6681793-1961_48_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Zukunft des Studenten X

Werbung
Werbung
Werbung

Chruschtschow hat seine atomare „Versuchsreihe“ vorläufig abgebrochen, droht aber mit ihrer Wiederaufnahme, die amerikanische Regierung behält sich die Verwendung von Atomwaffen „in Notwehr“ vor, die chinesische Volksrepublik arbeitet fieberhaft an der Fertigstellung ihrer ersten Atombombe. Die Frage nach der Zukunft des Menschen beginnt für den einzelnen unangenehm zu werden. Im Falle der „Notwehr“ . . .

Österreich, glücklich in seiner Neutralität, scheint mir aber ein wenig zu sehr im Traum von seiner Unantastbarkeit versunken. Ohne sich selbst und andere der Scharfmacherei zu bezichtigen, sollte das festgehalten werden. Die Menschen treiben im Strom der allgemeinen Hochkonjunktur dahin, die Frage nach der Zukunft beantwortet man mit einem Achselzucken. Die Grundstimmung tendiert bezeichnenderweise zur negativen Seite hin.

Wiewohl noch keine genauen Querschnittsbefragungen über Probleme der weltpolitischen Zukunft, der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Lösung der atomaren Konflikte durchgeführt worden sind, hat mich der Versuch einer Gegenüberstellung einiger Antworten über diese Probleme aus dem Bereich der akademischen Jugend gereizt. Die Antworten sind Aufzeichnungen tatsächlicher Gespräche, die an einigen Stellen im Sinne des betreffenden Sprechers allerdings ergänzt wurden. Trotzdem erscheinen sie symptomatisch für den Durchschnitt der in Wien studierenden Jugend.

Zur Diskussion stand die Frage: „Wie beurteilen Sie die gegenwärtige atomare Weltsituation? Sehen Sie Möglichkeiten einer Lösung des Ost- West-Konfliktes?“

Gute Prämissen, falscher Schluß

Wolfgang S., Student der Hochschule für Welthandel, 5. Semester, Typ eines künftigen Geschäftsmannes, gibt folgendes zur Antwort:

„Soweit ich die Lage überblicken kann, hat man einen schweren Fehler begangen, indem man die Grenzen zu scharf gesetzt hat, niemand kann heute aus den festen Stellungen von Ost und Wesf ohne weiteres noch heraus. Verstärkte politische und wirtschaftliche Beziehungen würden die atomare Frage gar nicht erst zum Problem werden lassen. Hier sehe ich auch die wichtigste Aufgabe für Österreich als neutrales Land: den Versuch zu machen, eine Vermittlung zwischen Ost und West herzustellen. Im übrigen ist die Lage, wie wir ja auch von den Wissenschaftlern be stätigt erhalten, noch nicht so ernst. An ein Nachgeben im westlichen Bereich darf nicht gedacht werden, unsere Position ist ohnehin schwach genug. Wir müssen bis zum gegebenen Zeitpunkt warten können, da der Osten auf Grund innerer politischer Differenzen bereit ist, auf das Konzept der westlichen Abrüstungsvorschläge einzugehen.“

Dies als Beispiel dafür, wie oft an und für sich brauchbare Ideen, selten gewordene Ausnahmen, durch falsche Schlüsse und Kombinationen zu einer unrealisierbaren Vorstellung verwachsen können. Der Prozentsatz der Studenten, die in solchen oder ähnlichen Scliematas denken, bewegt sich meiner

Schätzung nach zwischen 10 und 20 Prozent.

Problem erkannt, aber ... ?

Peter K., Student der juridischen Fakultät, 7. Semester, schwarze Brille, liest gerade den Anschlag vor dem Dekanat.

„Wie ich dazu stehe? Ja, das ist schwierig, zum mindesten ein juridisches Problem. Wir haben uns in ein unbequemes Schlamassel gebracht. Wenn wir dem Osten in dieser Hinsicht nachgeben, können wir sicher sein, daß uns Chruschtschow damit so lange erpressen wird, bis er das erreicht, was er vorhat. Versteifen wir uns fetzt, so müssen wir damit rech nen. daß der Osten seine Versuche weiterführen bzw. wieder beginnen wird. Ich sehe es als Tragik der Menschheit an, daß wir mehr oder minder unschuldig in dieses Problem geraten sind, Problem in der ursprünglichen Bedeutung als unlösbarer Konflikt. Greifen wir nach der ersten .Lösung, so droht uns die kommunistische Weltherrschaft, versuchen wir es mit der zweiten, sehe ich ebenfalls schwarz: Hunderttausende von Krüppeln, körperlich und geistig, im günstigsten Falle, im schlimmsten die totale Vernichtung der Welt. Meiner Ansicht nach bleibt nur die Möglichkeit, uns behutsam zwischen beiden ,Lösungen' durchzuschlängeln und von Zeit zu Zeit die Augen zu schließen.“

Diese Ansicht dürfte meiner Meinung nach die meisten Anhänger unter den Studenten finden. Die Problemstellung ist richtig erkannt, die Frage nach einem möglichen Ausweg aus der zugeklappten Mausefalle aber hat die verschiedensten Argumente und Ansichten zur Folge.

Kein Ausweg sichtbar

Astrid W., an der Grenze zwischen Teenager und Dame, mit Charakterkopf ä la Jeanne dArc, 8. Klasse Realgymnasium, blickt erstaunt von ihrem Günther Grass auf, erstaunt ob meiner Kühnheit, sie mit derlei „politischen Sachen“ zu überfallen.

„Was? Die weltpolitische Situation des Augenblicks? Ja, ich verstehe, aber was soll ich sagen? Mir ist das schon einige Male in den Kopf gekommen, aber ich weiß nicht recht, wie ich über diese Dinge denken soll. Bestimmt, ich bin au Politik interessiert, aber ich kenne mich da, ekr-

der Ohnmacht des einzelnen und dem politischen Desinteresse, das sich besonders kraß in innenpolitischer Hinsicht aufzeigen ließe.

Hitzkopf: „Handeln!“

Fehlt den oben angeführten Stellungnahmen in differierendem Maße der alt-unverwüstliche Begriff des ,,Wehrwillens“, so schreiben ihn andere Gruppen wieder allzu kräftig und „schlamm“-getreu auf ihr Banner. Christian S., Student der Elektrotechnik, 7. Semester, äußert Ansichten, die den Denkklischees vor einigen Jahrzehnten in vielen Punkten ähnlich sind.

„Wie ich das sehe? Ja, noch stehen die Chancen des Westens nicht so schlecht, aber ich bin überzeugt, daß uns der Osten wirtschaftlich und militärisch einholen wird. Wenn wir uns und den Fortbestand des Abendlandes, unserer Kultur und Zivilisation, erhalten wollen, müssen wir jetzt den entscheidenden Schritt tun. Lassen wir dem Osten den Vorsprung, sind wir verloren. Ja, wir sind sogar verpflichtet, dieses Faktum zu setzten, selbst auf die Gefahr der Aufopferung von Menschen hin — in naher Zukunft wären es Millionen —, die Freiheit, auf deren Seite wir doch stehen, erfordert dies. An der ungarischen Revolution hat der Westen seine Schwäche erwiesen, er hat eine unverzeihliche Schuld auf sich geladen, ln wenigen Augenblicken hätte der Kommunismus vernichtet werden können. Wir aber haben die Chance der Befreiung von Millionen Unterdrückten nicht genutzt, ich glaube, man wird uns einmal zur Rechenschaft dafür ziehen.

auf die tatsächlichen Gefahren hinzuweisen, beschimpft man ihn sofort ah Panikmacher, Wehrzersetzer, genau nach dem bewährten Muster. Bei euch ist’s ja noch harmlos, aber fahre mal zu uns noch Bonn. Das salonfähigste Wort, das dir da an den Kopf geworfen wird, ist Kommunist. Wenn das nicht Gesinnungszwang ist, was sonst soll es sein? Oder glaubst du vielleicht, daß Kennedy seine A-Bomben nur deswegen gezündet hat, weil Chruschtschow seine -zig Megatonnen in die Luft gekauert hat? Das mit gegenseitiger Bedrohung stimmt ja, aber nur zur Hälfte, das übrige ist

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung