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Ehe und Liebe im Zentrum des christlichen Kosmos

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Die Schrumpfung der wirtschaftlichen Lebensmöglichkeiten und damit der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Bedeutung von Ehe und Familie ist sehr ernst zu nehmen. Manchmal möchte man wirklich meinen, Ehe und Familie seien geradezu überflüssig geworden. In verhältnismäßig kurzer Zeit hat sie ihre Stellung als Trägerin gesellschaftlicher Aufgaben verloren. Auch die Aufgaben der sozialen Hilfe, der Erholung, Bildung und Erziehung, früher allein der Familie überlassen, Werden ihr von anderen Institutionen immer mehr geschmälert und bestritten. Selbst die Konsumfunktion, die Gemeinschaft des Tisches, ist in dem heutigen Arbeitslcben hicht mehr selbstverständlich. Wann sind die Ehegatten, wann Eltern und Kinder noch beisammen?

Indem die Familie aber ihre Aufgaben rnehr und mehr verlor, verringerte sich auch ihre Bedeutung für die umgebende Gesellschaft und dementsprechend auch Lebensraum und Stützung, die sie von dieser erfuhr. Die heutige Gesellschaft rechfitt nicht mehr mit Familien, son-'dern mit einzelnen beziehungsweise mit der Masse austauschbarer einzelner.

Viele haben sich auch vom Berliner Katholikentag Beschlüsse und Resolutionen zur wirtschaftlichen Besserstellung der Familie erwartet, wie zahlreiche Einsendungen an die JZeitung des Arbeitskreises Ehe zeigten. Wenn sich diese dazu nicht verstehen konnte, so lag das vor allem daran: Ehe und Familie sind nach unserer Auffassung nicht das Produkt ihrer wirtschaftlichen Lebensbedingungen. Es geht auch nicht an, Ehe und Familie immer nur als Objekt anzusehen, an dem sozialpolitische, fürsorgerische, erzieherische und andere Maßnahmen „arbeiten“. Wir müssen uns endlich der zentralen Stellung erinnern, die der Ehe im christlichen Kosmos zukommt, und sie mit Selbstbewußtsein und Verantwortung als Subjekt ansprechen.

Kann dieser innere Halt allein von einer Einschärfung der Zwecke der Ehe, vor allem des finis primarius, der Fortpflanzung, beziehungsweise der moralischen Vorschriften erwartet werden? Diese Anschauung des Eheproblems ist im katholischen Raum seit langem üblich. So kommt es, daß manche Christen zwar in ihrem persönlichen Leben, wenn auch vielleicht mit Mühe, das vorgeschriebene Sittengesetz der Kirche beachten, aber nicht mehr mit innerer Ueberzeugung die „fortschrittlichen“ Parolen ablehnen. Die Christen eifern wohl gegen die Unmoral, aber durchdringen nicht die öffentliche Meinung im Sinne einer christlichen Ordnung. Ja, man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, als ob sie mit Minderwertigkeitsgefühl die „öffentliche Meinung“ über die Geschlechterbeziehungen als Norm ansähen, gegenüber der man bestenfalls seine eigene — erschwer-' tere — Lebensform verteidigt.

Die einzelnen Eigenschaften der Ehe lassen sich nur aus ihrem Wesen entwickeln. Dann erst begreift man die innere Notwendigkeit der christlichen Moralforderungen und erkennt, daß sie die Ehe nicht bedrohen und belasten, sondern schützen und wahren.

Das neu ins Bewußtsein gehobene geklärte Wesensverständnis der Ehe macht erst Familie verständlich. Es ist zu schmal gesehen, wenn sich seelsorgliche Impulse nur auf die Kindererziehung und hierbei auch oft nur auf die von der Mutter zu leistende beziehen. Als ob die Familie eine pädagogische Einrichtung unter anderen wäre. Sie ist es so wenig, wie sie die eine Prokreationsanstalt neben der unehelichen ist, worunter nicht fernliegende Weltanschauungssysteme das Wesen der Familie mißverstehen. In der Familie binden sich vielmehr alle menschlichen und mitmenschlichen Differenzierungen zu einer alle Lebenserstreckungen umgreifenden und bergenden und alle Lebenskräfte entfaltenden Gemeinschaft, die nicht durch Satzung oder Befehl, sondern durch die Liebe zusammengehalten wird. Sie entfaltet sich aus der Ehe. Erst die Ausreifung der ehelichen Beziehung ermöglicht die Reife der in ihr entelechial enthaltenen Elternschaft. Wie die Ehe ihre tiefste Bindung und höchste Sinnerfüllung (im natürlichen Bereich) im Kinde findet, weil dieses, wo es echter ehelicher Liebe entsprang, Mensch gewordenes Denkmal der ehelichen Liebe seiner Eltern ist, so läßt sich anderseits die erzieherische Situation des Kindes nur von dem' Platz her bestimmen, den es innerhalb der Beziehungen von Vater und Mutter hat. Familienerziehung läßt sich deshalb nicht mit bloßen psychologischen und pädagogischen Kategorien durchführen, die auf diese Seinsverbindung mit der Ehe nicht entscheidend Rücksicht nehmen. Von hier wird Charakter und Erziehung des unehelichen, des vorehelichen, des Stiefkindes zu beurteilen und zu beraten sein. Die Sinnver-kehrung und der Sinnverlust der zerrütteten und geschiedenen Ehe drücken sich in der charakterlichen Zerrissenheit des Kindes aus, das durch den erlebten Zwiespalt seiner Eltern den Boden unter den Füßen verliert und in eine eigentümlich unsichere und widersprüchliche Haltung gerät. Elterliche Liebe ist eben ohne eheliche Liebe nicht möglich, wie umgekehrt diese ihre Läuterung und Veredelung in jener findet. Die gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau in der ehelichen Liebe gibt auch der elterlichen Liebe die unvergleichliche Fülle und Allseitigkeit.

Es bedarf also zur Lösung des Eheproblems einer weitgehenden Klärung und Pflege der ehelichen Liebe. Sie ist bisher von unserer Seite sehr vernachlässigt worden. Die Zurückhaltung in katholischen Kreisen, über die eheliche Liebe zu reden, ist aber schlechthin nicht mehr zu verantworten. Eine aus christlicher Anthropologie kommende Schau kann nicht, wie die der allzu vielen anderen, eine sexologische sein. Wir brauchen eine personale Betrachtung der ehelichen Liebe. In ihr wird die Berufung zum Du wie die Vorbereitung des Ich für die eheliche Liebe enthalten sein. Sie wird die Wesensliebe von der oberflächlichen Verliebtheit in Einzelzüge des anderen unterscheiden. Ausschließlichkeit und Dauer werden als Wesenseigenschaften der Liebe erscheinen. Die eigentümliche Ausdehnung ehelicher Liebe auf die ganze Fülle des Lebens ist aber nur vom ganzen Menschen zu bewältigen. Nur im Gesamt der Person empfängt das Leiblich-Geschlechtliche seinen

Stellenwert. Die geschlechtliche Einung ist dann wahr, wenn sie die unwiderrufliche ganzmenschliche Liebesbindung verwirklicht und leibhaftig macht. Sie ist dann Lüge, wenn sie egoistischem Luststreben entspringt. Die furchtbare Zeitgefahr liegt darin, daß die Geschlechtlichkeit mit einer Intensität gesucht wird, als ob in ihr die ewige Seligkeit läge, daß sie aber trotz raffinierter „Technik“ enttäuscht, weil sie aus der ausschließlichen Du-Bindung herausgebrochen und zu einer privaten Angelegenheit des Ich gemacht wird. Das Erlebnis der vertrautesten Nähe verdrängt leicht das Bewußtsein der Tatsache, daß Mann und Frau selbständige Persönlichkeiten bleiben und bleiben müssen. Hierin liegt die dauernde Anziehungskraft der Ehepartner aufeinander psychologisch begründet. Eheliche Liebe vollzieht sich in dem Spannungsfeld zwischen den Polen Selbständigkeit und Hingabe. Hingabe ohne Selbstbesitz wird Preisgabe und Selbstverlust, Selbstbesitz ohne Hingabe ist Selbstsucht. Der Ordnungscharakter der Ehe wird am deutlichsten im Kind. Freilich, die Last des Kindes ist eine Bürde des Segens.

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