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Die richtigen Leute erhalten !

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Die neun Monate sind zu Ende. Jene neun Monate, die nach Ansicht von Politikern genügen, um aus Schülern, Landarbeitern, Handwerkern und sonstigen jungen Zivilisten Soldaten zu machen. Die neun Monate sind zu Ende und man fragt sich nun, ob sie auch tatsächlich Gelegenheit gegeben haben, das gesteckte Ziel zu erreichen.

Früher, als das Kriegshandwerk noch wesentlich einfacher war, als für den Infanteristen und Kavalleristen, aber auch für den Kanonier in kürzerer Zeit ein brauchbarer Ausbildungsstandard erreicht yerden konnte, dienten die jungen Männer drei Jahre. Dies natürlich deshalb, um die Armee in notwendiger Stärke aufrechtzuerhalten, aber auch, um in dieser Zeit Chargen heranzubilden, die dann, als sie sahen, daß man beim Heer etwas werden konnte, blieben, Unteroffiziere wurden und dem Vaterland bis zum Pensionsalter dienten.

Die neunmonatige Dienstzeit und andere Begleitumstände, wie die wirtschaftliche Konjunktur und nicht zuletzt das Zögern des Staates, den Soldaten reinen Wein über ihre Zukunftsmöglichkeiten einzuschenken, haben beim Aufbau des neuen österreichischen Bundesheeres Schwierigkeiten geschaffen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Die Kürze der Ausbildung läßt nur noch zu, aus dem jungen Mann einen einfachen Infanteristen zu machen — nicht mehr. Hat er dieses Ziel erreicht, hat er eine gewisse Disziplin, ein Einordnen in den großen Apparat gelernt, kann er sich im Gelände bewegen, die einfachsten Waffen des modernen Heeres bedienen, dann geht er wieder. Handelt es sich bei ihm nun um einen Infanteristen, einen Angehörigen einer Versorgungskompanie oder um sonst einen technisch nicht weiter zu bildenden Soldaten, dann könnte man den erreichten Ausbildungsgrad noch hinnehmen, vor allem dann, wenn die Gewähr von Waffenübungen oder die Eingliederung in einen Landsturm mit zeitweiligen Hebungen gegeben wäre. Aber zunächst sind ja sowohl die Länge der Dienstzeit wie auch die Waffenübungen ein Politikum, dessen Lösung mit notwendigen Gegebenheiten nichts zu tun hat.

Bleiben wir aber bei der Infanterie. Selbst bei ihr hat die kurze Dienstzeit bereits ihre negativen Auswirkungen gezeigt. Zunächst hat sie zum Beispiel hinsichtlich der Kraftfahrer dieselben Schwierigkeiten, wie die anderen Waffengattungen. Denn die moderne Infanterie ist, mit Ausnahme der Gebirgstruppen, vollmotorisiert. Man hatte ursprünglich die Absicht, zur Schulung als Kraftfahrer nur Leute heranzuziehen, die sich auf mindestens fünfzehn Monate verpflichten. Als man nicht genug Freiwillige dieser Art fand, mußte man auf Neun-Monate-Diener zurückgreifen, die ihre Einheit, kurz nachdem sie ausgebildet waren — und zwar auf Staatskosten als Fahrer ausgebildet waren —, verließen. Damit sind diese Einheiten nun wieder dort, wo sie zur Zeit ihrer Aufstellung waren: Sie haben als Fahrer ihr ursprüngliches Stammpersonal aus der B-Gendarmerie und vielleicht noch den einen oder anderen länger verpflichteten Jungmann dazu. Das ist eine gefährliche Situation, denn die Stärke eines kleinen Heeres liegt in seiner Feuerkraft und seiner Schnelligkeit. Und für die Schnelligkeit sorgt die Vollmotorisierung, die aber ohne Fahrer hinfällig ist.

Ebenso beunruhigend, aber auf weitere Sicht noch viel gefährlicher, ist die Situation im Hinblick auf die Heranbildung von Chargen und damit des Rückgrates der Armee, des Unteroffizierskorps. Hier hat politischer Unverstand noch viel mehr gesündigt als in allen anderen Sparten des Heeres. Zunächst ist man auch hier gezwungen, Leute zu Chargen zu machen, ehe die große Mehrzahl jener, die ernannt werden, das militärische Wissen und die innere Reife dazu haben, anderen jungen Menschen vorgesetzt zu werden. Auch hier war zunächst beabsichtigt, Chargen erst nach Abdienen der Mindestzeit und Weiterverpflichtung zu ernennen, denn nicht umsonst benötigte im ersten Bundesheer der Soldat etwa achtzehn Monate, um Gefreiter zu werden, und nur der Maturant, der immerhin eine andere Vorbildung hatte, schuf es in sechs. Monate harter Ausbildung spielen im Heer eine Rolle und es ist durchaus nicht abwegig, wenn man einem jungen Soldaten nach sechs Monaten Dienstzeit die Reife zum Führen noch abspricht und sie ihm dann nach einigen weiteren Monaten zubilligt. Ganz abgesehen von der Selbstsicherheit, die sich auf größere Kenntnis der Materie stützt. Angesichts der kurzen Dienstzeit werden nun Chargenkurse bereits zu einer Zeit abgehalten, zu der der Soldat normalerweise noch selbst intensiv ausgebildet und zum Soldaten — nicht aber zum Führer — gemacht werden sollte. Und auch hier ist das Resultat größtenteils dasselbe wie bei den Kraftfahrern: Die jungen Gefreiten verlassen das Heer, das soviel Mühe aufgewandt hat, um sie zu schulen, gerade dann, wenn sie als Ausbildner zum ersten Male in Erscheinung treten sollen.

Noch viel krasser ist die Lage selbstverständlich bei jenen Waffengattungen, deren Waffen und Geräte eine viel kompliziertere Ausbildung erfordern als die Infanterie. Denn auch bei diesen ist selbstverständlich die Infanterieausbildung das Grundsätzliche. Dazu kommen aber dann die Geschütze der Artilleristen, die komplizierten Meßgeräte, die Funkgeräte, die Panzer, das Pioniergerät, die Sanitätsausbildung…eben all die Vielfalt an Waffen und Geräten an denen die jungen Soldaten nicht nur ausgebildet, sondern an denen sie auch Fachleute und Kommandanten werden sollen.

Wenn man sich also heute mit einem Kompaniekommandanten unterhält und ihn über die Lage in seiner Kompanie befragt, wird man klipp und klar zur Antwort bekommen: Wir haben zuwenig Offiziere, wir haben zuwenig Unteroffiziere, wir haben zuwenig Chargen und bei den letzteren ist der Großteil noch lange nicht soweit, um tatsächlich zu führen oder als Ausbildner zu fungieren.

Wie kann aber dieses Fehlen von Führern, das die Armee von innen schwächt und über das die schönste Parade und der schneidigste Monöver- angriff nicht hinwegtäuschen kann, behoben werden?

Um zunächst weiter von den Jungmännern zu sprechen, die als erste zum neuen Heer einrückten. Sie waren willig. Sie waren um nichts schlechter als ihre Väter und Großväter. Sie fügten sich in eine Ausbildung, die vielleicht nicht ganz so hart war, als die ihrer Vorgänger, die ihnen aber doch auch oft das Letzte abverlangte. Sie waren zum großen Teil gern dabei, sie waren stolz auf ihr Abschneiden bei der Parade und zeigten sich bei den Manövern bei Sonnenhitze und Wolkenbruch als brave Soldaten. Und dennoch, als die Zeit um war, gingen, bis auf einen sehr kleinen Rest, alle. Der erste Grund liegt in der wirtschaftlichen Konjunktur. Man verdient eben im Zivil mehr als beim Militär. Das ist in anderen westlichen Ländern ebenso, und diese haben sich daher, wollten sie Soldaten haben, auf die wirtschaftliche Lage eingestellt. Das heißt, der Soldat darf schon während des Abdienens der ordentlichen Präsenzdienstzeit, aber vor allem nach Weiterverpflichtung nicht das Gefühl haben, seinen Freunden im Zivil nachzustehen. Er muß daher ein anständiges Grundgehalt beziehen. Dazu aber muß man, wie im Zivil, seine Leistung würdigen, und zwar dadurch, daß man, wie das in vielen Armeen schon lange üblich ist, Sonderleistungen entsprechend bezahlt. Ein ausgebildeter Mechaniker der Panzertruppe, ein Funker, der entsprechende Prüfungen abgelegt hat, ein Waffenmeister, aber auch ein im Schriftverkehr und der Buchhaltung versierter Mann muß nach Ablegen von Prüfungen eine Zulage bekommen. Dasselbe gilt für den Sanitäter, den Koch und andere.

Wenn man aber entsprechend zahlt, dann kann man auch Dienste verlangen, und hier müßte zunächst einmal eine Verlängerung der Dienstzeit ernstlich erwogen werden. Denn erstens wird man dann von den Chargen und Spezialisten schon während ihrer Präsenzdienstzeit etwas haben, und zweitens werden viele, wenn sie einmal auf die Möglichkeiten aufmerksam geworden sind, die das Heer bietet, sich weiterverpflichten. Dazu gehört dann allerdings noch eine Komponente: die der gesicherten Zukunft.

Die derzeitigen Unteroffiziere sind noch durchweg Angehörige der ehemaligen B-Gendarmerie. Sie haben nun schon seit Jahren von Versprechungen gelebt und immer wieder gehofft, endlich zu erfahren, was ihrer harrt. Sie wissen heute noch nicht mehr als vor Jahren, als man ihnen angesichts der Besatzung keine Zusagen machen konnte. Sie wissen nur, daß sie, falls sie sich weiter verpflichten, um einige hundert Schilling im Monat ärmer werden und nach neun Jahren auf der Straße stehen. Viele haben daher eine Zwischenlösung, die Verpflichtung auf weitere zwei Jahre, gewählt, die noch zu den bisherigen Bedingungen möglich ist. Viele aber sind gegangen. Und zwar unter ihnen jene Fachleute, die keine Angst haben, im Zivil eine gute Anstellung zu bekommen. Jene Mechaniker, Kraftfahrer und sonstige Unteroffiziere, die das Heer dringend benötigt. Und der Rest geht in zwei Jahren — wenn bis dahin nicht faire Abhilfe geschaffen wird. Und fair bedeutet hier einzig und allein die Sicherung der Zukunft, entweder durch die wünschenswerte Wiedereinführung des Berufsunteroffiziersstandes oder zumindest durch eine garantierte Uebernahme in Bundes-, Landes- oder Gemeindedienst. Diese Lösung wird dem Heer nicht nur jene Unteroffiziere erhalten, die es bereits hat, sondern es wird damit auch jenen Jungmännern von heute ein Anreiz gegeben, sich weiterzuverpflichten und die Unteroffiziere von morgen zu werden.

Und schließlich noch ein Wort zu den Offizieren. Es ist zwar erst kürzlich von zuständiger Seite erklärt worden, daß das Bundesheer genügend Offiziere habe oder nach der Ausmusterung der nächsten Militärakademiker haben werde. Bei der Truppe sieht man die Zukunft nicht so rosig. Es gibt genügend Kompanien, die außer ihrem Kommandanten keinen anderen Offizier haben. Es sollen neue Kompanien aufgestellt werden, doch für diese gibt es keine Offiziere. Gerade über diesen Engpaß werden auch die neuausgemusterten Fähnriche und Leutnants nicht hinweghelfen. In guten Stellen der Privatwirtschaft und Industrie Sitzen viele fähige Männer, die als Soldaten und Zivilisten ihr Können unter Beweis gestellt haben. Viele von ihnen zieht es zum Militär zurück. Aber sie kommen nur dann, wenn man ihnen zumindest Gerechtigkeit widerfahren läßt. Und Gerechtigkeit bedeutet in diesem Fall die volle Anrechnung auch der Zivildienstzeit. Denn warum soll ein Fähnrich zum Hauptmann avancieren, nur, weil er die Zeit nach Kriegsschluß bei der Post oder Bahn verbracht hat, während der andere als Leutnant oder Oberleutnant mit 37 oder mehr Jahren einrücken muß, weil er dieselbe Zeit als Prokurist, Bauleiter oder Landwirt verbrachte?

Es kann auch, wie die Erfahrung des letzten Maturajahrganges gezeigt hat, in nächster Zeit nicht mit besonderem Interesse seitens der Mittelschüler gerechnet werden. Auch eine Werbebroschüre des Landesverteidigungsmirii- steriums, in der darauf hingewiesen wurde, daß der Offiziersberuf mehr sei als ein „Job”, konnte sie nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß ein „Job” eben mehr Geld einbringt oder anderseits eine Staatsstellung außerhalb der Armee nicht deren Nachteile mit sich bringt. Denn es ist nun einmal so, daß der mit dem Offizier gleichrangig eingestufte und bezahlte Beamte normalerweise nach festgelegter Bürozeit arbeitet und nicht bei Nacht und Nebel ins Gelände muß, daß er in seinem Bett schläft und nicht in einem nassen Zelt oder einem Graben, daß er nicht durch Munition und Explosivstoffe oder bei Katastropheneinsätzen gefährdet wird und daß er nicht von einem Tag auf den anderen von der Familie weg in irgendeine verlassene Gegend geschickt wird.

Es ist richtig, daß Militärdienst mehr ist als ein „Job”. Jene, die ihn wählen, sind bereit, viel von ihrer persönlichen Freiheit aufzugeben und viele Härten auf sich zu nehmen. Das mindeste, das sie dafür verlangen können, ist eine Bezahlung und Behandlung, die diesen Tatsachen Rechnung trägt. Es ist unmoralisch vom Staat, wenn er sich um diese Verpflichtung drückt, während andere bereit sind, ihre Pflicht bis zum Letzten zu erfüllen. Außerdem werden sich bald nicht mehr viele finden, die bereit sind, dies zu tun, wenn der Staat sie im Stiche läßt.

Noch ist Oesterreich von den ersten Proben des Bundesheeres beeindruckt. Aber bald könnte sich das Blatt wenden, wenn nämlich das Gerippe des Körpers, wenn das Offiziers- und Unteroffizierskorps zerfällt.

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