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Die Parteien und die Familien

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Es ist eine belegbare Tatsache, daß die von den Familienorganisationen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre in die Wege geleitete Familienpolitik fast ausschließlich bei christlichen Politikern Verständnis und Unterstützung fand. Allerdings lange nicht bei allen. Soweit es neben dem Bekenntnis zur Idee eines politischen Einsatzes bedurfte, bildeten diese in der ÖVP keine Mehrheit. Ausschlaggebend aber blieb, daß sie da waren, daß sie entschlossen anpackten und es immer wieder verstanden, die durch die bündische Gliederung nicht immer zielstrebige und durch ihre tagespcili-ti sehen Interessen oft nicht gerade ideenmächtige oder die Präsenz des Christlichen im öffentlichen Leben entscheidend fördernde Politik der ÖVP auf die Grundsätze einer christlichen Familienpolitik zu verpflichten. Und wenigstens auf einen Teil der daraus folgenden Taten.

So war es schon zu einer Zeit, als der Ausdruck Familienpolitik im öffentlichen Leben noch keinen guten Klang hatte und die familienfeindlichen Zeitumstände ihrem Nachkriegshöhepunkt entgegengingen. Wo aber war da jene politische Richtung, die durch ihre Sprecher heute bei jeder passenden Gelegenheit lautstark verkünden läßt, immer schon Vorkämpferin für die Familienidee, für die Rechte der Familie gewesen zu sein? Wo war sie damals, als die wirtschaftliche Not unserer Familien groß war und die snobistische Dünkelhaftigkeit ihrer gesellschaftlichen Abwertung zum guten Ton gehörte? Wer war es, der das mühsame Beginnen der organisierten Selbsthilfe der Familien jahrelang totschwieg und später, als ihre gesellschaftspolitische Wirksamkeit nicht mehr zu bagatellisieren war, mit unsachlicher Polemik als „reaktionäre Interessenverbindung“ auf das heftigste bekämpfte? Wir schauen nicht gerne zurück in jene familienpolitisch dunkle Vergangenheit, aber man zwingt uns durch eine die Wirklichkeit auf den Kopf stellende Propaganda dazu,

Es ist also eine ebenso belegbare Tatsache, daß die Führungskräfte der SPÖ bis zur Änderung ihres Parteiprogramms in den letzten fünfziger Jahren unverscnleiert familienfeindlich waren, programmatisch und praktisch. Ausnahmen gibt es immer (zum Beispiel der verdienstvolle, auf die Gesamtinteressen des Volkes bedachte verstorbene Präsident des ÖGB, Johann Böhm). Die vieljährigen derben Auslassungen des sozialistischen Zentral-organes — der AZ — gegen die parteipolitisch unabhängige Initiative der Familienbewegung ließen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Es ging eindeutig gegen die Sache der Familienpolitik, nicht um die propagandistische Neutralisierung der Konkurrenzpartei. Wer das nicht glaubt, möge es im Schrifttum der SPÖ nachlesen.

Im Laufe der Zeit aber mußten die Sozialisten erkennen, daß s i e die „Reaktionäre“ waren, die das Heraufkommen einer neuen Zeit mit einem neuen Familienbewußtsein und die Verwirklichung der von ihm geforderten Maßnahmen zum Schutze und zur Stärkung der Familie mit aller Gewalt zu verhindern suchten. Programmwechsel und Führungsänderung gegen Ende der fünfziger Jahre waren ein Anlaß zur Neuorientierung ihrer Politik auch auf diesem Gebiet.

So wie die Zustimmung der SPÖ zu dem am 1. Jänner 1955 in Kraft getretenen Familienlastenausgleichsge-gesetz im Zusammenhang mit dem Schock bei der Auswertung der Volkszählung von 1950 in der Hauptsache auf die Einsicht zurückzuführen war, daß eine Fortdauer des (damals anhaltenden) bevölkerungsmäßigen Abganges (mehr Sterbefälle als Geburten) auch zum Zusammenbruch der Einrichtungen der kollektiven sozialen Sicherheit führen müsse, so ist auf der einen Seite ihre Einstellung zur Familienpolitik bis heute auf dieser bevölkerungspolitischen Hauptmotivierung steckengeblieben (freilich auch die zahlreichen ÖVP-Politiker). Wenngleich der bevölkerungspolitische Aspekt im Hinblick auf die friedliche Selbsterhaltung und Selbstbehauptung des eigenen Volkes für jedes Land eine außerordentliche Bedeutung hat, ist aber mit diesem Aspekt das Wesen der Familienpolitik keineswegs erfaßt. Anderseits ruht das neue „familienpolitische“ Verständnis der Sozialisten auf der falschen Ideenverbindung Familienpolitik-Fürsorge, von der sie sich ebenfalls nicht lösen zu können scheinen. Zuletzt hat dies ihr Sprecher bei der parlamentarischen Behandlung der zum 1. Juli 1962 in Kraft getretenen neuen Maßnahmen im Familienlastenausgleich, Dr. Staribacher, erneut und sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Bevölkerungspolitisches und Fürsorgedenken sind aber wesensgemäß unrichtige Elemente einer sachgerechten Familienpolitik.

Wenn es sich bei der auch heute noch fehlenden problemspezifischen Erfassung der Familienpolitik um eine „nicht böse gemeinte, ideologisch bedingte, traditionsverhaftete Sichttrübung“ der Sozialisten handelt (auch manche bürgerliche Politiker haben noch nicht begriffen, was Familienpolitik ist und will), die zwar nach der intensiven,1 zehnjährigen fachlichen Aufklärungsarbeit der1Pämillenbe'we-gung auch nicht mehr ohne weiteres entschuldbar ist, muß man der SPÖ doch ein spezielles Faktum schwer anlasten: ihr nach wie vor geübtes tätiges Unrecht an den kinderreichen Familien. Dieses Unrecht ist um so schwerwiegender, als es den vorgegebenen zentralen Beweggründen des sozialistischen Handelns (immer den am meisten Benachteiligten zuerst und wirksam helfen) eklatant widerspricht. Alle seriöse zahlenmäßige Fundierung der leicht überprüfbaren Tatsache der ungerechten Benachteiligung der Kinderreichen und alle Appelle durch lange Jahre hindurch konnten bisher den sozialistischen Widerstand gegen eine wirksame Entlastung der nach wie vor arg deklassierten und im Schatten der Konjunktur stehenden kinderreichen Familien (mit einem einzigen Erwerbseinkommen) nicht beseitigen.

Man kann ohne Übertreibung behaupten, daß die sozialistische Haltung zur Frage der Entwicklung des Familienlastenausgleichs bis heute ausgesprochen unsozial war.

Auch sei noch vermerkt, daß die SPÖ bis heute gegen eine wirksame Anhebung der steuerlichen Kinderermäßigung wie auch gegen den Einbau eines befriedigenden Familienartikels in die Bundesverfassung eingetreten ist.

Es wurde deutlich vermerkt, daß zahlreiche Politiker auch der ÖVP noch nicht wissen, worum es bei der Familienpolitik geht beziehungsweise daß deren familienpolitische Aktivisten keine Mehrheit in ihrer Partei bilden. Immerhin aber haben sich zahlreiche und einflußreiche ihrer katholischen Politiker von Anfang an mit Zähigkeit über ihre Partei für eine Verwirklichung der wichtigsten Forderungen der Familienbewegung selbstlos eingesetzt, und sie können für die bisherige Entwicklung einer nach christlichen Grundsätzen eingeleiteten Familienpolitik hinsichtlich der gesetzmäßigen Verwirklichung den Löwenanteil für sich in Anspruch nehmen.

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