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„Ein Bier bitte, Frau Magister!“

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Die Berufsaussichten für Geisteswissenschaftler sind schlecht. Doch im Gegensatz zu anderen Akademikern sind sie sich darüber im klaren.

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Die Berufsaussichten für Geisteswissenschaftler sind schlecht. Doch im Gegensatz zu anderen Akademikern sind sie sich darüber im klaren.

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Die Besucher aus Kärnten staunten nicht ' schlecht: Während der Fahrt durch Wien überschüttete sie der Taxilenker mit zahllosen Fakten und Anekdoten über die Baudenkmäler, an denen der Wagen vorbeifuhr. Die Frage, woher er denn all das wisse, ergab: Der 'laxier war Kunsthistoriker, Schwerpunkt Neo-klassizismus; seinen Doktortitel hatte er vor drei Jahren erworben. Auch Birgit H., seit einem Jahr MagLitra der Philosophie, würde sich lieber mit ihrem Spezialgebiet - französische Literatur des 19. Jahrhunderts - beschäftigen, als in einem Grazer Kellerlokal Bier auszuschenken.

Der Kunsthistoriker als Taxifahrer und die Bomanistin als Kellnerin sind nur zwei krasse Beispiele für eine Tatsache, mit der die meisten Absolventen geisteswissenschaftlicher Studien konfrontiert sind: Die Chancen, einen Beruf im erlernten Metier zu ergattern, sind nicht sehr groß. Laut einer Studie des Wissenschaftsministeriums vom April des Vorjahres waren 1991 lediglich 53 Prozent der damals gut 40.000 österreichischen Geisteswissenschaftler im Unterrichts- und Forschungswesen tätig. Der Best verteilte sich auf die öffentliche Verwaltung (19 Prozent) und sämtliche wirtschaftlichen Bereiche - vom Gastgewerbe bis zum Gesundheitswesen. Sogar im Bergbau schürften 18 Geisteswissenschaftler nach Steinen und Erden, anstatt nach tiefsinnigen Ideen. Die optimistische Schätzung der Studie: Drei Viertel der Absolventen geisteswissenschaftlicher Studien sind „facheinschlägig“ beschäftigt

Als „Hauptrisikogruppen“ stuft das Ministerium Pädagogen, gefolgt von Kunstgeschichtlern, Politikwissenschaftlern und Psychologen ein. Trotzdem bleiben die Geisteswissenschaften die größte Studienrichtungsgruppe in Osterreich. Ein Fünftel der Absolventen kommt aus diesem Bereich. Wenn die Entwicklung derzeit ähnlich wie zwischen 1981 und 1991 verläuft, drängen jährlich etwa 2.000 frischgebackene Geisteswissenschaftler auf den Arbeitsmarkt.

„Die Berufsaussichten von Geistes-wissenschaflern haben sich im großen und ganzen kaum verändert“, weiß Margarethe Höbarth, Beraterin am Jungakademikerservice in Wien -denn schlecht waren sie schon immer: Seit jeher sei das spätere Berufsfeld nicht eingegrenzt und das Studium nicht auf unmittelbaren Erfolg und Karriere ausgelegt gewesen. „Der Weg ist in keiner Weise vorgegeben“, spricht Höbarth.

Ende Dezember waren in Österreich 1.694 Geisteswissenschaftler arbeitslos gemeldet; das sind rund 28 Prozent aller arbeitslos gemeldeten Akademiker. „Die Dunkelziffer ist ungefähr doppelt so hoch“, schätzt Höbarth. Denn direkt von der Universität kommende Absolventen haben zumeist keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, weil sie noch nicht lange genug einer geregelten Arbeit nachgegangen sind. Sie suchen einen Job auf eigene Faust und schauen nur unverbindlich beim Arbeitsamt vorbei.

Sowohl jenen, die Anspruch auf Arbeitlosengeld haben, als auch jenen, die darauf verzichten müssen, steht das Jungakademikerservice offen, eine Einrichtung des Arbeitsmarktservice Osterreich (AMS). Diese Anlaufstelle bietet zahlreiche Hilfen für frischgebackene Universitätsabsolventen an:

■ Beratung und Information. Erfahrene Berater geben Orientierungshilfen und stellen Adreßmateial potentieller Arbeitgeber zur Verfügung.

■ Weiterbildung. Das Jurtgakademi-kerservice bietet Sprach- und EDV-Kurse an, aber auch Bewerbungstrainings und Persönlichkeitsseminare. Auch Büroorganisationskurse stehen am Programm.

„Sie wissen oft nicht einmal, wie man ein Faxgerät bedient“, weiß Beraterin Höbarth -ein gravierendes Versäumnis angesichts dessen, daß zum Beispiel die meisten Dolmetscherinnen und Übersetzerinnen als Sekretärinnen ihr Auskommen finden müssen. In Deutschland ist es schon selbstverständlich, daß Geisteswissenschaftler nach dem Abgang von der Universität Zusatzqualifikationen erwerben.

■ Das Akademikertraining. Dabei handelt es sich um eine praktische Einstiegshilfe für Absolventen schwer am Arbeitsmarkt integrierbaren Studien und ohne nennenswerte Berufspraxis. Die betreffenden Jungakademiker - 350 bis 400 pro Jahr - werden für mindestens drei Monate in Institutionen oder Firmen im Ausmaß von 40 Wochenstunden studienadäquat beschäftigt. Während dieser Zeit erhält der Jungakademiker eine Förderung vom AMS im Umfang von rund 7.000 Schilling. Gehalt gibt es keines; so kommt der Arbeitgeber zu einer kostenlosen, hoch qualifizierten Arbeitskraft — ein verlockendes Angebot.

Bis zu einem halben Jahr kann es dauern, bis das Jungakademikerservice eine freie Trainingsstelle gefunden hat. Für Geisteswissenschaftler kämen vor allem Bibliotheken, Verlage, Kulturmanagement oder auch Messeorganistion in Frage, zählt Margarethe Höbarth auf. Aus Kunsthistorikern werden Bibliothe-kare, aus Philosophen Journalisten, aus Slawi-stinnen Öffentlichkeitsarbeiterinnen. „Wenn einmal die Weiche gestellt ist, geht es schnell bergauf“, glaubt die Beraterin. Immerhin: 65 Prozent der Vermittelten werden von ihren Arbeitgebern nach Ablauf des Trainings angestellt. Arbeitssuchende Jungakademiker haben sogar die Möglichkeit, selbst einen Betrieb oder einen Verein ausfindig zu machen, bei dem sie ihr Training absolvieren können. „Eigeninitiative ist immer gut“, lobt Höbarth die ganz Findigen unter den Universitätsabgängern.

Nicht jeder hat ein Anrecht auf diese Leistung: AVer schon auf eine dreijährige Berufserfahrung zurückblicken kann, kommt ebensowenig in den Genuß eines Akademikertrainings wie etwa ein Lehrer, der nur die Zeit bis zu seinem Probejahr überbrücken will. Auch Absolventen von Studienrichtungen, für die es Angebote am Arbeitsmarkt gibt, fühlt sich das Jungakademikerservice nicht zuständig - ein Fall, der weniger bei Geisteswissenschaftlern, als etwa bei Betriebswirten zum Tragen kommt.

„Geisteswissenschaftler sind viel weniger frustriert als andere“, erzählt Höbarth, da sie um ihre schlechten Berufschancen wüßten. Wirtschaftswissenschaftler hingegen hätten konkrete Vorstellungen und verzweifelten, Wenn diese an den Verhältnissen am Arbeitsmarkt scheiterten. Ein besonders rauher Wind blies in letzter Zeit den Nachwuchsjuristen bei der Arbeitsplatzsuche entgegen: Seit zwei Jahren gebe es kaum noch Jobangebote für sie, bedauert Höbarth. Innerhalb des letzten Jahres sind die Vormerkungen von Jus-Absolventen beim AMS um 44 Prozent angestiegen.

Die derzeitigen Veränderungen in der Arbeitswelt werden die Situation nur verschärfen. Flexibilisierung bedeutet: Weg von (lebenslangen) Fixanstellungen, hin zu (befristeten) Werkverträgen „In Zukunft werden sich viel mehr Akademiker in freiberuflichen Verhältnissen wiederfinden“, prophezeit Gertrude AumülT ner, Leiterin des AMS für Akademiker, Führungskräfte und Maturantenberatung. Das AMS bemühe sich schon jetzt, junge Akademiker durch entsprechende Beratung und das Angebot zusätzlicher Qualifikationen darauf vorzubereiten. Auch Aumüll-ner betont die Bedeutung der Eigeninitiative: Wer sich geschickt anstelle und innovative Ideen habe, könne zum Beispiel viel Geld aus diversen 'Töpfen der EU holen - „Allerdings nur auf befristete Projekte bezogen“, schränkt die AMS-Beferentin ein.

Geisteswissenschaftler könnten es hierbei leichter haben als andere: Von Anfang an mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert, sind sie an Flexibilität und Mobilität eher gewöhnt als Techniker oder Juristen, die erst seit kurzem mit massiver Akademikerarbeitslosigkeit kämpfen müssen.

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