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Die vierte Gewalt

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Die rege Diskussion über den Entwurf eines neuen österreichischen Pressegesetzes, die schließlich zur Zurückziehung des mißlungenen Elaborates durch das Justizministerium führte, hat die tiefe Kluft aufgezeigt, die zwischen den Ansichten der Politiker, aber auch vieler Juristen über die Aufgaben der Presse und den von der modernen publizistischen Wissenschaft unterstützten Anschauungen in der Presse selbst klafft. Es ist deutlich geworden, daß die Parteien fast durchweg, aber auch ein Großteil der Staatsrechtler in Österreich die Pressefreiheit bloß als Ausfluß und Sonderfall der verfassungsgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit auffassen und eine öffentliche Aufgabe der Presse im vollen Umfang negieren. In dieser Schau wird ein Pressegesetz die Pressefreiheit naturgemäß nur einschränkend interpretieren, wobei die Gefahr naheliegt, daß echte oder bloß scheinbare Schutzbedürfnisse des Staates infolge der Negation der öffentlichen Aufgabe der Presse gegenüber dem Schutzbedürfnis der Pressefreiheit überbewertet werden.

Dieser in Österreich noch herrschenden Lehre gegenüber, die über die Errungenschaften der Revolution des Jahres 1848 kaum hinausgeht und die Entwicklung der modernen Presse ebensowenig berücksichtigt wie die Tatsache, daß die Zeitung eine soziologische Erscheinung ist, betont die moderne publizistische Wissenschaft mit Nachdruck die öffentliche Aufgabe der Presse: das Grundrecht der Pressefreiheit bedeutet mehr als nur die Garantie der freien Meinungsäußerung mittels der Presse. Der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof hat in seiner aufsehenerregenden Entscheidung vom 6. Oktober 1959 nachdrücklich darauf hingewiesen, daß mit der Anerkennung des Grundrechtes der Pressefreiheit in Artikel 5 des Deutschen Grundgesetzes darüber hinaus nach Gesetz und Lehre die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung gewährleistet sei. Die öffentliche Aufgabe der Presse ist heute in der Deutschen Bundesrepublik nach' anfänglichem Zögern allgemein anerkannt und wird auch in Gesetzgebung, Lehre und Judikatur bejaht, womit der modernen Entwicklung und der Entfaltung des alten Begriffes der Pressefreiheit Rechnung getragen wird.

Worin liegt nun die Begründung für die öffentliche Aufgabe der Presse, warum kommt gerade in der Gegenwart dieser Aufgabe der Presse eine besondere Bedeutung zu? In der Diskussion um ein neues Pressegesetz in Österreich wurde den Verfechtern der Pressefreiheit oft in höhnischer Art die Frage gestellt: Woher nimmt denn so ein dahergelaufener Journalist die moralische Berechtigung, über alles und jedes zu Gericht zu sitzen und öffentlich oft sehr unliebsam empfundene Kritik zu üben? Die Frage ist ohne Zweifel berechtigt, und es ist vielleicht ein Versäumnis der österreichischen Presse gewesen, daß sie ihre eigenen Probleme sofwenig mit der öffentlichen Meinung konfrontiert hat.

Worin besteht heute die öffentliche Funktion der Presse? Sie ist erstens wesentliche Trägerin des Nachrichtenwesens, zweitens Trägerin und Gestalterin der öffentlichen Meinung und drittens Trägerin einer öffentlichen Gewalt.

Es mag als unbestritten gelten, daß für eine moderne Demokratie die freie umfassende Nachrichtenübermittlung lebenswichtig ist. In ihr geht durch das allgemeine Wahlrecht alle Gewalt von der Gesamtheit aller Staatsbürger aus. „Ist der Staatsbürger aber über das öffentliche Geschehen im Inland oder Ausland gar nicht, ungenügend oder falsch unterrichtet, ist er außerstande, seine demokratische Wahlpflicht ordnungsgemäß zum Wohle des Staates auszuüben und der Staat leidet Not.“ (Martin Löffler.) In einer modernen Verfassung muß daher der Anspruch des Staatsbürgers auf umfassende Unterrichtung aus in- und ausländischen Quellen als Ausfluß der Meinungsfreiheit unter Verfassungsschutz stehen. Und die Gerichte haben im übrigen auch in Österreich wiederholt darauf hingewiesen, daß das Lesen von Zeitungen zu den staatsbürgerlichen Pflichten gehört.

Hier liegt die eine Wurzel für die Ausweitung des Begriffes der Pressefreiheit, für ein echtes Sondenecht der Presse im Rahmen der materiellen Pressefreiheit: die Zeitung kann ihre Informationspflicht der Öffentlichkeit gegenüber nur in voller Freiheit und Unabhängigkeit erfüllen. Sie hat ein Recht auf Information, das sich auf alle Nachrichten von öffentlichem Interesse bezieht. Mit Nachdruck sei auf den einschränkenden Zusatz hingewiesen, denn gerade aus der Überschreitung dieser Schranke, aus dem berechtigten Eindringen in die private Sphäre, erfließen die wichtigsten Argumente der Verfechter einer einschränkenden Interpretation der Pressefreiheit.

Auch das zweite Postulat, daß die Presse hauptsächlich Trägerin und Gestalterin der öffentlichen Meinung neben anderen Medien ist, mag wenig umstritten sein, ohne daß man allerdings aus der Anerkennung dieser These bei uns auch die notwendigen Folgerungen in Lehre und Gesetzgebung ziehen würde. Wenn die Presse Trägerin und Gestalterin der öffentlichen Meinung ist, dann darf sie von staatlicher Seite ebensowenig gelenkt und in ihrer Freiheit beschränkt werden wie der Staatsbürger bei den Wahlen. In diesem Sinne darf die Pressefreiheit nach dem bekannten Bonner Staatsrechtler Professor Dr. Ridder nicht bloß negativ als Abwehranspruch gegen Staat und Wirtschaft angesehen werden, sondern muß eine positive Bewertung derart erfahren, daß der öffentlichen Meinungsfreiheit der Presse ein umfassenderer Rechtsschutz eingeräumt wird als der lediglich privaten individualistischen Meinungsäußerungsfreiheit, die nicht an der öffentlichen Meinungsbildung teilnimmt. Pressefreiheit in diesem Sinne ist aktiv-tätiges Staatsbürgertum.

Woher aber schöpft die moderne Presse ihre Legitimation als Trägerin öffentlicher Gewalt? Worin liegt die tiefste Begründung für ihre öffentliche Aufgabe, gerade in der jetzigen Zeit und ihre große Verpflichtung? Man wird es vor allem in den Kreisen der politischen Parteien nicht gerne hören, daß in der Gegenwart, nicht nur bei uns in Österreich, sondern in fast allen Staaten der freien Welt, die Quelle alles rechtsstaatlichen Denkens, die Lehre von der notwendigen Teilung der Gewalt im modernen Staat, ziemlich verschüttet ist. Ob wir es nun für wahr halten wollen oder nicht, es, ist leider eine unbestreitbare Tatsache, daß heute hinter “deitdpei Faktoren der Gewaltentrennung, Parlament, Verwaltung und Justiz, im modernen Parteienstaat immer wieder ein und dieselbe Macht sitzt: der durch die Parteien verkörperte Staat in jeweils verschiedener Gestalt. Montesquieus fundamentale Rechtsidee von der Gewaltentrennung ist zum leeren Ordnungsschema geworden.

Martin Löffler hat bereits vor zehn Jahren festgestellt: „Gegenüber der Staatsgewalt, wie sie durch die herrschenden Parteien verkörpert wird, fehlen in der Wirklichkeit des Staatslebens die ausgleichenden Gegengewichte. Es gehört daher zu den vordringlichsten staatspolitischen Aufgaben der Gegenwart, alle Kräfte zu stützen, die gegenüber der sich ballenden Macht des Staates ein gesundes Gegengewicht bilden.“

Neben Kirchen und, im bescheidenen Maße, die Universitäten, kann aber nur eine nach innen und außen unabhängige Presse dieses Gegengewicht bilden.

Schon Rousseau hat von der Presse als der vierten Säule des Staates gesprochen. Heute ist die Presse als Trägerin der vierten Gewalt erst recht dazu berufen, Wortführerin einer heilsamen öffentlichen Kritik gegenüber dem Machthunger des modernen Staates zu sein. Sie kann diese Aufgabe nur in voller Freiheit und Unabhängigkeit erfüllen, wobei das Problem der Parteipresse darin liegt, daß auch sie sich ihre innere Freiheit bewahren muß, was letzten Endes vor allem eine Frage der Persönlichkeiten ist, wie in der Ersten Republik Funder und Auster-litz zur Genüge bewiesen haben. Der freien Presse kommt heute im modernen Staat die Kontrollaufgabe für das demokratische Funktionieren von Legislative, Verwaltung und Justiz zu, da der bisherige, von der Verfassung vorgesehene Kontrollmechanismus zur leeren Formalität herabgesunken ist: die Regierung wird zwar durch das Parlament, die Verwaltung durch die Justiz kontrolliert, aber alle diese Institutionen sind letzten Endes wieder Ausfluß der durch die Parteien verkörperten Staatsgewalt.

Fassen wir zusammen: im modernen Parteienstaat hat die Presse eine wichtige staatspolitische Kontrollfunktion auszuüben. Sie wird damit als vierte Gewalt zu einer öffentlich-rechtlichen Institution, die als solche Anspruch auf volle Freiheit und Unabhängigkeit unter Verfassungsschutz hat, unter dem selbstverständlichen Ausschluß aller Dinge, die die private Sphäre betreffen.

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