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Die osterreichische Lehrerbildung seit dem Reichsvolksschulgesetz

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Die Reform der Lehrerbildung wird allen Anzeichen nach ein Kernstück der neuen Schulgesetze bilden. Die gegenwärtige Problemlage soll ein kurzer geschichtlidier Rückblick wesentlich verständlicher machen.

Schon auf den Lehrerbildnertagen von 1891, 1907 und 1911 wurde versucht, über die vierjährige Lehrerbildung, wie sie das Reichsvolksschulgesetz von 1869 vorsah, hinauszukommen. Man schob zwischen das Ende der Schulpflicht mit 14 Jahren und den Beginn der Lehrerbildung mit 15 Jahren aus praktischen Gründen eine einjährige „Vorbereitungsklasse“ ein und schuf auf diese Weise den unmittelbaren Anschluß der Berufsbildung an die Pflichtschule. Die „Vorbereitungsklasse“ wurde dann immer mehr organisch in die Lehrerbildungsanstalt eingebaut, so daß in österreidi schon lange vor dem ersten Weltkrieg praktisch eine fünfjährige Lehrerbildung bestand. Dr. Rudolf Hornich und Dr. Heinrich G i e s e machten in dieser Zeit besondere Versuche zum Ausbau der vierjährigen Lehrerbildung und eilten damit ihrer Zeit weit voraus. Als Direktor des Wiener Pädagogiums gliederte Dr. Rudolf Hornich 1905 die Vorbereitungsklasse völlig in das Gesamtstudium ein; die wissenschaftlidie Reifeprüfung konnte bereits nach vier Studienjahren abgelegt werden, das fünfte Jahr wurde so völlig für die Berufsbildung frei und mit einer zweiten Reifeprüfung abgeschlossen. Direktor Dr. Heinrich Giese führte 1914 am Lehrerseminar des Katholischen Schulvereines in Wien-Währing die sechsjährige Lehrerbildung mit Fremdsprachenunterricht (Latein) ein. Durch den Weltkrieg wurde zunächst diese Entwicklung unterbrochen. Im Zuge der Mittelschulreform in der Nadikriegszeit mit ihren Bestrebungen nach einer Einheitsschule bis zum 14. Lebensjahr wurde auch die Mittelschulbildung der Lehrerschaft viel erörtert. Damit wurde auch die Forderung nach der Hochschulbildung der Pflichtschullehrer erhoben. Die Erfahrungen, die man im Deutschen Reich mit der Hochschulbildung der Lehrerschaft machte, verliefen aberkeineswegs allgemein befriedigend. Der Verfasser dieser Zeilen spradi beispielsweise in Hamburg während des Psychologenkongresses 1931 mit dem gewiß fortschrittlich eingestellten Professor William Stern über die Erfahrungen mit der dortigen Lehrerbildung an der Universität und mußte hören, daß dieser hervorragende Universitätslehrer von einer Berufsbildung der Volks-sdiuüehrer an der Hochschule nichts wissen wollte. Man nahm daher in österreidi mit Recht eine zuwartende Haltung ein.

An den österreichischen Lehrerbildungsanstalten war inzwischen der Fremdsprachenunterricht als Freigegenstand eingeführt worden. Die Zöglinge konnten etwa seit 1925 aus einer Fremdsprache und audi aus Mathematik die Ergänzungsreifeprüfung nach den Mittelschullehrplänen ablegen, so daß zur Hochschulberechtigung nur mehr die

Ergänzungsreifeprüfung aus einer zweiten Fremdsprache abzulegen war. Diese Bestrebungen erklärten sich aus dem Umstand, daß es damals viele stellenlos Junglehrer gab, denen ein Ausweg aus dem Berufselend geboten werden sollte. Der Charakter der Lehrerbildungsanstalt als Berufsschule wurde aber auf diese Weise stark gefährdet. Ferner wurden durch allerlei Lehrplanänderungen und Prüfungsberechtigungen, die man den einzelnen Anstalten gewährte, die Verhältnisse immer zersplitterter. Fast jede Lehreroder Lehrerinnenbildungsanstalt hatte nun ihren eigenen Lehrplan.

Da entschloß sich Unterrichtsminister Richard Schmitz Ende 1927 zu einer Reform der Lehrerbildung. Es sollten sechsjährige Bildungsanstalten mit starker Pflege des Berufsethos entstehen. Der Entwurf wurde aber wieder zurückgestellt, weil die Lehrerorganisationen damals unbedingt die Forderung nach einer Hochschulbildung des

Volksschullehrers erhoben. Tatsächlich liefen seit 1925 am Pädagogischen Institut der Stadt Wien hochschulmäßige Lehrerbildungskurse von zweijähriger Dauer, die die Gemeinde Wien als Schulerhalter selbständig unter Leitung des Ministerialrates Viktor F a d r u s errichtet hatte. Diese Kurse konnten von Abgängern von Mittelschulen und von Lehrerbildungsanstalten besucht werden; sie erhielten aber nicht die Genehmigung des Unterrichtsministeriums, weil die Einheitlichkeit der Lehrerbildung in Österreich nicht aufgegeben werden durfte.

Im Jahre 1930 war neuerlich eine Reform der Lehrerbildung im Sinne der „Richtlinien“ des Ministers Schmitz beabsichtigt. Da aber die damalige Rgierung zurücktrat,wurde der vorbereitete Gesetzentwurf im Nationalrat nicht mehr eingebracht. In der Folgezeit der allgemeinen Wirtschaftskrise konnte inv Hinblick auf die finanzielle Lage des Staates die Frage der Lehrerbildung nicht behandelt werden. Daher wurde 1932 im Verordnungsweg ein neuer Lehrplan erlassen, der wenigstens eine gemeinsame Grundlage für die österreichische Lehrerbildung schuf und die Lehrerbildung für das gesamte Staatsgebiet wieder einheitlich regelte. Auch zeitgemäße Forderungen wurden in diesen Lehrplan eingebaut. Die Vorbereitungsklasse wurde organisch mit dem nunmehrigen fünfjährigen Bildungsgang verbunden.

Durch ein Gesetz des Jahres 1937 unter dem Bundesminister für Unterricht Dr. Hans P e r n t e r und dem Referenten für die Lehrerbildung, Ministerialrat Dr. Ludwig B a 11 i * t a, wurden Lehrerakademien für die Heranbildung der Lehrer und Lehrerinnen für Volksschulen mit einer Studienzeit von, sechs Jahren geschaffen. Die ersten vier Jahre sollten vornehmlich der Vermittlung einer höheren Allgemeinbildung bei Bedachtnahme auf die Erfordernisse des Lehrerberufes dienen, die beiden letzten Jahre vor allem der pädagogischdidaktischen Ausbildung und der Formung der Persönlichkeit des Berufserziehers. Als verbindliche Fremdsprache wurde Latein eingeführt und außerdem bei entsprechender Schülerzahl eine lebende Fremdsprache als nichtverbindlicher Gegenstand. Nach Beendigung des obersten Jahrganges sollten die Studierenden ein Reife- und Lehrbe-fähigungszeugnis für Volksschulen erhalten mit dem Recht zum Besuch der philosophischen Fakultät der Universität und unter gewissen Voraussetzungen auch der übrigen Fakultäten und der anderen Hochschulen. Diese Lehrerakademien konnten aber nur den ersten Jahrgang zu Ende führen, da die nationalsozialistische Schulverwaltung in Österreich sogleich und 1940 auch im Reich die fünfjährigen Lehrerseminare einführte.

Die Hochschulbildung der Lehrer im Reich' war also gefallen, und auch die eben geschaffenen Akademien für Lehrerbildung in Österreich wurden aufgelassen.

Die zweite Republik Österreich ging im wesentlichen wieder auf die fünfjährige Lehrerbildungsanstalt nach den österreichischen Lehrplänen von 1932 zurück, führte aber im Schuljahr 1945/46 in den ersten Jahrgängen den Lehrplan der Lehrerakademie von 1937 unter zeitgemäßen Abänderungen und unter der Bezeichnung „Lehrerbildungsanstalt“ ein (Latein und eine verbindliche lebende Fremdsprache). Die übrigen Jahrgänge läßt man mit entsprechenden Modifikationen im Sinne des zu betonenden österreichischen Geistes in der Lehrerbildung „auslaufen“.

Die gegenwärtige unbefriedigende Lage in der österreichischen Lehrerbildung ist also durch das politische Zeitgeschehen seit dem Einbruch des Nationalsozialismus und nicht als Ergebnis bewußter Planung entstanden. Manches, was Dr. Otto V i c e n z i in seinem Artikel „Um die Lehrerbildung“ („Die Furche“, 3. Jahrgang, Nummer 4) als negativ anführt, trifft nur einen vorübergehenden

Zustand und könnte das Bild dieser immerhin bewährten Bildungsstätte in Kreisen von Nichtfachleuten verwirren. Schließlich stellen auch die Mittelschulen v.on heute mit ihrem aus den letzten Jahren überkommenen Erbe „pädagogische Kuriosa“ dar. und von manch anderer Schultype gilt dies ebenso. Auch das verstärkte Sprachstudium, von dem Doktor Vicenzi spricht, geht nicht auf die „Unent-schlossenheit der Lehrplangestalter“, sondern auf zeitbedingte Faktoren zurück. Übrigens wird das Studium dreier moderner Fremdsprachen an keiner Lehrerbildungsanstalt Österreichs verlangt. Mit Recht aber spricht man von einer Gefährdung des Charakters de r L e h r e r b i 1 d u n g s a n s t a 11 als einer Berufsschule durch Verquickung ihrer spezifischen Bildungsaufgaben mit denen der Mittelschule. Von diesem Sachverhalt wird jede Reform der Lehrerbildung auszugehen haben. Tatsächlich haben mit ihren Plänen einer künftigen Stätte der Lehrerbildung in hochschulmäßiger Art nach Absolvierung einer allgemeinbildenden Mittelschule oder der Fortführung des Lehrerseminars in der verbesserten Form der Lehrerakademie als einer Berufsschule schon vom 14. Lebensjahr an die Gegner und die Freuade des bisherigen Lehrerseminars ihre Fronten bezogan. Bedauerlicherweise wird die leidenschaftslose

Prüfung dieser Frage von rein bildungstheoretischen und b'erufspraktischen Gesichtspunkten aus vielfach getrübt durch standes-und parteipolitische Erwägungen, deren Starrheit die ruhige und sachliche Diskussion wesentlich erschwert. Andererseits kann wieder die erfreuliche Feststellung gemacht werden, daß die Fronten nicht eindeutig parteimäßig besetzt sind. Es gibt Freunde und Gegner der auszubauenden Lehrerbildungsanstalt und Freunde und Gegner des Beginnes der Lehrerbildung erst nach Absolvierung einer Mittelschule in allen Parteilagern, wenn auch die Bildungsprogramme der einzelnen Parteien bereits festgelegt sind.

Diese kurze Überschau der Entwicklung in der österreichischen Lehrerbildung vom Reichsvolksschulgesetz bis in die Gegenwart zeigt durchaus fortschrittliche, dabei aber besonnene und wohldurchdachte Maßnahmen, die kostspielige und sprunghaftrevolutionäre Wege vermieden und eine Vertiefung der Berufsbildung in organischem Weiterbau anstrebten. Standespolitische Forderungen wurden soweit berücksichtigt, als sie eben mit den wesenhaften Grundlagen der Lehrerbildung zu vereinen sind. Jedenfalls wurden diese Bestrebungen 1937 gekrönt durch die glückliche Schöpfung der sechsjährigen Lehrerakademie. Auch der Zweig der Lehrerbildung innerhalb des österreichischen Bildungswesens konnte wie das gesamte Schulwesen Österreichs wohl bestehen im Vergleich zum Schulwesen Deutschlands, in das wir nach 1938 gründlichen Einblick zu nehmen reichlich und unerfreulich genug Gelegenheit hatten. Mit dem Zusammenbruch des deutschen Schulwesens wurde es still um die so oft auch in Österreich als vorbildlich hingestellte, uferlos experimentierende Lehrerbildung des Reiches in den Jahren nach 1918. Viele Um- und Abwege blieben uns hierzulande erspart. Möge auch diese Tatsache berücksichtigt werden beim kommenden Wiederaufbau der österreichischen Lehrerbildung!

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