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„Die Schwelle ist flach geworden”

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Urängste, Aufrechnung von Toten und Leiden: Das zweisprachige Bildungshaus Sodalitas in Kärnten arbeitet für friedliches Miteinander der Volksgruppen.

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Urängste, Aufrechnung von Toten und Leiden: Das zweisprachige Bildungshaus Sodalitas in Kärnten arbeitet für friedliches Miteinander der Volksgruppen.

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DIEFURCHE: Seit wann gibt es das Bildungshaus Sodalitas? Was ist das Spe-zifikum dieses Hauses? Rektor Joze Kopeinig: Der Name unseres Hauses - Sodalitas -bedeutet Gemeinschaft; gemeint ist die Gemeinschaft der slowenischsprachigen Priester der Diözese Gurk-Klagen-furt. Diese waren nicht nur für die Seelsorge an den slowenischsprachigen Gläubigen verantwortlich, sondern auch für Bildungs- und Kulturaufgaben, auch für wirtschaftliche und politische Anforderungen. So gesehen ist das Bildungshaus Tainach ein Relikt dieser breiten historischen Verantwortung der slowenischsprachigen Priester für ihr Volk. Schon in der Zwischenkriegszeit gab es in den Wintermonaten Bildungskurse in Pfarrhöfen im Gailtal, im Bosental, im Jauntal. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich diese Arbeit der Priester für ihr Volk auf das Bildungshaus Tainach, wobei zuerst Kurse im ehemaligen Augustinerchorherrenstift, im jetzigen Propstei-gebäude, abgehalten wurden. Vor 40 Jahren wurde als Dependance ein Zimmertrakt gebaut, vor 15 Jahren kam ein Neubau dazu, im Vorjahr wurde das Bildungshaus mit der jetzigen Infrastruktur ausgestattet. Die Schwerpunkte von Sodalitas sind ähnlich jenen der übrigen Bildungshäuser Österreichs. Ein Spezifikum ist, daß wir die ungefähr 350 Veranstaltungen im Jahr in beiden Sprachen -slowenisch und deutsch - durchführen. Wir sind ein Haus des Dialoges, der Begegnung zwischen beiden Volksgruppen im Lande. Als slowenische Volksgruppe wollen wir nicht im Ghetto leben, in das uns manche vielleicht hineindrängen möchten; wir bieten hier ein Haus mit offenen Türen, mit Menschen mit offenen Armen und offenen Herzen für alle, die den Dialog im Lande wünschen und diesen Dialog gleichsam als geistige Atmosphäre des Landes leben wollen. Das zweite Spezifikum ist sicher die künstlerische Ausgestaltung des Hauses, die auch im Zusammenhang mit dem Dialog gesehen werden muß: Denn es stellen hier Künstlerinnen und Künstler aus Kärnten, ob slowenisch- oder deutschsprachig, aus allen Staaten Europas, auch aus Übersee -Australien, Amerika - aus Indien und Afrika aus. Gerade über die Kunst kann man den Geist des Dialogs sehr übezeugend vermitteln und dokumentieren.

DIEFURCHE: Wird das in Kärnten angenommen kopeinig: In der Bevölkerung wird unser Haus sehr gut angenommen. Es kommen aus allen Landesteilen Leute zu verschiedensten Veranstaltungen; und es werden immer weniger, die es nicht wagen, die Schwelle des Bildungshauses zu überschreiten, weil sie ja doch wissen, daß es ein Haus ist, das auch der slowenischen Volksgruppe dient. Da waren sicher vor 20 Jahren die geistigen Barrieren viel stärker. Als wir zum Beispiel ein Literaturgespräch über Peter Handkes „Wunschloses Unglück” veranstalteten, habe ich nachträglich von einigen gehört, daß sie am Thema brennend interessiert gewesen Wären, es aber nicht gewagt hätten, in ein sogenanntes slowenisches Bildungshaus zu kommen. Diese Barrieren sind jetzt wirklich flach geworden.

DIEFURCHE: Wie sehen das die Medien, wie steht die Landespolitik zu Sodalitas? kopeinig: Sowohl vom ORF als auch von den deutschsprachigen Medien haben wir spürbares Entgegenkommen, auch eine Regleitung unserer Seminare, wofür wir wirklich dankbar sind - sie kündigen unserer Veranstaltungen an und berichten auch gut darüber.

Von der Landespolitik muß ich sagen, daß trotz der verbalen Bekundungen, unsere Arbeit zu schätzen, dies finanziell noch überhaupt keinen Niederschlag gefunden hat. In den vergangenen Jahren wurden wir immer mit abschlägigen Antworten vertröstet, aus budgetären Gründen könne man uns keine finanzielle Hilfe zukommen lassen. Für die meisten Kärntner ist das total unverständlich - zumal man weiß, daß das Land ohne weiteres bereit wäre, im Lande andere Institutionen, die vielleicht sogar als eine Anti-Institution gegen Tainach errichtet werden, finanziell zu fördern. Nur fragt man sich, warum will man gegen ein Haus der Begegnung und des Dialogs, das zweisprachig geführt wird, das für ein friedliches Miteinander der Volksgruppen im Lande arbeitet, eine andere Institution installieren und finanzieren?

DIEFURCHE: Hat sieh im Verhältnis der Volksgruppen 75 Jahre nach der Kärntner Volksabstimrnung etwas Entscheidendes geändert? kopeinig: Ich glaube schon, daß sich hier etwas in Bichtung zum positiveren Miteinander entwickelt hat. Es wäre zuviel gesagt, wenn ich behauptete, die Probleme von damals seien schon aufgearbeitet. Aber daß wir heutzutage wirklich darüber reden können und auch reden wollen - und zwar von beiden Seiten her — ist auf jeden Fall ein kleiner Fortschritt. Unlängst hat jemand bei einer Diskussion gesagt, es habe mit der Kärntner Schwermütigkeit und Melancholie zu tun, sicher slawischer Patronanz, daß es trotz emotionaler Spannungen zu keinen tätlichen Auseinandersetzungen gekommen ist; ein sehr interessanter Gedanke, der mich sehr angesprochen hat. Es ist auch ein Verdienst der Kirche in Kärnten, daß sich manches zum Besseren -gewandelt hat.

DIEFURCHE: Was hat die Selbständig-werdung Sloweniens fiir die Kärntner Slowenen bedeutet* KOPEINIG: Damit und mit der Demokratisierung Sloweniens kam es zu einer positiven Entwicklung. Es hat einen sehr guten Eindruck gemacht, als die Politiker Sloweniens, zum Beispiel damals Ministerpräsident Lojze Peterle, im ORF auf Slowenisch zu den Österreichern gesprochen haben. Das hat auch uns Slowenen hier einen positiven Auftrieb gegeben; nicht daß wir jetzt dem Nationalismus frönen, sondern wir werden jetzt in der Kärntner Medienwelt als ebenbürtige Partner gehört.

DlEFlJRCHE: Was werfen einander die Volksgruppen heute noch vor? KOPEINIG: Da ist dieser ständig wiederholte Begriff der Urangst der deutschsprachigen Kärntner. Immer wieder wird von uns Slowenen verlangt, daß wir uns möglicherweise 26 Stunden am Tag für den Österreichverbleib bedanken oder Österreichbekenntnisse ablegen sollen. Und in letzter Zeit gibt es Vorwürfe, daß die slowenischen Kulturvereine besser subventioniert würden als die deutschen, wobei man vergißt, daß die Medienlandschaft fast ausschließlich deutsch ist. Sowohl im Badio als auch im Fernsehen schneidet man für uns sehr dünne Scheiben Brot ab. Die slowenische Seite fühlt sich auch im Gebrauch ihrer Muttersprache als Amtssprache benachteiligt. Das ist ein Irrgarten für den, der sich nicht auskennt.

DlEFlJRCHE: Jüngst gab es bei Ihnen eine Veranstaltung zum Thema „Heldenverehrung”. Was ist dabei herausgekommen^

KOPEINIG: ...daß wir differenzierter denken sollten dahingehend, daß oft auch die Täter selbst früher schon Opfer waren und daß die Opfer selber wieder zu Tätern werden. Wir sollten also nicht nur die eigenen Toten ehren, sondern bedenken, daß die andere Seite auch Tote betrauern mußte und daß Totenehrung immer auch eine Sache der Herzenskultur ist. Wenn wir dieses Problem auf der menschlichen Ebene einfühlend behandeln und uns nicht immer wieder gegenseitig die Quantität der Toten und die Qualität des Leidens aufrechnen, sondern bekennen, daß es oft auch schuldlos Schuldige gibt, die ins Netz des Bösen verstrickt waren, dann ist man nicht mehr in der Position der Superiorität gegenüber anderen; dann weiß man, daß jener der in einer solchen Verfechtung gestanden ist, sie in actu vielleicht gar nicht überschau -en konnte, sondern erst nachträglich analysieren kann.

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