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Die stillen Tröster von der Telefonseelsorge

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Mehr als 500.000mal klingelte es bis heute bei der Wiener Telefonseelsorge, die in diesen Tagen ihr 30jähriges Bestehen feiert.

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Mehr als 500.000mal klingelte es bis heute bei der Wiener Telefonseelsorge, die in diesen Tagen ihr 30jähriges Bestehen feiert.

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Es gibt alle Themen, die es im wirklichen Leben gibt, auch am Telefon - in konzentrierter Form” reflektiert Margarethe Hof-hansl über ihre Arbeit bei der Wiener Telefonseelsorge. Sie ist hauptamtlich bei der ökumenisch geführten Notrufdienststelle tätig und eine von 150 überwiegend ehrenamtlichen Mitarbeiter(inne)n. Zusammengerechnet mit ihren inzwischen „pensionierten” Vorgänger(inne)n haben sie seit dem 1. Oktober 1967, als die Einrichtung ihren Betrieb aufnahm, 364.000 Stunden Gespräche geführt. Sie haben sich „Zeit genommen, beim Sortieren von Gedanken zu helfen, zu ermutigen, oder einfach in schweren Situationen bei den Menschen zu bleiben”, resümiert Hof-hansl.

Zum 30jährigen Jubiläum der Telefonseelsorge haben sich viele Gratulanten eingestellt. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl etwa meint: „Ohne die vielen hundert ehrenamtlichen Seelentröster dieser wunderbaren Einrichtung wäre Wien nicht jene noch immer überaus herzliche Weltstadt, als die es sich selbst gerne sieht.” Vizekanzler a. D. Erhard Busek ist überzeugt, daß die Telefonseelsorge „nicht nur vielen Menschen geholfen, sondern so manches Leben gerettet hat”. Und auch Kurt Ostbahn, selbst „Trost-und-Rat”-Spender im neuen Radio Wien, rät seinen Fans: „Wenn Du glaubst, es geht nicht mehr ... ruf die Telefonseelsorge an!”

Die meisten Menschen, die diesen Rat befolgen, haben mit Beziehungsproblemen zu kämpfen: Einsamkeit, Isolierung - besonders im großstädtischen Bereich - und Partnerschaftskonflikte sind die häufigsten Anrufmotive. Aber auch Menschen, die unter Depressionen, Ängsten und Sucht leiden, sowie Suizidgefährdete wenden sich in ihrer Not an die Telefonseelsorge. Ein Drittel der Gespräche wird in der Nacht geführt. Die Zahl der Anrufe ist seit der Gründung der Einrichtung auf mittlerweile 30.000 im vergangenen Jahr gestiegen. Drei Viertel aller Anrufer sind Frauen. Die Statistik zeigt auch, daß überwiegend Erwachsene zwischen dem 30. und dem 65. Lebensjahr die Notrufnummer wählen.

„Ab 30 sagen die Leute nicht mehr wie mit 18: Ich schaff das schon. Man hat nicht mehr dieses jugendliche Vertrauen in die eigene Kraft und sieht sich zunehmend mit Grenzen konfrontiert”, interpretiert Hofhansl. Mit 30 Jahren beginne man sich zu fragen: „Geht es immer so weiter?” und „Wie gestalte ich eigentlich mein Leben?”

Einen Grund für die hohe Akzeptanz und den Erfolg der

Telefonseelsorge sieht Margarethe Hofhansl, die selbst seit 18 Jahren dabei ist, darin, daß es sich um eine „niederschwellige Einrichtung” handelt: „Die Anrufer brauchen keine großen Hürden zu nehmen, um Kontakt zu finden.” Viele Menschen würden Scham darüber empfinden, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Da erleichtert es ein erstes Gespräch, wenn es von zu Hause und im Schutz der Anonymität geführt werden kann”, stellt sie fest.

Absolut verschwiegen

Die Wahrung eben dieser Anonymität, die Erreichbarkeit rund um die Uhr, sowie absolute Verschwiegenheit bilden die Grundprinzipien der Wiener Telefonseelsorge. Den 150 Mitarbeiter(inne)n geht es nicht darum, Ratschläge zu erteilen. Vielmehr wollen sie „offen und verständnisvoll zuhören” und im gemeinsamen Gespräch die Anrufer unterstützen, „ihre eigenen Kräfte und Möglichkeiten wiederzufinden”.

Voraussetzung für die Mitarbeit bei der Notrufdienststelle ist eine einjährige Ausbildung. „Themenzentriert und auf Selbsterfahrungsbasis” sollen die künftigen Telefonistinnen dabei lernen, „wie sie selbst Situationen wie Depression, Einsamkeit, Aggression, Abschied, Tod und so weiter erleben und damit umgehen”, um für die Arbeit am Telefon gewappnet zu sein, so Hofhansl, die selbst Mitarbeiter ausbildet. Idealismus ist für die Mehrheit jener, die sich bei der Telefonseelsorge engagieren, das Leitmotiv. Die Leute wollen „einfach helfen” oder „etwas Sinnvolles außerhalb des Berufes tun”, berichtet Hofhansl aus ihrer Erfahrung.

„Immer wieder kommt es vor, daß wir selbst nicht wissen, was wir mit Gesprächen anfangen sollen”, räumt Hofhansl ein. Deshalb spielt die „Su-pervision”, die „geplante und bewußte Reflexion einer beruflichen oder ehrenamtlichen Arbeit” eine zentrale Rolle im Alltag bei der Wiener Telefonseelsorge. Psychotherapeut und Supervisor Peter F. Schmid, der seit 20 Jahren die Ausbildung leitet, sieht Su-pervision als „Unterstützung der Beratungstätigkeit - durch Beziehung, in der ich jene Hilfe erhalte, die ich anderen anbieten will”.

„Die Telefonseelsorge ist einfach nicht mehr wegzudenken, sie ist etwas, womit die Menschen rechnen können”, so Schmid.

Die 500.000 Anrufe in den letzten 30 Jahren zeigen, daßdas Angebot der „Begleitung in Anonymität” für viele Menschen tatsächlich die Möglichkeit ist', „Trost und Rat” zu finden und Dinge für sich selbst zu offenbaren, die sie sonst niemals zur Sprache bringen würden.

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