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Digital In Arbeit

Die täglichen, kleinen Schikanen

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Eduard Riha, Mitarbeiter der Osterreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, über Benachteiligungen behinderter Menschen im täglichen Leben.

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Eduard Riha, Mitarbeiter der Osterreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, über Benachteiligungen behinderter Menschen im täglichen Leben.

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Benachteiligung spielt sich auf sehr vielen Ebenen und oft auch unauffällig ab. Der Betroffene nimmt sie sehr wohl wahr, nicht aber seine Umwelt. Wenn ein nicht behinderter Mensch heute Schnupfen bekommt, kann er zu jedem Arzt seiner Wahl gehen und sich behandeln lassen. Ich als Rollstuhlfahrer kann das nicht. Die freie Arztwahl fällt für mich und andere Betroffene weg. Ich muß vielmehr überlegen, ob der betreffende Arzt einen Eingang hat, durch den ich samt Rollstuhl durchkomme. Das gleiche gilt für Besuche im Restaurant, im Kino, beim Einkaufen. Mit einem gewissen Grad an Behinderung und Mobilitätseinschränkung braucht man ein Vielfaches an Planungsaufwand, an Vorbereitung und zusätzlicher Aktivität. Das entspricht sicher nicht der Lebenssituation der restlichen Bevölkerung.

Wenn ich etwa einen Film sehen will, kann ich nicht einfach die Zeitung zur Hand nehmen und schauen, wo dieser läuft, sondern, ich muß

überlegen, in welches Kino kann ich überhaupt hinein? Davon gibt es immer weniger, da bei den aus Großkinos entstandenen Kleinkinos zusätzliche Ebenen eingezogen wurden

Einkaufen stellt ein ähnliches Problem dar. Wien hat sicher durch die 1991 beschlossene Bauordnung einen deutlichen Vorsprung gegenüber den anderen Bundesländern. Viele Verbesserungen und Minimalbedingungen, wie stufenlose Zugänge und Mindest-Liftgrößen, können heute eingefordert werden. Wo es aber um ältere Bausubstanz geht, ist vieles für behinderte Menschen unzugänglich. Auch im Ausbildungsbereich gibt es durch mehrere Gesetzesnovellen in den letzten Jahren merkbare Verbesserungen. Schulische Integration beginnt nicht nur in der Grundstufe, sondern auch in den Sekundärstufen Platz zu greifen. Integration gibt es für jede Form der Behinderung, sie scheitert manchmal aber an der Ausstattung des Schulgebäudes oder an mangelnder Kooperation von Lehrern und Direktoren.

Eine Integration geistig behinderter Kinder im Schulbereich erachte ich für alle Beteiligten als sehr sinnvoll. Wir hatten in der Vergangenheit eine durchaus massive historische Tradition der Aussonderung. Ob das das Abschieben von behinderten oder alten Menschen in Alten- oder sonstige Heime war, oder das verlegene Wegschauen mangels vorangegangener Bewußtseinsbildung was den Umgang mit Behinderten betrifft.

Wenn heute ein geistig behindertes Kind im Kindergarten mit nicht Behinderten aufwachsen kann, dann ist es nur sinnvoll, wenn diese Kinder anschließend auch gemeinsam in die Schule gehen. Durch die Möglichkeit, von Kind an bereits miteinander zu leben, zu lernen, wo sind die Stärken und Schwächen des anderen kann im Laufe der Zeit eine Bevölkerung entstehen, die einen völlig anderen Zugang zu Behinderung hat.

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