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„Die Universität soll nicht Diener der Wirtschaft sein”

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DIEFi'RCIIK: Wie stark sollte die Universität auf die Bedürfnisse der Wirtschaft eingehen?

Werner Welzig: Die Universität soll nicht Diener der Wirtschaft sein. Aber sie wird gerade dann der Wirtschaft hörig werden, wenn sie nicht bereit ist, von sich aus in den technischen F achern - aber auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften - wirtschaftliche Bedürfnisse mitzubeden-ken.

DIEFURCHE: Gilt das auch für die Sozial- und Geisteswissenschaften' Wf elzig: Sicherlich. Auch ein Buch ist ein Produkt, das Käufer haben sollen.

DIEFURCHE: Was können denn Geistesund Sozialwissenschaften zur Zukunft unserer Gesellschaft beitragen' welzig: Entscheidendes. Der europäische Zusammenschluß zum Beispiel hat ja die Frage nach der Qualität des jeweils Eigenen, des Besonderen aufgeworfen. Die Auseinandersetzung mit den Eigen-Qualitäten der einzelnen Staaten und Begionen ist ein zentrale Aufgabe der Geisteswissenschaften.

DIEFURCHE: Welche Rolle werden die Geisteswissenschaften in der Zukunft spielen?

Welzig: Die Geisteswissenschaften sind ein notwendiges Element eines integrierten Europa. Die Gemeinsamkeit der Europäischen Union ist nur ertäglich, wenn die Besonderheiten der Einrichtungen, die sich zusammengeschlossen haben, bedacht werden. Dieses Bedenken des Besonderen ist Aufgabe der Geisteswissenschaften. Der Verzicht auf die Geisteswissenschaften, schiene mir eine fatale Etwicklung zu sein.

DIEFURCHE: Soll es auch in Zukunft einenfreien Hochschulzugang geben? welzig: Ja.

DIEFURCHE: Also keine Studiengebühren, keinen Numenrus Clausus? Welzig: Nein. Die Konsequenzen, die sich aus dem freien Hochschulzugang ergeben, sind sorgfältig zu überlegen. Die Entscheidung darüber ist aber eine Aufgabe der Politik, und zwar eine zentrale. Ich persönlich bin kein unbedingter Anhänger von Studiengebühren. Aber man könnte sich eine strikte Begulierung der Verweildauer an den Hochschulen vorstellen - mit einigen Ausnahmen : Seniorenstudium, Zweitstudium, eindeutig nachgewiesene Fälle, daß einer seinem Studium neben einem Hauptberuf nachgeht. Die Studierenden müßten gezwungen sein, innerhalb dieser Zeit mit ihren Aufgaben zu Rande zu kommen. Diese Neuregelung würde radikal zu einer Entlüftung der Universität beitragen.

DIEFURCHE: Werden bestimmte Fächer verschwinden und neue Fächer in das Angebot der Universität aufgenommen werden? welzig: Ich meine, der Kanon der Fächer müßte den Veränderungen unseres Lebens angepaßt werden. Aber nicht in der Weise, daß man alles Modische sofort zu einem Universitätsfach macht. Ich halte es zum Beispiel für schlecht, wenn man die Medien in die Lehre einbringt, indem man sogenannte Praktiker aus den Medien mit Lehraufträgen an entsprechenden Instituten ausstattet. Wird die Universität da nicht pervertiert? Wir können doch nicht das Fernsehen etwa als Realität zur Kenntnis nehmen und die Praktiker erzählen uns, wie es funktioniert. Die viel wichtigere Aufgabe und Herausforderung ist doch, theoretisch und kritisch nachzudenken, in welcher Weise die Medien unsere Denkformen verändern.

DIEFURCHE: Ist die Universität vom Untergang bedroht? welzig: In keiner Weise. So lange es Universitäten gibt, werden sie zentrale Orte eines Landes sein. Die ganz merkwürdige Lebensphase des Studiums, in der man seine Zeit derart frei gestalten kann, ist eine ganz einmalige, zentrale Phase. Gerade deshalb ist es katastrophal zu sehen, daß die Universitäten schon längst keine Orte der geistigen Auseinandersetzung mehr sind, sondern Verwaltungseinheiten. Gehen Sie in die Räume der Universität und spitzen Sie die Ohren, wo es Fachgespräche gibt. Ich vermute, Sie werden auch mit besten Ohren fast nichts zu hören bekommen.

DIEFURCHE: Woran krankt die Universitäten ihrer Meinung nach noch? welzig: Sie nimmt ihren Auftrag im Bereich der Forschung nicht in der gebührenden Weise ernst und sie nimmt ihre Rolle als geistige Transformationsstelle im Leben junger Menschen in keiner Weise wahr. Dazu kommt noch, daß die Politiker die Universität zu einem immerwährenden Reformobjekt degradiert haben und die Universität zu überhaupt keiner inneren Ruhe kommt.

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