"Die ÖH leidet an einem Identitätskonflikt"

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Was vermag die ÖH politisch zu bewegen? Warum ist die Wahlbeteiligung unter den Studierenden so niedrig? Was müsste sich ändern? Politologe Peter Filzmaier im FURCHE-Interview zu den ÖH-Wahlen.

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Was vermag die ÖH politisch zu bewegen? Warum ist die Wahlbeteiligung unter den Studierenden so niedrig? Was müsste sich ändern? Politologe Peter Filzmaier im FURCHE-Interview zu den ÖH-Wahlen.

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Bei den letzten ÖH-Wahlen 2012 siegte die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft (AG) knapp vor den unabhängigen Fachschaftlisten (FLÖ), dem sozialistischen VSSTÖ und der Grünen GRAS-Fraktion. Welche Bedeutung die ÖH-Wahlen 2015 haben, erklärt Peter Filzmaier., Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und Politikanalytiker des ORF.

Die Furche: Die Wahlbeteiligung bei ÖH-Wahlen ist schon länger sehr niedrig. 2013 sind nur 28 Prozent wählen gegangen. In den letzten zwei Jahren gab es kaum Studierendenproteste. Warum dieses geringe Interesse gebildeter junger Leute an Politik?

Peter Filzmaier: Politische Verdrossenheit steht nicht direkt im Kausalzusammenhang mit dem formalen Bildungsgrad. Und die Wahlbeteiligung kann nicht der alleinige Maßstab für politisches Interesse sein. Das Dilemma ist: Gibt es erstens einen Glauben daran, dass die ÖH eine starke Interessensvertretung ist? Zweitens zeigen Studien, dass selten der Informationsmangel das Motiv ist, nicht zu wählen, sondern eine Unzufriedenheit mit allen kandidierenden Gruppen. Für ersteres kann die ÖH nichts, für zweiteres müssen sich alle kandidierenden Gruppen selbst hinterfragen.

Die Furche: Wie stark können die ÖH-Fraktionen die Studienbedingungen beeinflussen? Auf Budgets, Rektorat, Wissenschaftsministerium ist ihr Einfluss doch gering.

Filzmaier: Eine gewählte Studierendenvertretung ist viel wichtiger, als dass sie nur für gute Skripten und Sitzplätze im Hörsaal zu sorgen hätte. Doch im Gesetzgebungsprozess ist die ÖH ein relativ schwacher Akteur, manchmal was die eigenen Rechte betrifft, und fast immer, was ihren gesamtgesellschaftlichen Einfluss betrifft. Da erscheinen Studierenden andere Formen der politischen Beteiligung vielleicht effektiver.

Die Furche: Es herrscht der Trend hin zu unabhängigen Fachschaftslisten mit weniger ideologischem Zugang. Wie sehr geht es heute in der ÖH noch um die Politik im Großen? Filzmaier: Letztlich geht es bei jeder Wahl darum, zu vermitteln: Mit deiner unmittelbaren Lebenssituation haben wir etwas zu tun. Da tun sich parteiverbundene Fraktionen schwerer als eine Fachschaftsliste. Es würde die ÖH stärken, wenn es mehr Grundkonsens gäbe, ob man sich gesamtgesellschaftlich äußern soll oder ob man nur unmittelbare Studieninteressen vertreten soll. Die Furche: Wie könnte man mehr Bewusstsein für politische Beteiligung schaffen? Filzmaier: Es müsste der Grundkonsens der ÖH darüber, wer wir sind und was unsere Aufgaben und Ziele sind, größer sein. Das stellt sich als ein permanenter Konflikt zwischen Koalitions-und Nicht-Koalitionsfraktionen dar. Erst wenn das geklärt wäre, könnte man stärker auftreten und banalere Dinge angehen: Dass die ÖH eine stärkere rechtliche Basis und mehr Ressourcen bräuchte. Diese Themen aber können gar nicht angegangen werden, weil das Identitätsverständnis zwischen Rechts und Links so verschieden ist. Junge Menschen wählen eben mehr an den Rändern.

Die Furche: Vom Polit-Nachwuchs kommt etwa die Grüne Sigrid Maurer aus der ÖH. Wie sehr fungiert die ÖH heute noch als Sprungbrett in die große Politik?

Filzmaier: Schon immer noch, aber viel weniger als vor drei oder vier Jahrzehnten, als die ÖH eine automatische Nachwuchsschmiede war. Früher hat man von Molterer bis Häupl auf die ÖH-Karrieren verwiesen. Heute sind politische Karrieren vielfältiger.

Die Furche: ÖH-Vollzeitfunktionäre werden mit nur 300 Euro monatlich abgespeist. Ist die ÖH-Politik zum Elite-Projekt geworden? Filzmaier: Ja, die Entlohnung für Funktionäre sollte höher sein, aber die Macht des Studierendenparlaments ist vor allem beschränkt, weil es zuwenig Geld für Mitarbeiter gibt. Jeder politische Akteur kann nur mit den entsprechenden Ressourcen gute Arbeit leisten. Den Elite-Vorwurf würde die jetzige ÖH-Spitze wohl energisch bestreiten und argumentieren, dass es ein generelles Problem Studierender ist, dass sie mit Nebenjobs nicht zum Studium kommen, geschweige denn zur ÖH-Politik. Man sollte gegen die geringe Bezahlung der Funktionäre etwas tun, bevor die ÖH zum Eliten-Projekt wird.

Die Furche: Wie stark ist die Abhängigkeit der ÖH-Fraktionen von den Mutterparteien?

Filzmaier: Es ist legitim, parteinahe zu sein, wenn es transparent ist, aber parteiintern sollte man unabhängig sein, und nicht schon in Fragen der Büromaterialien in Abhängigkeit geraten, sodass der Parteikassier den politischen Kurs indirekt anschaffen kann. Daher wäre es sinnvoll, die öffentlichen Mittel für die ÖH zu erhöhen, das müsste man nicht über ÖH-Beiträge finanzieren.

Die Furche: Beim Wählen der Studienvertretung kann man drei bis fünf Namen wählen. Bei der Hochschul-und Bundesvertretung muss man sich für eine Fraktion entscheiden. Eine sinnvolle Differenzierung?

Filzmaier: Schon. Personen können wohl leichter mobilisieren als Listennamen, gerade auf jener Ebene, die mir persönlich am nächsten ist. Hingegen will man keinen Personenkult rund um Österreichs Studierendenchef oder -Chefin. Diese Mischformen im Wahlrecht sind durchaus sinnvoll.

Die Furche: Es gibt erstmals auch die Briefwahl und ein passives Wahlrecht für Studierende aus Nicht-EU-Ländern. Wird der Wahlmodus professioneller, demokratischer?

Filzmaier: Die Briefwahl erleichtert den Zugang zur Wahl, da bin ich dafür. Die Studierenden aus Nicht-EU-Ländern sind genauso von den Entscheidungen der Unipolitik betroffen, sie sollten auch das passive Wahlrecht haben, also kandidieren dürfen. Sonst staut sich Politikfrust auf. Die Diskussion um das Wahlrecht von Nicht-EU-Bürgern sollte auch abseits der Unis geführt werden.

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