"Die Zukunft liegt im Miteinander"

19451960198020002020

An den Schulen nimmt die religiöse Pluralität zu. Eine Antwort darauf ist der "dialogisch-konfessionelle Religionsunterricht", für den Studierende an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems ausgebildet werden. Über ein heikles Leuchtturmprojekt.

19451960198020002020

An den Schulen nimmt die religiöse Pluralität zu. Eine Antwort darauf ist der "dialogisch-konfessionelle Religionsunterricht", für den Studierende an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems ausgebildet werden. Über ein heikles Leuchtturmprojekt.

Werbung
Werbung
Werbung

Messgewand. Konfirmation. Heilige. Talar. Propheten. Zölibat: Welche dieser Begriffe stammen aus dem katholischen Universum, welche aus dem evangelischen - und welche aus beiden? Nicht wenige Zeitgenossen kommen angesichts solcher Fragen ins Grübeln, doch die Kinder der 3B-Klasse behalten den Überblick. So souverän sie an diesem Donnerstag beim Stationenbetrieb die Begriffs-Kärtchen zuordnen, so lebhaft können sie sich im Sitzkreis daran erinnern, was ihnen unlängst beim gemeinsamen Besuch der nahen, evangelischen Kirche alles aufgefallen ist: "dass dort eine Pfarrerin war", zum Beispiel; "dass es keine Kniebänke gab";"dass dort eine Flüchtlingskerze brannte"; und "dass an dem Kreuz kein Jesus hängt."

Dialogisch-konfessionell: So nennt sich dieser Religionsunterricht, den die Drittklässler seit einem Semester hier in Strebersdorf, an der Praxisvolksschule der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems, erhalten. Gemeinsam wählen die katholische und die evangelische Religionslehrerin Themen aus dem Lehrplan aus, die sich für einen kooperativen Unterricht besonders eignen. Auch die Vorbereitung der Stunden erfolgt gemeinsam, unterrichtet wird in Form von "Team-Teaching".

Die Chemie muss stimmen

17 Wiener Schulen erproben seit vergangenem Herbst in einzelnen Klassen diese Zusammenarbeit zwischen katholischen, evangelischen und orthodoxen Pädagogen. Kombiniert wird je nach Bedarf vor Ort: In manchen Klassen arbeitet der orthodoxe mit dem katholischen Religionslehrer zusammen, in anderen -wie der 3B-Klasse -die katholische Lehrerin, Regina Nonnis, mit ihrer evangelischen Kollegin, Monika Hofbauer. "Für uns ist das Team-Teaching eine Erleichterung, weil wir einander ergänzen und bereichern können", sagt Nonnis. "Aber zwischen uns stimmt halt die Chemie."

Eine Grundvoraussetzung für ein solches Projekt -nicht nur bei den Lehrkräften, auch bei den teilnehmenden Kirchen. Entsprechend sensibel agieren die Mitglieder der kirchenübergreifenden Steuerungsgruppe. "Die Grenze ist immer dort, wo ich den anderen vereinnahmen möchte", betont Gabriele Dernesch, Fachinspektorin für Pflichtschulen in der Erzdiözese Wien. Es gehe jedenfalls nicht darum, den konfessionellen Religionsunterricht aufzugeben oder gar "religiöses Mischmasch" zu produzieren, sondern um die Zusammenarbeit der Konfessionen bei gleichzeitiger Stärkung der eigenen Identität. Eine Position, die auch Lars Amann, Fachinspektor für Evangelische Religion an Wiener Pflichtschulen, unterstreicht. Bloßer "Einheitsunterricht" würde Kindern die religiöse "Beheimatung" nehmen. Hinter dem neuen Unterrichtsmodell stehe aber "der Wunsch, miteinander und voneinander zu lernen und Diversität nicht als etwas Bedrohliches, sondern als etwas Bereicherndes zu sehen."

Ganz zu leugnen ist die Bedrängnis der christlichen Kirchen freilich nicht -ebenso wenig wie die Tatsache, dass ihre Kooperation nicht ganz freiwillig erfolgt. Insbesondere die katholische Kirche befindet sich in der Großstadt Wien erstmals in der ungewohnten Situation, an manchen Schulstandorten zur religiösen Minderheit zu schrumpfen. Laut aktuellen Zahlen des Erzbischöflichen Amts für Unterricht und Erziehung sind an Wiens Pflichtschulen nur noch ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler katholisch. 50 Prozent gehören anderen Religionen und Konfessionen an, 16 Prozent sind ohne Bekenntnis. Betrachtet man nur die öffentlichen Pflichtschulen, dann sinkt der Katholiken-Anteil sogar auf 29 Prozent. Das Schicksal evangelischer Religionspädagogen, Jahr für Jahr um genügend Schülerinnen und Schüler sowie eine Vormittags-Platzierung im Stundenplan zittern zu müssen, könnte also mehr und mehr auch ihre katholischen Kollegen ereilen.

Angesichts dieser Entwicklungen wird seit langem an alternativen Formen religiösen Unterrichts getüftelt. Es war in den 1990er-Jahren, als in Deutschland die Idee eines "konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts" (KoKoRu) geboren wurde. 2001/02 wurde das rein katholisch-evangelische Projekt um die orthodoxe und altkatholische Kirche erweitert und als "Wiener Modell" an ausgewählten Schulen eingeführt - unter anderem auch an der Praxisvolksschule der damaligen Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien in Strebersdorf. Als hier 2007 in einem ökumenischen Kraftakt die neue "Kirchliche Pädagogische Hochschule" (KPH) Wien/Krems als europaweit einzigartiges Projekt gegründet wurde, machte man KoKoRu zu einem fixen Bestandteil des Curriculums. Ob katholisch, evangelisch oder orthodox: Jeder angehende Religionslehrer an Pflichtschulen sollte zur konfessionellen Kooperation befähigt werden. "Auch die Studierenden werden in bestimmten Fächern von Professoren aller drei Konfessionen gemeinsam unterrichtet", betont Notburga Grosser, Vizerektorin der KPH. Im Herbst 2015, mit der neuen Lehrerausbildung für die Primarstufe (s. u.), wurde der KoKoRu schließlich modifiziert und als "dialogisch-konfessioneller" Religionsunterricht an 17 Wiener Schulen gestartet.

Welche Erfahrungen die Beteiligten dabei machen, wird an der KPH evaluiert. Für den evangelischen Religionspädagogen und Vizerektor Thomas Krobath liegen die strukturellen Vorteile auf der Hand: "Manchmal ist es sehr schwer, für einzelne Schüler einen Religionsunterricht zu organisieren. Doch wenn es vor Ort Kooperationsformen gibt, können alle zusammenbleiben und die Lehrer einander abwechseln. Die Zukunft liegt eben im Miteinander!" Herausfordernd für die Lehrer sei freilich die oft aufwändige Vorbereitung. Auch gebe es zu denken, dass etwaige konfessionelle Differenzen laut einer Studierenden-Befragung längst "an der Lebenswelt der Schülerinnen vorbei" gingen.

Aufwändige Vorbereitung

In der 3B der Praxisvolksschule in Strebersdorf, in der 16 katholische, vier evangelische und zwei Kinder ohne Bekenntnis sitzen, gehen die Uhren freilich noch anders. Aufwändig ist die Vorbereitung für den dialogischen Unterricht aber auch hier. Für Monika Hofbauer, die an zehn Schulen evangelische Religion lehrt, ist deshalb nur an einem einzigen Standort eine solche Zusammenarbeit möglich. Unterschiedliche Lehrpläne und fehlendes Lehrmaterial kommen erschwerend hinzu.

Dabei könnte die Palette möglicher Kooperationen noch deutlich bunter und organisatorisch herausfordernder werden. Schon jetzt arbeitet die KPH mit den privaten Ausbildungsstätten für islamische und jüdische Religionslehrer zusammen. Ab Herbst 2016 werden sie in die KPH eingegliedert (s. u.)."Ich bin zuversichtlich, dass es dann auch für religiöse Kooperationen Leuchtturmprojekte gibt", erklärt der katholische Religionspädagoge Martin Jäggle, einer der wesentlichen Mitentwickler des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts.

Einstweilen hofft er auf mehr dialogisches Engagement der katholischen Kirche -vor allem abseits der Bundeshauptstadt. "In Wien haben wir die Kirche seit 2001 in Bewegung gebracht, weil die Zahl katholischer Schüler abnahm", so Jäggle. "Aber im ersten Jahr mussten wir sogar noch sicherstellen, dass die anderen Diözesen nichts davon erfuhren -sonst hätten sie noch alles gestoppt."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung