischen Regierung zumindest vernachlässigt werden. Sicher wird es keinen offenen Kirchenkampf geben. Derlei ist heute unschicklich. Eher ein System des skeptischen Atheismus, wie es die Gemeinde Wien praktiziert, deren Administratoren nicht einmal den Mut hatten, den Wienern auf ihren Anschlagtafeln ein fröhliches Weihnachtsfest zu wünschen, sondern nichtssagend (oder vielsagend) von einem „Fest“ sprechen. Anderseits ist aber der administrative Kirchenkampf, der an der Basis, in den Schulen, in den Betrieben und in den Wohngemeinschaften, geführt werden kann, ebenso erheblich.

Im ganzen ist nunmehr der Zeitpunkt gekommen, da auf beiden Seiten der keineswegs hoffnungslos erstarrten Fronten das so oft zitierte „Selbstverständnis“ gefunden werden könnte. Dem Selbstverständnis müßte aber ein Verständnis für den Gegner ^angeschlossen ;.-werden, für ' d' Nöt#*ags' 'Gegriös,'-109 die'Trtföh seinem Handeln vorgegebenen Bedingungen. Die SPÖ sollte erkennen, daß sie bei einer Preisgabe der bisherigen Zusammenarbeit zwar einen förmlichen Machtzuwachs erwarten, aber auf lange Sicht gesehen und bei Wahrung der demokratischen Formen nur verlieren kann, an Substanz und an Glaubwürdigkeit

Dieser Ruf an die SPÖ ergeht um so dringlicher in der Stunde, da der große Koalitionspartner ÖVP als Folge heftiger innerer persönlicher und sachlicher Gegensätze und Krisen, an denen das Verhalten bestimmter Gruppen der SPÖ nichi ganz unbeteiligt war, nahezu das ganze Regierungsteam ausgewechselt hat. Deutlicher denn je lieger jetzt die beiden Möglichkeiten füi die Zukunft da.

Die SPÖ muß nun den Saide ziehen. Kommt sie zu dem Schluß daß es dem österreichischen Vaterland dienlicher ist — auf lange Zei' — die bisherige Form der Zusammenarbeit der beiden sozialen Großgruppen aufzugeben, gibt sie gleichzeitig auch der ÖVP das Recht, vor sich aus eine ähnliche Entscheidunj zu treffen. Nur dürfte sie danr nicht mehr von einem „Bürgerblock' sprechen. Unnütz zu ergänzen, da) uns das Farbenspiel schwarz-blai genauso wenig behagen würde wji eine Verbindung von roter Nelki und Kornblume.

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