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„Die Studentenzahlen sind falsch"

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dieFurche: Was halten sie von der geplanten Studieneingangsphase?

Peter Skalicky: Sehr viel. Ich glaube, daß eine Art L'eistungsfeststellung nach dem ersten Studienjahr oder innerhalb des ersten Studienjahres eine wesentliche Verbesserung wäre.

dieFurche: Manche sprechen von getarnten Knockout-Prüfungen, von einer weiteren Schikane, um die Studentenflut einzudämmen.

Skalicky: Mit einer K.o.-Prüfung zu Studienbeginn, die nicht wirklich fachspezifisch ist, würde man große Talente zur frühzeitigen Aufgabe bringen. Vielleicht scheitert jemand, der ein großartiger Mediziner geworden wäre, an der Physikprüfung im ersten Studienjahr. Eine solche Hürde wäre unfair.

Aber ich bin dafür, daß die Studienkommissionen eine Leistung definieren, die bis zu einem bestimmten Stichtag zu erbringen ist. Die Idee einer Studienein-gangspase ist ja, daß es ein Hemmnis gibt, weiter zu studieren, wenn das Engagement fehlt. Salopp gesagt: Wer am 1. Oktober das Studium beginnt, und nach den Weihnachtsferien wieder in der I lochschule erscheint, der macht auch sein Diplom. Sehr viele schauen aber nur in das Studium hinein, und machen nicht einmal einen Prüfungsversuch.

dieFurche: Wozu dann die Aufregung, wenn ohnehin schon jetzt so viele Studenten ganz zu Beginn ihr Studium aufgeben?

Skalicky: Ich muß mea culpa oder no-stra culpa sagen, daß die Universitäten mit Studentenzahlen argumentieren, die gar nicht wirklich existieren. So hat die TU Wien nominell etwa 22.000 Studenten, wir wissen aber, daß nur maximal 12.000 ein Diplom erwerben werden. Das verfälscht die Statistik. Wenn man aber den Universitäten Vorwürfe macht, weil viele ihr Studium abbrechen, dann müssen wir darauf reagieren. Architektur zum Beispiel hat eine extrem hohe Studienabbrecherquote, aber bei näherem Hinsehen stellt man fest, daß die Leute relativ lang studieren und dann, ohne ihr Studium zu beenden, in einem Architekturbüro zu arbeiten beginnen. Das ist eine biographische Entscheidung eines großjährigen Bürgers und das stört mich überhaupt nicht. Da hat jemand das Bildungsangebot wahrgenommen.

dieFurche: Welche Vorwürfe werden den Universitäten denn gemacht?

Skalicky: Wir würden am Markt vorbeiproduzieren, ineffizient sein und 60 bis 70 Prozent unserer Absolventen würden in den öffentlichen Dienst gehen. Die Universitäten würden in einem Elfenbeinturm leben, außerhalb der gesellschaftlichen Realität - das haben wir uns gerade letzte Woche wieder vom Wissenschaftsminister sagen lassen müssen.

Daß die Universitäten so viele Studenten haben, aber eine Drop-out-Rate von 50 Prozent, ist auch ein oft gehörter Vorwurf; die Schweiz hat halb so viele Studenten wie Osterreich und wesentlich weniger Studienabbrecher. Aber das ist nicht die Schuld unserer Universitäten. Das kommt daher, daß sehr viele Studenten ohne ausreichende Information und ohne ausreichendes Engagement ihr Studium beginnen und dann kein Diplom erwerben. Auf der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, die meiner Universität - der Technischen Universität Wien - häufig als Beispiel vorgehalten wird, bin ich in zehn Semestern Diplomingenieur oder nicht mehr dort. Und das halte ich für einen Fortschritt.

dieFurche: Welche Alternativen zu der Studieneingangsphase sehen sie?

Skalicky: Es wird häufig ins Treffen geführt, daß die Einführung von Studiengebühren einen ähnlichen Effekt* haben könnte: Wenn man für das Studium bezahlen muß, dann engagiert man sich auch dafür; was etwas kostet, ist auch etwas wert. Daran glaube ich nicht. Ich bin gegen Studiengebühren. Man könnte auch Aufnahmeprüfungen durchführen, und die Studienabbrecherquote würde drastisch heruntergehen. In der Sowjetunion zum Beispiel war es außergewöhnlich schwierig, in eine Hochschule zu kommen. Aber wenn man einmal drinnen war, dann hat man mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit auch ein Diplom erworben. Wir haben ein umgekehrtes System: Bei uns kann jeder solange studieren, wie er will. Macht er ein Diplom, ist es gut, und wenn er keines macht, ist es auch gut.

dieFurche: Welches dieser beiden Systeme gefällt Ihnen besser?

Skalicky: Mir gefällt unseres besser. Ich bin ein Anhänger eines liberalen Bildungssystems. Ich halte es für wünschenswert, daß es ein großes Bildungsangebot gibt auch von Fächern, in denen wenige Studenten ein Diplom machen. Aber wenn wir uns das nicht mehr leisten können, dann müssen wir sparen - sowohl bei der Anzahl der Studien als auch beim flächendeckenden Angebot.

Das Gespräch führte

Michael Kraßnitzer.

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