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Digital In Arbeit

Die Zeit, die euch gehört!

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Dieser Artikel erschien am 25. Mai 1963 als Leitaufsatz und hat dem Verfasser, dem heutigen Herausgeber unseres Blattes, einen Staatspreis für publizistische Leistungen im Interessse der Jugend eingetragen. Seine Warnung der Jugend vor der „Konsumgefügigkeit“ ist heute noch aktueller als damals.

Je mehr die Bereiche des Konsums zur Welt schlechthin zu werden scheinen, um so mehr hat es den Anschein, als ob dieses unser Jahrhundert zu einem Jahrhundert der Jugend werde, kann sich doch die Jugend erheblich attraktiver im Bereich des Verbrauches selbst darstellen als in der Welt der Arbeit, die im Westen ganz erheblich an Gewicht verloren hat. Der Konsumstil der Jugend wird scheinbar zum Verhaltensstil der Welt.

Ein Großteil des Demonstrationskonsums wird von der Jugend vollzogen. Mode wird von der Jugend für die Jugend geschaffen. Die Erwachsenen haben nur die Chance, sich an das modische Verhalten ihrer Kinder anzupassen. Die Schallplatten werden mengenmäßig bis zu 70 Prozent von jungen Menschen erworben.

Die Jugend darf den Stil ihres Konsumverhaltens in Eigenmacht bestimmen. Sie hat — als erwerbstätige Jugend — auch ausreichend Freizeit und Kaufkraft zum Konsumvollzug. Die fast fünf Millionen Teenager der Bundesrepublik Deutschland sollen nicht weniger als fünf Milliarden DM an Kaufkraft jährlich zur Verfügung haben; mehr als die Hälfte unseres Bundesbudgets.

Die dauernde Steigerung der Massenkaufkraft und die Faszination des jugendkonformen Güterangebotes läßt eine gefährliche Wohlfahrtsgewißheit entstehen, der so gut wie jedes Krisenbewußtsein fehlt. Für viele

Junge (und auch Alte) sind Arbeit und Studium nur eine tolerierte Durchgangsphase zwischen zwei Konsumphasen.

Eine gewichtige Minderheit der Jugend meint — angesichts der gebotenen Konsum-und Verhaltensfreihedt — in völliger Unabhängigkeit von der Despotie der Erwachsenen ein Leben in einem neuartigen und durchaus komfortablen Jugendreich führen zu dürfen. Diesem Jugendreich wird eine autonome Konstitution zugemutet. Playboys und sich wegen der Tantiemen permanent auf hohen Touren in „Zorn“ befindliche junge Männer gebärden sich als Herzöge in diesem Reich der Jungen, an dessen Zäunen die allmählich in ihrem Verhalten und Denken lächerlich gewordenen Erwachsenen bestenfalls die Rolle von Zu-sehern spielen dürfen. Tatsächlich aber stand die Jugend, gerade weil sie Kaufkraft und angemessene Freizeit hat und den primären Erziehungsmächten weitgehend entwachsen ist, noch nie so unter dem despotischen Diktat von Alten und Uralten wie in dieser Zeit! Aus der Natur des Bildungsprozesses heraus wird übrigens Jugend stets von den Institutionen und vom Denken der Erwachsenen entscheidend bestimmt. Dazu kommt aber in der Gegenwart, daß die Jugend als Nach-frageschiiohte interessant geworden ist. 'Aus diesem Grund haben sich die Alten des Kommerzes bemüht, die Jugend konsumgefügig zu machen.

An die Stelle der Helden der Arbeit und der Männer der Wissenschaft sind wieder, wie im höfischen Mittelalter, die Helden des Müßigganges getreten, während die Väter in den Gefilden des Freizeitrummels den dort gebotenen Genüssen als Konsumanalphabeten oft fassungslos gegenüberstehen.

So sind junge Menschen — auch Studierende — als Masse integriert, gefügig gemacht, dem Instrumentarium der Gewinn-erzielung eingeordnet worden. Sie werden auf eigene Kosten „gefüttert“. Wenn notwendig, mit Gewalt und unter drohendem Hinweis auf den Prestigeverlust, den eine Konsumaskese zur Folge haben könnte.

Tatsächlich sind es aber nicht künstlich in Zorn gehaltene junge Männer und kuhäugige Starlets, welche das Verhalten der Jugend bestimmen, sondern die großen Puppenspieler, die, in ihren Kontors verborgen, das Angebot an Freizeitgütern und ein darauf fixiertes Verhalten der jungen Menschen festlegen: geistig Skelettierte, die nur Geschäfte und nichts als Geschäfte machen wollen.

In einer Situation, in der erhebliche Teile der Jugend, in ihrer Entscheidungsfreiheit bedroht, Werkzeug von gewinnsüchtigen Despoten geworden sind, scheint es geboten, daß man die Jugend vor allem mit der Wirklichkeit vertraut macht und nicht versucht, sie mit einem Katalog von Verboten zu disziplinieren.

Mehr noch: Daß die Jugend zum Widerstand aufgefordert wird gegen jene, die sie in Dienstpflicht genommen haben.

Wehrt euch! Aber nicht durch einen Protest ohne Inhalt, nicht durch Bezedgung eines substanzlosen Individualismus, an dessen Ende die Anarchie steht, deren Erbe der große Despot ist.

Wehrt euch, indem ihr euch der Gesellschaft verpflichtet. Sie ist euer Schicksal. Ihr könnt euch nicht den gesellschaftlichen Einrichtungen und Prozessen entziehen! Protestiert durch Dabeisein, durch Engagement und eine neue Form der Werk-Askese! Setzt neue Leitbilder für euer Verhalten!

Engagiert euch im Bereich der Kirche, die auch da ist, wo gläubige Menschen Zeugnis ablegen. Kirche, das seid auch ihr, dann und gerade dann, wenn ihr versucht, eine fast perfekt säkularisierte Welt heimzuholen.

Wehrt euch gegen den Terror des Konsumkonformismus durch sinnvolles Konsumverhalten. Das ist Zeugnis. Sagt aber nicht nein zur Welt, und geht nicht davon aus, daß die Kirche nur durch das Heilige Offizium repräsentiert wird und euch nichts als einen Verbotskatalog zu bieten hat.

Wählt wieder das Abenteuer des Bekennens, seid Einzelkämpfer, Partisanen vor allem der Liebe in einer sozialbürokratisierten Gesellschaft.

Worum es in dieser Zeit mehr denn je geht, das ist die Deckung von wörtlichem Bekenntnis und praktischem Verhalten. Die Zeit gehört euch dann und insoweit, als ihr das Erstaunliche wagt, euer Confiteor in die Tat umzusetzen.

Engagiert euch,

• im Beruf und in der Vorbereitung auf ihn. Der Aufstieg der österreichischen Wirtschaft ist die Materialisierung beruflichen Einsatzes eurer Väter;

• in der Bildungsgesellschaft, auch wenn man Wissen nicht unmittelbar in Schillinge umsetzen kann. Denkt daran, daß die Mehrzahl jener, die noch Bildung haben, diese nur als Chance zur Einkommensmehrung verstehen;

• in der Politik. Protestiert nicht gegen die Politik an sich. Ihr entkommt ihr nicht, wenn ihr euch nicht in geistige Buschlandschaften des Konsumkonformismus zurückziehen wollt. Widersteht nur der falschen und der ungeistigen Politik, widersteht den Versuchen, daß Hintergrundmächte unser Land als Lehen okkupieren und nicht jene regieren dürfen, die wir durch Wahl dazu legitimiert haben. Engagiert euch daher in der Politik. Wie anders wollt ihr euch dem ' Vaterland verpflichten als durch berufliche und politische Leistung?

Dagegen mag man sagen: Man gibt uns kein Beispiel. Die Autorität, die Macht eines dauerhaften Ansehens, schwindet bedenklich. Durch das schlechte Beispiel.

Warum sollen aber nur die Männer oben Beispiel geben? Warum nicht wir selbst? Hat nicht gerade in der Sache der Gestaltung des Budgets die Bevölkerung duroh ein Unmaß an Begehrlichkeit ein schlechtes Beispiel denen gegeben, die oben sind? Ist es nicht so, daß wir oft die Verantwortlichen zwingen, unsinnige Handlungen zu begehen, um dann scheinheilig die Urheberschaft abzulehnen?

Wie sollte denn die Gesellschaft „verchrist-licht“ werden, wenn nicht auch durch das Instrument des politischen Katholizismus, der freilich nicht mit dem parteipolitischen Katholizismus verwechselt werden darf! Wenn das Angebot der Jugend, sich durch Arbeit und Opfer auch in der Politk zu engagieren, besonders nachdrücklich wird, werden auch manche, die da meinen, bis zur Senilitäts-grenze unentbehrlich zu sein, Verzicht leisten müssen.

Die Schuld für viele Versäumnisse in unserer gesellschaftlichen Entwicklung liegt nicht allein bei jenen, die politische Ämter innehaben, sondern nicht weniger bei jenen, die sich eitel „unpolitisch“ nennen

Macht die Demokratie, die vielen eine leere Formel zu sein scheint, wieder zu einer Wirklichkeit, indem ihr da, wo ihr in Gruppen beisammen seid, sie selbst praktiziert. Seht doch in der Demokratie nicht nur Chancen, sondern auch Verpflichtungen. Die Denaturierung unserer Demokratie beginnt nicht oben, sondern unten. In der Gruppe, in der kleinen Gemeinschaft, auch in der Schulklasse!

Engagiert euch aber auch im Bereich des Konsums. Nützt die Herrlichkeit des neuartigen Güterangebots, die Materialisierung technischen Geistes und kaufmännischer Phantasie. Nützt jedoch das Anbot sinnvoll unter Abwägung von Nutzen und Aufwand.

Denkt aber, daß das herrlichste Engagement jenes ist, das sich in Verzicht und Opfer ausweist. Erinnern wir uns, daß es für die Liebe zum Nächsten keine Dispens gibt.

Wiederholt die größte Revolte der Geschichte, die Revolte der Jugend der Urkirche, die durch Identifikation von Wort und Verhalten das Gesetz der Liebe zum gesellschaftlichen Rang erhoben hat!

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