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Drei Zukunftsaufgaben

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Will das Burgenland seine Gegenwart und noch mehr seine Zukunft meistern, müssen drei dringende Aufgaben angepackt werden:

1.die Neuordnung des Siedlungsraumes,

2.die Neuordnung des Bildungswesens und

3.die Neuordnung der Gemeindestruktur. Damit sind nicht nur Existenzfragen des modernen Staates angesprochen, sondern auch Schicksalsfragen von Regionen, die am Rande der Wirtschaftsentwicklung liegen. Hat man noch vor zwei Jahrzehnten die Sozialpolitik als die Gemeinwohlpolitik schlechthin bezeichnet, so wird heute immer mehr die Raumordnungspolitik, die für die Wirtschafts-, Bildungs- und Wahnungspolitik von grundlegender Bedeutung ist, zur Gemeinwohlpolitik unserer Gegenwart. Ohne Raumordnungspolitik ist es heute gar nicht möglich, dem Menschen jenen Daseinsraum zu eröffnen, den er in unserer Massengesellschaft mit seiner liberalen Wirtschaftsordnung braucht, um seine Persönlichkeit zum eigenen Wohl und zum Wohl der Gesellschaft entfalten zu können.

Es ist daher gerade vom Burgenland her zu begrüßen, daß die Bundesregierung ein Ministerkomitee beauftragt hat, ein Raumordnungskonzept zu erarbeiten. Dieses ist heute ein Gebot der Stunde. Jede Vernachlässigung der Raumordnungspolitik würde das Gemeinwohl in Österreich in den nächsten Jahrzehnten in Frage stellen. Es hätte wenig Sinn, wenn einzelne Bundesländer, in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage für die Raumordnung durch den Bund, nach eigenem Ermessen eine Raumordnung anstreben und auch durchführen möchten. Gerade für das Burgenland hat ein Alleingang in der Raumpolitik kaum praktischen Wert. Es wäre eine Utopie, wollte man meinen, man könnte den burgenländischen Raum ohne Einbeziehung anderer Räume ordnen. Der nordburgenländische Raum muß in eine Regionalplanung einbezogen werden, die den ganzen Raum südlich und südöstlich von Wien erfaßt. Wie groß das Interesse der burgenländischen Landesregierung an der Raumordnung ist, zeigt die Tatsache, daß sie aus eigenem Antrieb das österreichische Institut für Raumplanung beauftragt hat, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für eine Regionalplanung zu prüfen.

Die bildungspolitische Situation ist deswegen sehr kompliziert, weil sich das Burgenland als ein Land kleiner und kleinster Dorfschulen darbietet. Dazu kommt, daß erst in den letzten Jahrzehnten ein höheres Schulwesen aufgebaut werden konnte. Das Land verfügt außerdem über ein sehr dünnes Netz an Hauptschulen. Das neue Schulkonzept der Landesregierung, das Landesrat Tinhof im Frühjahr dieses Jahres erstellt hat, ist zur Zeit in Diskussion. Unerläßliche Voraussetzung zur Lösung des Schulproblems im Burgenland ist eine realistische Betrachtung der schulpolitdschen Situation in allen politischen, pädagogischen und weltanschaulichen Lagern, die ihre Vorstellungen und Wünsche in die Diskussion werfen.

Weder Gewohnheiten aus der Vergangenheit noch utopische Zukunftsvisionen dürfen die Ausgangsbasis der Schuldiskussion sein, sondern allein Unvoreingenommenhedt und ein ausgeprägter Sinn für die Bedürfnisse und Anforderungen unserer Zeit; rechtes Maß bei der Verwirklichung dessen, was notwendig ist und im Augenblick bewältigt werden kann. Parteipolitische Prestigebedürfnisse und sachfremde Verbandsinteressen müssen gezähmt werden. Wirklichkeitsferne ist bei der Neuordnung des Bildungs- und Schulwesens nicht bloß das Festhalten an überlebten Strukturen und Formen, sondern auch die unüberlegte Zerstörung der historischen Kontinuität. Dies zu erkennen, tut auf allen Seiten not.

Immer mehr Menschen im Burgenland kommen mit der Großstadt Wien in Berührung und legen daher an ihr dörfliches Bildungs- und Schulwesen städtische Maßstäbe. Sie sehen nicht mehr ein, warum ihre Kinder auf dem Land weniger und ungünstigere Chancen für die berufliche und weiterführende Bildung haben sollen als in der Stadt. Zudem hat im demokratischen Staat jeder Bürger Anrecht auf Gleichheit der Bildungs-chancen, auch im Burgenland. Wie nun das Landschulwesen im Burgenland ausgebaut werden soll, damit es den neuen Anforderungen entspricht, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Die einen schwören auf die Verbandsschule, die anderen auf die Mittelpunktschulen. Wer objektiv das ganze Problem betrachtet, muß sagen, daß die vernünftige Lösung nicht „Entweder-oder, sondern „So-wohl-als-auch heißt.

Die Vorkämpfer für die Verbandsschule sagen, es darf weder zu einer Entleerung der Dörfer, noch zu einer Entmachtung der Gemeinden oder gar zu einer stillen Ausmanö-vrierung der Seelsorge kommen. Daher, so argumentieren sie, muß die Schule beim Dorf bleiben. Alle Versuche, eine geistige Kollek-tivisierung des Landlebens auf Umwegen herbeizuführen, müssen ihrer Überzeugung nach verhindert werden. Die Mittelpunktschule halten sie als den geistigen und moralischen Ruin der Dörfer. Allerdings gilt es dabei leidenschaftslos zu überlegen, ob nicht unter bestimmten Voraussetzungen die Mittelpunktschule gefordert ist, wenn jedes Kind, das die Begabung besitzt, eine weiterführende Schule besuchen soll. Zu einem vollgegliederten Landschulwesen bedarf es auch der oft als „Mammutschulen verschrienen Mittelpunktschulen.

Richtig ist, daß eine Schule um so mehr als familiengerecht bezeichnet werden kann, als sie in Dorfnähe bleibt. Das gilt vor allem für die Unterstufe der Volksschule. Es müßte möglich sein, viele dorfeigene Schulen zu erhalten und doch dabei die fachliche Qualität des Unterrichts zu steigern. Jedenfalls dürften gegen die Errichtung von Verbandsschulen keine Einwände erhoben werden, noch weniger gegen die Zusammenlegung von Kleinstschulen, die in unmittelbarer Nähe liegen, zu Nachbarschaftsschulen. In diesem Zusammenhang muß man die Gemeindevertreter auf ihre Gewissenspflicht hinweisen, ihren Beitrag zur Errichtung bestmöglicher Verbandsschulen oder Mittelpunktschulen zu leisten. Zu warnen ist vor der Ideologisierung der Begriffe „Verbandsschule oder „Mittel-puriktschule. Es wäre auch verfehlt, angesichts der rapiden gesellschaftlichen Entwicklung im Burgenland, die in ihrer Dynamik kaum vorauszusehen war, von einer völlig verfehlten Schulbaupolitik zu sprechen. Auf dem Sohulsektor ist im Burgenland seit 1945 viel geleistet- worden. Diese Leistungen entbinden allerdings nicht, manches neu zu überdenken und neue Wege zu suchen.

Als ein weiteres großes Problem für das Burgenland, das bestimmend für die Schul-und Bildungspolitik ist, muß die Struktur der burgenländischen Gemeinden angesehen werden. Die Flurbereinigung ist nicht nur auf dem agrarischen Sektor notwendig. Auf dem kommunalen Sektor wird ebenso eine „Flurbereinigung erforderlich sein, denn das Burgenland ist das klassische Land der Klein-und Kleinstgemeinden. Es gibt hier laut Volkszählung 1961 38 Gemeinden mit weniger als 200 Einwohnern, 97 Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 200 und 500, 66 Gemeinden mit 1000 bis 2000 Einwohnern und 29 Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern. Es wäre im Interesse der finanziellen und kulturellen Entwicklung der burgenländischen Gemeinden notwendig, daß sich die Regierungsparteien auf Landesebene, die Gemeindetage wie auch die Verantwortlichen der Kirche zusammenfinden und ein Konzept für die „Flurbereinigung der Gemeinden erarbeiten.

Manche „Gemeindefluren sind durch die allgemeine Entwicklung, durch den neuen Straßenbau, das Zusammenrücken von mehreren Gemeinden, neue Siedlungen und durch die Abwanderung überholt. Es hat wenig Sinn, Strukturen, die angesichts der Dynamik des Industriezeitalters anachronistisch geworden sind, mitzuschleppen und dadurch eine Gesundung unserer Gemeinden in mancher Hinsicht zu unterbinden. Freilich muß man an das ganze Problem behutsam herangehen. Zuerst ist wohl eine große Aufklärungskampagne notwendig, die nicht nach parteipolitischen Überlegungen, sondern nach sachlichen Vorstellungen erfolgt. ' Gemeindevertreter und Gemeindebürger müssen überzeugt werden, daß sie bei einer vernünftigen und durchdachten Reform der Gemeindestruktur nur gewinnen und nichts dabei verlieren.

Wie hat man sich noch vor einem Jahrzehnt gegen die agrarische Kommassierung aus traditionellen und persönlichen Gründen gewehrt. Heute wären viele Gemeinden froh, wenn sie die Grundzusammenlegung bereits durchgeführt hätten. Freilich darf nie eine Lösung durch Zwang erfolgen. Eine so wichtige Neuordnung muß durch freiwilligen Zusammenschluß erreicht werden, was nicht ausschließt, daß das Land den Gemeinden, die eine „Flurbereinigung ihrer Gemeindestruktur wünschen, Begünstigungen gewährt. Gewiß haben es viele Gemeinden bei der Reform der Gemeindestrukturen mit einem .heißen Eisen zu tun, das vorsichtig angepackt werden muß. Dies vor allem deswegen, weil es oft zwischen Gemeinden, die die günstigste Voraussetzung für eine Zusammenlegung hätten, Rivalitäten, historische Feindschaften und Rangstreitigkeiten gibt. Aber trotzdem muß man wissen, daß das Gemeindesystem der burgenländischen Landgemeinden veraltert ist und daher eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten zu erfolgen hat. Die Zusammenlegung von Schulen wird solange ein sehr schwieriges und wenig erfolgreiches Unternehmen bleiben, als es nicht gelungen ist, eine Flurbereinigung der Gemeindestruktur vorzunehmen. Ohne Reform der Gemeindestrukturen wird auch die Schulreform nicht vorankommen.

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