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Die uberzeugendere Willenserung

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Die objektiveren Kritiker des Zeitgeschehens werden jetzt allerdings mit Recht einwenden, der Herr Professor B. oder die Kräfte, die hinter einem sogenannten „Deutschen Kulturwerk“ in Graz, das vor Jahresfrist von sich reden machte, stehen, sind doch nur Fossilien einer längst vergangenen Epoche. Sie sind nicht ernst zu nehmen. Die überwältigende Mehrheit der österreichischen Bevölkerung hat sich in den schweren Jahren seit 1945 in den kritischsten Situationen zu diesem Staat bekannt. Die Zweite Republik Österreich ist nicht mehr ein „Staat, den keiner wollte“, wie es noch die Erste Republik war. Das beweist jede Nationalrats- oder Landtagswahl, bei welchen sich 90 Prozent der Bevölkerung zu den beiden großen staatsbejahenden Parteien bekennen. Und diese Millionen Wähler sollten doch mehr Gewicht haben als eine Jeder-mannbefragung oder ein Fernsehquiz: Dieser Einwand dst zweifellos richtig. Aber gerade wenn man die InnerpoTftfs'che ' Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Parteien in diesem Jubiläumsjahr erlebt, muß man erst recht fragen: Jawohl, es gibt heute, von der großen Mehrheit der Österreicher nicht mehr bestritten, diesen Staat Österreich. Aber gibt es auch den Österreicher, den Staatsbürger, der durch sein Staatsbewußtsein dieser Republik erst Leben verleiht? Manchmal hat man heute den Eindruck, es gibt Schwarze, Rote, Braune, Blaue. - Es gibt Oberösterreicher, Niederösterreicher, Wiener, Steirer und all die anderen Einwohner der verschiedenen Bundesländer. Es gibt angeblich Donauösterreicher und Alpenösterreicher. Es gibt Zentralisten und Föderalisten, Rapidler und Austrianer. Aber wo gilbt es die, welche über all diese Parteien und Gruppierungen hinweg nichts anderes als „nur“ Österreicher sind? Vielleicht sollten wir gerade anläßlich dieser Gedenktage den Menschen in unserem Land viel stärker bewußt machen, als es In den letzten Jahren geschah, daß wir doch nicht zwanzig Jahre Cliquenwirtschaft, Kantönligeist und Bruderzwist feiern, sondern zwanzig Jahre Österreich. Dieses Österreich ist mehr als ein zusammengewürfelter Haufen von rivalisierenden Parteien, Berufsgruppen, Interessenvertretungen oder Bundesländern.

Aber damit haben wir unsere ursprüngliche Frage noch nicht beantwortet: Gibt es heute ein Österreichbewußtsein, das sich nicht nur auf einige wenige beschränkt, sondern eine immer breitere Bevölkerungsschicht erfaßt? Die Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft hat im Hinblick auf das Jubiläumsjahr einmal das Österreichbewußtsein des Österreichers nicht aus Gedenkreden, Zeitungsaufsätzen und immer subjektiv sein müssenden Darlegungen der berufenen und weniger berufenen politischen Mandatare und Kommentatoren herausfinden wollen, sondern hat einen Querschnitt der österreichischen Bevölkerung, Menschen aus allen Bundesländern und sozialen Schichten, Junge und Alte, Frauen und Männer, gefragt, was sie nun nach zwanzig Jahren von ihrem Staat halten. Es wurden 1467 wahlberechtigte Österreicher interviewt. Die Struktur des befragten Sample weist einige Schwächen auf. Niederösterreich, Oberösterreich und die Steiermark sind im Vergleich zu den anderen Bundesländern nicht ganz entsprechend ihrem wirklichen Bevölkerungsanteil an der österreichischen Gesamtbevölkerung vertreten. Die Altersgruppe zwischen 31 und 50 Jahren ist überrepräsentiert, während die über 65 Jahre alten unterrepräsentiert sind. Aber diese nicht sehr wesentlichen Verzerrungen im repräsentativen Querschnitt sind bei der statistischen Auswertung der Befragung entsprechend berücksichtigt worden.

Für manche ist vielleicht schon die Beantwortung einer der Einleitungsfragen eine Überraschung. Diese lautete: „Wenn Sie die Möglichkeit hätten, in der Schweiz, in Deutschland oder in Österreich zu leben, welches Land würden Sie persönlich vorziehen?“ 65 Prozent der österreichischen Bevölkerung wollen hier und nirgends anders leben. Erstaunlich ist, daß beim Rest der Befragten die Schweiz vor Deutschland kam. Wie hätten wohl die Antworten auf eine solche Befragung in der Ersten Republik ausgesehen? Die nächste Frage, deren Beantwortung auch ein Herr Professor besonders studieren sollte, lautete: „Die einen sagen, die Österreicher sind eine Nation. Andere sagen, die Österreicher sind keine Nation. Wieder andere meinen, die Österreicher beginnen sich langsam als Nation zu fühlen Wer hat recht?“

15 Prozent der Befragten waren der Meinung, Österreich sei keine Nation. Aber 70 Prozent der Antworten lauteten: Die Österreicher sind eine Nation beziehungsweise beginnen sich als Nation zu fühlen. Den Wandel der Einstellung des Österreichers seit 1918 bestätigt nur, daß auf die Frage „Wann haben die Österreicher begonnen, ein eigenes Nationalbewußtsein zu entwickeln?“ die stärkste Gruppe, nämlich 40 Prozent, „Nach 1945“ antwortete. Aus der durchgeführten Untersuchung zeigt sich aber auch ziemlich deutlieh, warum die Einstellung der Bevölkerung zu Österreich heute eine ungleich positivere ist als vor wenigen Jahrzehnten. „Wann ist es ihrer Meinung nach dem Österreicher am besten gegangen?“ Die Bevölkerung konnte zwischen den verschiedensten Antwortmöglichkeiten wählen: vor 1918, nach 1918, nach 1934, nach dem Anschluß an Deutschland 1938, in der Zweiten Republik.

Analysiert man die Antworten nach der Parteisympathie der Befragten, kann man noch eine erfreuliche Feststellung machen. Es gibt kaum einen Unterschied in der Einstellung zu Österreich zwischen ÖVP-Sympathi'sierendeh und SPÖ--Sympathisierenden. Eine grundsätzlich andere Haltung gegenüber dem Staat bezieht nur eine große Gruppe derjenigen, die angaben, mit der FPÖ zu sympathisieren. 56 Prozent der FPÖler wollten am liebsten in Deutschland leben, 53 Prozent von ihnen waren der Meinung, Österreich ist keine Nation.

Gerade in dem Zusammenhang war aber eines der interessantesten Probleme der Untersuchung: Welche Rolle spielte die Gruppe der FPÖ-Sympathisierenden, soweit sie mit den ehemalig Deutschnationalen identisch ist, im politischen Bewußtsein des Österreichers? Auch dazu die konkreten Ergebnisse. Die Frage lautete: „Man hört sicher oft, daß die Österreicher verschiedenen politischen Lagern angehören. Welche der hier angeführten Meinungen halten Sie am ehesten für richtig?

a) Es gibt derzeit zwei große politische Richtungen in Österreich: die bürgerlich-konservative und die“,> sozialistische Richtung.

b)Es gibt in Österreich eine bürgerlich-konservative und eine sozialistische, aber daneben auch eine einflußreiche deutschnationale Richtung.

c) Es gibt in Österreich keine festgefügten politischen Lager.

d) Weiß nicht.“

Für die erste Meinung, es gäbe nur zwei große politische Richtungen mehr, entschieden sich 64 Prozent der Befragten. Nur 20 Prozent waren der Meinung, es gibt auch noch eine einflußreiche deutschnationale Richtung. Bei einer Kontrollfrage gaben sogar 80 Prozent der Befragten der Meinung Ausdruck, nur die Volkspartei und die Sozialisten spielen in Österreich eine bedeutende Rolle. Ein wenig erfreuliches Bild ergab die Beantwortung der Frage: „Verschärfen sich Ihrer Meinung nach die Gegensätze zwischen den politischen Lagern im heutigen Österreich oder entschärfen sich diese Gegensatz oder bleiben sie ungefähr gleich?“ 36 Prozent der Bevölkerung glauben, daß sich die Gegensätze verschärfen. 43 Prozent waren der Meinung, die Gegensätze bleiben gleich. Aber nur 9 Prozent waren der Ansicht, die Gegensätze entschärfen sich.

Gerade wenn die politischen Parteien auch in der Meinung der Bevölkerung eine so große Rolle spielen, dann sollten die Ergebnisse dieser Österreichbefragung für alle politisch Verantwortlichen Mahnung sein, nicht mutwillig zu zerstören, was sich in der zweiten Republik an erfreulich Gutem in diesem Land angebahnt hat.

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