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Die Wissenschaft im Budget

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Die Gesamtzahl der österreichischen Professoren betrug 1950 rund 285 ordentliche und 137 außerordentliche Professoren laut systemisierten Lehrkanzeln, zusammen also auf dem Papier 422. In Wirklichkeit sind es aber weniger, da eine erhebliche Anzahl von Lehrkanzeln unbesetzt oder eben zur Besetzung vorgesehen sind. Diese rund 400 Männer repräsentieren die wissenschaftliche Stoßkraft Österreichs. Ihre Bezüge beginnen bei den außerordentlichen Professoren in der vierten Dienstklasse, sind also einem Finanzrat oder Ministerialsekretär gleichgestellt, und enden dort in den Anfangsbezügen der zweiten, wo sie schließlich die Höhe eines wirklichen Hofrats erreichen. Die ordentlichen Professoren — und damit jemand ordentlicher Professor wird, muß er schon wirklich etwas können und lange, zum Teil gar nicht, zum Teil mit einem Trinkgeld bezahlte Zeit hinter sich haben; es ist gewissermaßen die Krönung des wissenschaftlichen Lebens — beginnen mit den Bezügen eines Oberfinanzrates und enden in den Anfangsbezügen der ersten Dienstklasse. Ganz den Sektionschefs gleichgestellt zu werden, wurden bisher nicht einmal die Nobelpreisträger und die Leute von internationaler Bedeutung für würdig befunden. Dabei herrscht noch der entwürdigende Zustand, daß einzelne Prüfungen um ein und zwei Schilling abgehalten werden müssen — eine offene Verhöhnung akademischer Lehrer!

Wenn wir diese Gehaltslage mit der Privatwirtschaft vergleichen, so ergibt sich, daß der Extraordinarius mit dem Gehalt eines ungelernten Bauarbeiters beginnt, jedoch niemals das Glück hat, die Bezüge eines Partieführers zu erreichen; der ordentliche Professor dürstet vergeblich danach, etwa die Bezüge eines hochqualifizierten Betonarbeiters oder gar etwa die einer gut bezahlten Sekretärin in der Privatwirtschaft zu erlangen.

Was man nach dem ersten Weltkrieg loa dein Verhältnis .Abwaschfrau ~ klinischem Assistenten“ gesagt hat, ist längst überboten. Die Nichtachtung des Geistes macht rapide Fortschritte. Es trägt tiefe Züge innerer Unwahrhaftigkeit in sich, wenn man unter solchen Umständen auch nur davon spricht, wirkliche Größen aus dem Ausland zu gewinnen oder zurückzugewinnen, da man zugleich nicht einmal ernsthaft gewillt ist, sofeme man überhaupt noch internationale Größen im Inlande besitzt, diese wenigstens zu halten. Was man durch ein solches Entlohnungssystem bekommen wird, ist klar: den Salon der Zurückgewiesenen aus dem Ausland und die Auslese der Lebensuntüchtigkeit im Inland, kurz, einen Tiefstand von Hochschulen, der einem Land mit einer so reichen geistigen Tradition seltsam genug ansteht.

Gewiß ist allerdings, daß Streikerfolgsaussichten, Stoßkraft und ziffernmäßige unmittelbare Wahlbedeutung dieser Gruppe gering sind. Ganze Teile der Bevölkerung interessiert weder das wissenschaftliche noch das geistige oder künstlerische Niveau Österreichs; was ist das schon gegen die Tips des Sportoto in der nächsten Ligarunde! Wir sind noch auf einigen Gebieten führend, insbesondere in den Geisteswissenschaften, sogar führend nicht nur in einigen Köpfen, sondern sogar im Durchschnitt der Leistungen. Wie lange dies noch anhalten wird, darüber kann kaum ein Zweifel bestehen. Dabei wäre eine Hilfe für diese kleine Gruppe ohne irgendeine nennenswerte budgetäre Belastung durchaus möglich. Das österreichische Budget 1950 sieht für die Hochschulen für dieses Jahr Ausgaben in der Höhe von 65 Millionen Schilling vor. Das ist wenig mehr als ein halbes Prozent der Gesamtausgaben des Budgets. Man kann aber auch einige weitere Vergleiche ziehen. Es ist nur 4 Prozent der Einnahmen für soziale Verwaltung. Es ist nur 10 Prozent des Defizits der Bundesbahnen. Es ist nur die Hälfte des Defizits der Post, und es ist nur etwa doppelt so viel wie das Defizit der Bundestheater. Es ist aber auch um 30 Prozent weniger als die Einnahmen des Branntweinmonopols.

Der Klassenkampf gegen den Kapitalismus ist schon dadurch unaktuell geworden, da es kaum noch Kapitalisten gibt. Und von einem Klassenkampf des Proletariats kann schon deswegen nicht die Rede sein, weil das frühere Proletariat längst in die Stellung der früheren Bougeoisie aufgerückt ist und es sich nur mehr darum dreht, die geistig führende Schicht tief unter die Stellung des früheren Proletariats zu stoßen und damit ein neues Proletariat zu schaffen. Was für Folgen das gerade für einen kleinen Staat haben muß, wo nur mehr Geisterzeugung und Geistexport, „brain pro-duction“ und „brain export“ wirkliche Chancen bieten, darüber besteht kaum ein Zweifel. Das einzige Gebiet, wo wir nicht durch Technisierung überholt werden können, wird systematisch abgeriegelt und verwüstet. Es geht hier nicht nur um die absolute Höhe, sondern um die relative Gestaltung der Bezüge. Wo immer wir ins Ausland sehen, stehen östereicher mit in der vordersten Linie wissenschaftlicher Leistung, und wir haben bereits schlechtweg unersetzliche Verluste erlitten. Die geistigen Arbeiter Österreichs werden sich aber nicht damit abfinden, daß man sie als Bajazzos minderwertig und als Prediger unerwünscht betrachtet. Sie werden daraus Konsequenzen ziehen und sich weder als quantite negligeable behandeln noch dauernd zum besten halten lassen. Ihre bisherige Selbstverleugnung und Gutmütigkeit hat die Grenze zwischen sinnvollem Handeln und Torheit längst und bei weitem überschritten. Man wird sehr bald daraufkommen, daß nicht nur der starke Arm, sondern vor allem der starke Kopf von Bedeutung sind, dies auch für die Entwicklung der Wirtschaft jedes Staates. Nichts wäre auch politisch verhängnisvoller, als in der Kerntruppe einer Wissenschaft eines Staates den Eindruck zu erwecken, daß sie ein „verlorener Haufen“ ist und daß bestimmte soziale und politische Formen eines Staates letzten Endes auf einen sehr intensiven Kampf zur Vernichtung der geistigen und Forschungswerte und der Lebensstellung ihrer Träger hinauslaufen. Sie würden auf diesen Kampf sehr wohl zu antworten wissen. Vor allem aber fordern sie, daß jede Gruppe klar und eindeutig ihnen gegenüber Farbe bekennt, damit sich ihre Gegner offen deklarieren.

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