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DIE SCHULE DER ZUKUNFT?

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Das Tempo, in dem sich das Fernsehen über die Welt ver-breitet, ist eines der bedeutsamsten technologischen und kulturellen Phänomene unserer Zeit. Es gibt jetzt weit über hundert Millionen Fernsehgeräte in der Welt, und die Zahl steigt täglich weiter an. Gleichzeitig wächst überall in der Welt der Bedarf an Information und Bildung.

In der Verfassung der UNESCO heißt es, daß die Organisation „mitarbeite am Werk, die gegenseitige Kenntnis der Völker durch alle Mittel der Massenkommunikationen zu fördern“. Diesem Zweck dient die Studienreihe „Presse, Film und Radio in der Welt der Gegenwart“, die von der Weltorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur herausgegeben wird. In dieser Serie ist ein umfassender Bericht über die Möglichkeiten der Verwendung des Fernsehens für Unterricht und Erziehung erschienen: „Tel'evision Teaching Today“ von Dr. Henry R. Cassirer, einem leitenden Funktionär det Abteilung für Massenkommunikation der UNESCO.

T T ber die sehr verschiedenen langjährigen Versuche des Schul-fernsehens in den USA berichtet der erste Teil des Buches. Schon 1956 hat der „Gemeinsame Rat für das Schulfernsehen“ festgestellt, daß die Zahl der Schulprogramme sich bis dahin jährlich verdoppelt hatte. Seither ist das Tempo der Zunahme noch schneller geworden. Dennoch wird angenommen, daß erst etwa zwei Prozent der Schüler und Studenten einen wesentlichen Teil ihres Lehrstoffes vom Fernsehen erlangen. Allerdings erreicht das Schulfernsehen in den USA ein wesentlich größeres Publikum als die eigentliche Schülerschaft, nämlich deren Geschwister im Vorschulalter und die Eltern sowie Kinder, die aus gesundheitlichen oder örtlichen Gründen nicht die Schule besuchen können, ferner Rentner und Pensionisten und überhaupt Erwachsene, die seinerzeit die Schule nicht beenden konnten.

Zwar gibt es Schulen — wie etwa in Hagerstown (Maryland), einer Stadt mit etwa 45.000 Einwohnern —, die für sich ein nicht öffentliches Schulfernsehen eingerichtet haben, aber meistens sind die Schulprogramme Sendungen der lokalen Fernsehstationen. In beiden Fällen hat die Praxis erwiesen, daß der beste Erfolg in der Klasse erzielt wird, wenn der Lehrer während der Sendung, die (wie übrigens in allen Ländern) zwanzig bis dreißig Minuten dauert, im Klassenzimmer daran teilnimmt. Denn selbst innerhalb eines Jahrganges hat jede Klasse ihr individuelles Niveau, auf das kein Programm entsprechend eingehen kann. Hier muß der Klassenlehrer, der meistens schwächer klassifiziert ist als der hochwertige Fernsehlehrer, ergänzend eingreifen.

Die Vereinigten Staaten sind das erste Land gewesen, wo das Fernsehen in den Colleges und Universitäten angewandt wurde. Allerdings muß ittäh dafee bfcdenkenodaß da LehrpM.,, gramm der amerikanischen Hochschulen sich -vielfach von dem der europäischen Hochschulen unterscheidet. In einem Punkt sind die amerikanischen den europäischen Hochschulen voraus: die dortigen Lehrkanzeln für Zeitungswissenschaft, Massenkommunikation und Rhetorik bilden ihre Studenten auch in der Produktion von Fernsehprogrammen aus, und sie untersuchen die Wirkung des Fernsehens auf die Gesellschaft.

Die im Fernsehen gelehrten Gegenstände umfassen Mathematik, Naturwissenschaften, Englische Wirtschaftskorrespondenz, Rhetorik, Bürgerliches Recht, Astronomie, Kinderpsychologie, Fremdsprachen, Literatur, Malerei, Musik, Architektur, Ästhetik u. a. sowie schon früher Medizin und Zahnheilkunde, die sich Ja besonders zur Darstellung im Fernsehen eignen. Es war eine große Überraschung für alle Beteiligten, daß das „Sonnenaufgangsemester“ in New York hunderttausende Hörer erreichte, die gerne um 6.30 Uhr morgens den Apparat aufdrehten, um vor Beginn ihrer Arbeit College-Kurse zu sehen und zu hören. Der Erfolg zeigte sich im Verkauf von Lehrbüchern und Lesestoff, die in diesen Kursen empfohlen wurden.

Die Entwicklung der magnetischen Bildaufzeichnung hat neue Möglichkeiten der Speicherung von besonders guten Sendungen eröffnet. Zudem gibt dieses Verfahren dem Fernsehlehrer die Möglichkeit, sich selbst zu sehen und daraus Erfahrungen zu gewinnen. Das Schulfernsehen wird auch zunehmend in der Lehrerbildung eingesetzt. Professor Dr. Thomas Clark Poolock von der New York University, sieht daher im Fernsehen „die beste Möglichkeit zur FördeiMng »der1 Erziehung seit der Einführung des BuchdruckethoV ob »ikih (nw

Natürlich ist in allen Ländern der Zwang, ständig wachsenden Schülerzahlen einen ständig wachsenden Lehrstoff zu vermitteln, in Verbindung mit dem Lehrermangel ein wesentlicher, ja häufig der entscheidende Grund für die Einführung des Schulfernsehens — so auch in Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und UdSSR. Die Wirkungsmöglichkeiten des Schulfernsehens hängen wesentlich von der Zahl, der Fernsehapparate in den einzelnen Gegenden ab. Dr. Cassirers Untersuchung hat eine überraschend große Spanne in den Kosten des Schulfernsehens und der notwendigen Empfangsausrüstung erwiesen. Neue Methoden der Aufnahme (Vereinfachung der Kameras), der Konservierung von Vorträgen (magnetische Bildaufzeichnung) und der Übertragung mit Hilfe von Flugzeugen und Satelliten ergeben neue Möglichkeiten. So wie Lehrbücher nicht bloß gedruckte Versionen der Unterrichtsstunden sind, so kann das Schulfernsehen erst richtig wirksam sein, wenn es seine eigene Sprache benützt.

Vor dem Bildschirm

EINE VORZÜGLICHE LEISTUNG erbrachte das Österreichische Fernsehen mit der Eigenproduktion des dramatischen Possenspieles von Peter Preses und Ulrich Becher, „Der B ok-ker er“. Diese Zeitsatire um den ehrsamen Wiener Fleischhauer, der mit seiner teils echten, teils gespielten Naivität Terror und Wahnwitz erfolgreich die Stirn bietet, wurde zu einem in jeder Weise überzeugenden Fernsehspiel. In der langen Liste der Mitwirkenden verdiente ein jeder, einzeln genannt zu werden. So sei hier, stellvertretend für alle anderen, nur Fritz Muliar erwähnt, der als Träger der Titelrolle eines der — viel zu seltenen — Beispiele seiner großartigen Schauspielkunst gab. Die Kameraführung transformierte das Spiel in den weiträumigen Dekorationen von Walter Dörfler in vorzüglicher Weise in die Dimensionen des Bildschirms. Der vom Deutschen Fernsehen her vielfach bekannte Michael Kehlmann gab ein eindrucksvolles Regiedebüt im Österreichischen Fernsehen.

ENTTÄUSCHEND war die vom Deutschen Fernsehen übertragene Sendefolge „Tim Frazer“ von Francis Durbridge. Ganz abgesehen davon, daß die Aufteilung einer solchen Sendung auf sechs Abende etwas zu weit geht, fehlten in diesem Spiel wesentliche Merkmale eines Kriminalstückes: Es gab weder eine Tat noch einen Täter. Die beiden Morde waren itt dem unterirdischen Kampf zwischen Spionage und Abwehr gewissermaßen nur Nebenerscheinungen. Und so war diese Sendefolge im einzelnen zwar manchmal recht aufregend, im ganzen aber nur wenig spannend. Daran konnten auch die vorzüglichen Darsteller, die unter der Regie von Hans Quest ihr Bestes gaben, nichts ändern.

EIN UNGETRÜBTER GENUSS ist stets die Sendung „Für den Markenfreund“ von und mit Dr. Alexander Kalmar. Die persönliche und doch distanzierende Art, mit der Doktor Kalmar den Fernsehzuschauer — jeden einzelnen Fernsehzuschauer! — anspricht, kann als Vorbild für alle derartigen Sendungen gelten. Dabei ist auch dafür gesorgt, daß sogar der Nichtmarkensammler auf seine Rechnung kommt: Einerseits versteht es der Autor und Sprecher, über die ihm sichtlich ans Herz gewachsene Materie so zu plaudern, daß sich auch derjenige angesprochen fühlt, der keine engere Beziehung zum Briefmarkeusammeln hat-, anderseits erfährt man durch die eingeblendeten kurzen Filmstreifen manch Interessantes über das Ursprungsland der einzelnen Marken oder über den Anlaß ihrer Entstehung. Vielleicht könnte man manchmal sogar noch unmittelbarer aus den Darstellungen der Marken heraus den Blick auf die ihnen zugrundeliegenden historischen, kulturgeschichtlichen und sonstigen Tatsachen und Geschehnisse erhalten.

IN DREI TAGEN gedreht wurde der Filmbericht des aktuellen Dienstes „B o mbay.erle h,t und ge dr eh t, i n ,d r e i Tagen“ taut Titel. Und iV«fc^lfc,^,&' er auefraus. Kunterbunt waren da Bilder aneinandergereiht, ^Berichte und Tatsachen. So erfuhr der Zuschauer zwar manches interessante Detail, aber Bombay erlebt hat er nicht. Gerade hier aber zeigten sich große Möglichkeiten und Aufgaben des Fernsehens: dem Zuschauer die Welt, in der wir leben, und die Menschen, mit denen wir auf dieser Welt zusammenleben, nahezubringen, indem es ihm Menschen und Welt zum Erlebnis werden läßt.

BESONDERS INTERESSANT war die letzte Sendung der Reihe „Schwarz auf weiß“, vor allem dadurch, daß sie dem Zuschauer den weithin nur als Zeichner seiner Bildgeschichten bekannten Wilhelm Busch auch von einer anderen Seite zeigte: als Zeichner und Maler, der Bilder von wunderbar eindrucksvoller Kraft schuf, die — äußerlich jedenfalls — auf einer ganz anderen Ebene liegen als seine humoristischsatirischen Zeichnungen. So fand sich auch genügend Bildmaterial, um den biographischen Teil des Kommentars in ansprechender Weise zu illustrieren. Das Manuskript zu dieser Sendung stammt von Karl Bednarik-, Erik Frey und Hanns Obonya waren die bewährten Sprecher; Regie: O. A. Eder.

EINE SENDUNG DES SCHULFERNSEHENS sei diesmal auch in den Kreis unserer Betrachtungen gerückt. Der Film „D a s Museum des 2 0. Jahrhunderts“ — nach üblicher Kulturfilmmanier als Folge ständig wechselnder Bilder mit Kommentar und Begleitmusik gestaltet — versuchte, an Hand der Ausstellung „Kunst von 1900 bis heute“ einen Eindruck von dem in Wien aufgestellten und zu einem Museum umgebauten österreichischen Pavillon der Brüsseler Weltausstellung zu geben, einen Überblick über die Ausstellung, eine Einführung in die moderne Kunst, eine Darstellung ihrer Geschichte und eine Deutung ihrer Werke. Ein ziemlich umfangreiches Programm für die knappen 40 Minuten der Sendung. Ob diese Zusammenballung von Themen, Gedanken, Namen und Bildern einerseits und die relativ lange Dauer der Sendung anderseits für den Schulunterricht (die Sendung war für den Gebrauch ab der siebenten Schulstufe, das heißt ab der dritten Klasse Hauptoder Mittelschule deklariert) zweckmäßig ist, mögen die Schulfachleute entscheiden. Wenn man aber aus dem Kommentar so nebenbei erfährt, daß die Bewegung des Kolbenhubes eine kreisende ist (!), so stimmt das auch den Fernsehkritiker nachdenklich; ebenso die Beobachtung, daß sich der Zuschauer durchaus nicht immer über die Zuordnung von Bildern und Namen der Bildautoren im klaren sein konnte, oder daß vor einzelnen Bildern ohne ersichtlichen Grund ein Betrachter erschien — der jedenfalls von dem Bild ablenkte. Auch dürfte es ein problematisches Unterfangen sein, die Forderung, die Linien eines Bildes mit dem Auge zu verfolgen, durch eine Kamerabewegung verwirklichen zu wollen.

EIN SINNSTÖRENDER DRUCKFEHLER hat sich in der letzten Rubrik „Vor dem Bildschirm“ eingeschlichen. In dem Bericht über die Sendung „Kleine Kostbarkeiten großer Meister“ sollte es natürlich richtig heißen: „Die Einblendungen architektonischer Details des Kircheninneren fügten sich gut in den Gesamtrahmen, lagen aber quantita-t i v bereits an der Grenze des für eine Musiksendung Zuträglichen.“

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