Die offene Zukunft der digitalen "Schule 4.0"

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Bundeskanzler Kern geht mit seiner Forderung nach Tablets und Laptops für die Schüler in den Wahlkampf, andere warnen vor Ablenkung und einem Ende der Phantasie.

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Bundeskanzler Kern geht mit seiner Forderung nach Tablets und Laptops für die Schüler in den Wahlkampf, andere warnen vor Ablenkung und einem Ende der Phantasie.

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Für jeden Zehnjährigen ein Tablet, für jeden 15-Jährigen ein Laptop - und für jede Klasse WLAN: So stellte sich Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) in seinem "Plan A" vom Jänner dieses Jahres den Einstieg in die "Schule 4.0" vor. Auch im erneuerten Regierungsübereinkommen fanden sich diese Pläne. Bis Sommer 2017 wollte man das konkrete Finanzierungsmodell erarbeiten, 2018 sollte die ganze Chose starten.

Daraus wird nun bekanntlich nichts, doch Kern hält an seinen Digitalisierungsvisionen fest. Es brauche nicht nur mehr Lehrer, Sozialarbeiter und Psychologen in den Schulen, erklärte er Montag dieser Woche im Parlament, es brauche auch mehr digitale Hardware, um für die Zukunft anschlussfähig zu bleiben. Auch Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) rührt unverdrossen die Werbetrommel: Man müsse den Kindern und Jugendlichen die nötigen digitalen und medialen Kompetenzen vermitteln, um schon heute mit Phänomenen wie Hasspostings, Cybermobbing oder Fake-News umgehen zu können, erklärte sie kürzlich im Rahmen einer Diskussion im ZOOM Kindermuseum im Wiener Museumsquartier. Von der Digitalisierung der Schule erwartet sie sich zudem einen wesentlich individualisierteren Unterricht. Als Beispiel nennt sie das Konzept des "flipped classroom", wo Schülerinnen und Schüler durch Erklärvideos in eine neue Thematik eingeführt werden, sich das Neue im eigenen Tempo erarbeiten können und dabei von der Lehrkraft "nur" noch begleitet werden. Für Ingo Stein, Informatiklehrer an Wiens erster "iPad-Schule", der NMS Koppstraße, ist das längst pädagogischer Alltag. "Das entlastet auch mich als Lehrer, weil die Schüler zur selben Zeit an völlig anderen Themen arbeiten können", erklärt er. Ein wesentlicher Vorteil angesichts der großen Heterogenität seiner Integrationsklasse, in der auch sechs Schüler mit Sonderschullehrplan und zwei syrische Flüchtlingskinder sitzen. Mit der "Horrorvision", dass Schüler nur noch mit digitalen Geräten arbeiten und Kulturtechniken wie die Handschrift verlernen, habe sein Ansatz aber nichts zu tun. "Wir müssen uns immer die Frage stellen: Welchen pädagogischen Mehrwert bringt das Gerät in dieser Situation?", stellt Stein klar.

Ein Zugang, den auch der Schweizer Digitalisierungs-Experte Beat Döbeli Honegger in seinem Buch "Schule ist mehr als 0 und 1"(hep Verlag 2016) wählt. "Es geht darum, den richtigen Mix zu finden und zu lernen, wann welches Werkzeug sinnvoll ist", erklärt er im FURCHE-Gespräch. Kinder und Jugendliche, die in ihrer Freizeit beinah zu 100 Prozent digitale Endgeräte nutzen würden, müssten in der Schule zudem erfahren, dass Smartphone und Co. auch für Lernzwecke nutzbar seien. "Dies setzt allerdings voraus, dass Lehrerinnen und Lehrer wissen, wie man sie sinnvoll im Unterricht einsetzt und auch das Ablenkungspotenzial wirkungsvoll eindämmt", erklärte Döbeli im Rahmen einer Veranstaltung zum fünfjährigen Bestehen der T-Mobile-Schulinitiative "#ConnectedKids".

Das Ende der Phantasie?

Potenzielle Ablenkung und Zerstreuung sind indes zentrale Punkte der Kritiker einer "Schule 4.0" - allen voran der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Der frühe Einsatz digitaler Technologie würde auch jene Eigenschaften sabotieren, die in der Roboter-Welt der Zukunft besonders gefragt seien. Phantasie, Kreativität und geistige Neugier. Die quasi-religiöse Fixierung auf teure Geräte, die binnen weniger Jahre Elektroschrott würden, sei zudem nicht zu verantworten, erklärte Liessmann bei der ZOOM-Lecture im Museumsquartier: "Natürlich geht es hier auch um ökonomische Interessen, wenn 100.000 iPads gekauft und durch staatliche Eingriffe Zehnjährige an eine Elektronikmarke gebunden werden." Vor allem aber habe "weltweit keine einzige empirische Studie gezeigt, dass der forcierte Einsatz digitaler Technologien Lernprozesse tatsächlich verbessert".

Beat Döbeli Honegger will das nicht so stehen lassen: "Es gibt für alle Aussagen Studien", kontert er. "Außerdem ist es allgemeiner Konsens, dass nicht die Hardware für sich genommen einen didaktischen Mehrwert bietet. Ohne entsprechend geschulte Lehrer geht es nicht." Stoff genug also für weitere Diskussionen - auch nach der nächsten Nationalratswahl.

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