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Ein Beitrag zur osterreichischen Schulfrage

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Die bevorstehenden Beratungen über neue österreichische Schulgesetze haben bereits eine sehr lebhafte Diskussion in kulturellen, kirchlichen, politischen Kreisen und in der Fachwelt ausgelöst. Die Aufsätze und Reden, die Resolutionen, Abhandlungen und Programme nehmen zum ganzen Problem oft nur prinzipiell Stellung oder sie verlegen sich auf Teilgebiete, je nach dem weltanschaulichen oder politischen Ausgangspunkt Das vorliegende Werk bringt eine ganzheitliche Darstellung des Problems und scheut nicht, konkrete Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Im ersten Abschnitt erarbeitet der Verfasser den klaren Begriff katholische Schule. Er setzt sich ausführlich über Sinn, Wesen und Berechtigung der katholischen Schule auseinander. Darnach wäre eine katholische Schute in vollem Sinne des Wortes jene, in welcher katholische Schüler von katholisch denkenden, fühlenden und praktizierenden Lehrern unter Berücksichtigung der katholischen Lehrauffassung in katholischem Geiste unterrichtet und gebildet werden Ohne auf die Zuständigkeit der Schulerrichtung und -erhaltung einzugehen, erfolgt eine Charakterisierung der Schulen: Schulen mit religiöser Weltanschauung, d. s. allgemein religiös ausgerichtete Schulen (interreligiöse, religionsneutrale, panreligiöse Schulen) und bekenntnismäßig ausgerichtete Schulen (Bekenntnisschulen); ferner Schulen ohne religiöse Weltanschauung (Weltanschauungsschulen) , d. s. entweder religionslose Schulen oder religionsfeindliche, atheistische Schulen. Kompromißlösungen sind die Simultan- oder Mischschulen (auch mit Religionsunterricht) und die neutrale Schule (Religion in jeder Form ausgeschlossen).

Im zweiten Abschnitt wird der Inhalt der katholischen Schulforderung klar umrissen. Die Schulforderungen werden aus den kleinlichen, täglichen Bedürfnissen herausgehoben. Unterricht, Erziehung, Bildung werden dem Heilsziele der Jugend hingeord-net und nur auf Gott und Seinen Schöpferwillen bezogen. Maßgebend ist Gottes Wille, geoffenbart in den Evangelien, sind die Forderungen Christi und der Kirche. Die Enzyklika Divinae itlius Magistri, der Schuthirtenbrief des österreichischen Episkopats 1952, die Botschaft Pius XII. an den österreichischen Katholikentag und die dort gefaßte Resolution werden als unantastbare Forderung vorangestellt. Die schroffe Ablehnung antikirchlicher Kreise wird vom Verfasser streng unter die Lupe genommen und Punkt für Punkt widerlegt. Mit dankenswerter Offenheit werden religiöse Leitsätze über Schulaufsicht, Anstellung der Lehrer und deren Rechtsverhältnisse aufgestellt. Eine der heikelsten Forderungen, mit der sich die Lehrerschaft nicht so leicht wird abfinden können. Nur gegenseitiges Vertrauen und der ständige Blick auf die Erhabenheit der gewollten Institutionen werden da manche Hindemisse aus dem Wege räumen.

Nun folgt im dritten Abschnitt die Rechtfertigung der katholischen Schulforderungen Der Verfasser zeigt zunächst die Bildungsmacht der Kirche und ihr Wirken, ihre besonderen Verdienste um die Kultur in Oesterreich und leitet davon den historischen Primat zur Bildungsarbeit ab. Eine umfassende theologische Begründung, ausgehend vom Sendebefehl des Herrn an die Apostel folgt, ebenso eine sehr aufschlußreiche Gesellschafts- und rechtsphilosophische Begründung der Forderung. Die geistesgeschichtliche Situation dr Gegenwart erheischt eine gründliche Revision des öffentlichen Bildungssystems. Nach einer kurzen Darstellung der gesetzlichen Situation aller Schulfragen in Oesterreich deckt der Verfasser die ihm möglich scheinende Verwirklichung der katholischen Schulforderungen auf. Er ist sich bewußt, daß eine optimale Erfüllung seiner Forderung nicht gleich durchzusetzen ist So stellt er eine Forderung nach der anderen zurück und gewinnt-einen in Etappen gegliederten Bauplan. 1. Obligate Bekenntnisschule; 2. Elternwahlschule; 1. Ersatzschule: 4 Bekenntnisschule der relativen Demokratie: 5. Schulen mit quadriertem Religionsunterricht; 6. konfessionelle- Privatschulen aus eigenen Mitteln. Bei Nichterfüllung dieser Forderungen und bei Weiterbestehen der gegenwärtigen Schulverhältnisse regt der Verfasser, in Sorge um die Katholi-zität der Bildung, eine Reihe von Maßnahmen an.

Dr. Sacher gibt seinem Werk den Untertitel: Ein Beitrag zur österreichischen Schulfrape. Es ist ein sehr bemerkenswerter Beitrag. Der Verfasser ist ein glühender Apostel der katholischen Schulerneuerung. Et tadelt rücksichtslos, wo zu tadeln ist. und scheut nicht mit strengem Urteil- im eigenen Bezirk.' Leider ist sein Urteil über manche bestehende Einrichtung nicht nur ungerecht, manchmal verletzend grob Er kennt diese Stellen und möge sie in einer Neuauflage ausmerzen. Sie schadeten der guten Sache jetzt schon viel und nützen nichts. Wenn er als letztes Rezept vermerkt: „Wo ein Wille, da ein Weg“, da verrät er, daß er die politische und weltanschauliche Situation im gegenwärtigen Oesterreich doch verkennt. Dankenswert ist der'mit Fleiß erschöpfend erarbeitete Anhang, der alles einschlägige Material zusammenfaßt, eine Dokumentensammlung für jeden an der Lösung der Schulfraqe Interessierten, wo immer er steht.

Hippolytus Guarinonius (1571 bis 1654). Zur 300. Wiederkehr seines Todestages. Von Dörrer, Grass, Sauser, Schadelbauer. Universitäts-Verlag Wagner, Innsbruck. 224 Seiten.

Hippolyt Guarinonius war einer der ganz großen Aerzte der Medizingescbichte. Sein berühmtestes Werk „Die Greuel der Verwüstung menschlichen Geschlechtes“ (1610) gehört zu den ersten grundlegenden Werken der Sozialhygiene. Es war eine verdiente Ehrang, wenn anläßlich seines 300. Todestages in Solbad Hall, wo er als Sradtarzt und Hofmedikus wirkte, eine würdige Feier stattfand, als deren Ergebnis die vorliegende Festschrift herausgegeben wurde An ihr haben zahlreiche namhafte Mitarbeiter mitgewirkt; unter anderem der Medikohistoriker Prof Grass, der Anatom Professor Sauser,- der Physiologe Prof. S c b em i d z k y, der Internist Prof. H i 11 m a i r, Professor H ö r b s t als Dekan, Prof. D ö r r e r als Herausgeber — alle der Universität Innsbruck angehörig; ferner der Landeskonservator Graf Trapp und Magistratsrat Dr. Schadelbauer vom Gesundheitsamt Innsbruck.

Grass schildert im einleitenden Artikel das bedeutende Leben von Guarinonius. Er erwähnt unter anderem auch seine Bedeutung für die Pastoralmedizin und für die Moralhygiene sowie für die öffentliche Gesundheitspflege. Ohne Guarinonius' bahnbrechende Leistung ist die von J. P. Frank nicht denkbar, dem der Ruhm des Begründers des öffentlichen Gesundheitswesens zuteil geworden ist, der eigentlich Guarinonius gebührt

Der wichtigste und umfangreichste Beitrag des Buches ist der von F Grass, „Guarinonius, ein Vorkämpfer für die deutsche Volksgesundheit im 17. Jahrhundert“ Er zeigt die überragende sozialhygienische Bedeutung des Mannes und die Größe seiner Leistung auf den Gebieten der Ortschaftshygiene, des Wohnungswesens, der Ernährung, Wasserversorgung, des Bestattungswesens, der Schulhygiene, der Leibesübungen, des Bäderwesens, des Spitalwesens, der Seuchenbekämpfung u. a.

Wenn man sich vorstellt, mit welchen Vorurteilen Guarinonius auf allen diesen Gebieten vor 300 Jahren zu kämpfen hatte, deren hygienische Bedeutung zum Teil erst heute erkannt ist, sieht man, wie weit er seiner Zeit voraus war. Selbst noch in den Vorstellungen der Miasmenlehre befangen, vertrat er trotzdem richtige Anschauungen über Krankheitsentstehung und Prophylaxe.

Tiefgläubig auf dem Boden der katholischen Religion stehend, hielt Guarinonius an den traditionellen medizinischen Lehren von H i p p o-k rat es und GaJenus fest und lehnte Para c e 1 s u s als neuerungssüchtigen und unklarer Schwarmgeist ab, in welchem ei deutlich das seines“ universalen Barockgeist Wesensfremde erkannte.

Die Größe seiner Bedeutung liegt darin, wie Grass treffend bemerkt, daß er mehr war als bloß ein Arzt seines Zeitalters. Er war ein universaler Geist und erkannte vor allem die engen Zusammenhänge zwischen Gesundheit und sittlicher Lebensführung, zwischen Hygiene und Moral. Er begründete also' eine Moralhygiene im Sinne von Alfons Fischer bzw. eine Pastoralhygiene, deren Grundmaxime, erstmalig von ihm erkannt, auch heute und stets nur lauten kann; „Niemals kann hygienisch richtig sein, was sittlich falsch ist.“

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