6608336-1954_34_06.jpg
Digital In Arbeit

Ein erschütterndes Sozialphänomen

Werbung
Werbung
Werbung

Bei den weiblichen Studierenden weisen die Jüngeren Jahrgänge stärkere Frequenzen auf, das Maximum liegt bei den 21jährigen, bei den männlichen Studierenden hingegen weisen die älteren Jahrgänge stärkere Frequenzen auf, das Maximum liegt bei den 22jährigen. Von der Gesamtzahl der männlichen Studierenden sind 29 Prozent, von den weiblichen Studierenden nur 22 Prozent 25 Jahre und älter. Daß diese „Ueberalterung" nur zum Teil auf Verlängerung des Studiums über die vorgeschriebene Semesterzahl hinaus zurückzuführen ist, geht daraus hervor, daß an den Universitäten 41 Prozent der 25- und Mehrjährigen, an der Hochschule für Welthandel sogar mehr als die Hälfte dieser Altersgruppe dem f. bis 5. Semester angehören. Dies und die Tatsache, daß nur ungefähr ein Drittel der Studienanfänger weniger als 19 Jahre alt ist, beweist, daß die oben aufgestellte Fiktion des „normalen" Studienganges nur bei einem Bruchteil der Studierenden verifiziert ist.

Da die unmittelbaren Kriegsfolgen Behinderung durch Wehrdienst bzw, Gefangenschaft nicht mehr zur Erklärung aieses Phänomens herangezogen werden können, müssen dafür andere Gründe herangezogen werden. Zum Großteil werden diese in den sozialen Verhältnissen der Studenten und indirekt in der allgemeinen Wirtschaftslage zu suchen sein.

Ein Hinweis zu diesem Problem ist die große Zahl der Studierenden, welche gezwungen sind, neben ihrem Studium einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Obwohl damit zu rechnen ist, daß viele Studenten eine solche Beschäftigung nicht angaben und außerdem die Ferialarbeiten unberücksichtigt blieben, wurden für die wissenschaftlichen Hochschulen 24 Prozent, für die Kunsthochschulen 28 Prozent Erwerbstätige festgestellt. Annähernd zwei Drittel von diesen stehen in einem ständigen Erwerbsverhältnis. -— Bei den Studienanfängern ist die Zahl der Erwerbstätigen kaum geringer, dagegen sind die Unterschiede nach den einzelnen Hochschulen sehr verschieden. An der Montanistischen Hochschule in Leoben sind nur 6 Prozent, an der Hochschule für Welthandel 30 Prozent der Studierenden berufstätig, an den Kunsthochschulen bis zu 50 Prozent.

Von den an den Universitäten und an der Montanistischen Hochschule in Leoben studierenden Berufstätigen ist rund ein Drittel öffentlich angestellt. Von den an der Hochschule für Welthandel studierenden Berufstätigen sind fast zwei Drittel und von den an den Technischen Hochschulen studierenden Berufstätigen etwas weniger als die Hälfte als Privatangestellte beschäftigt. Von den an der Tierärztlichen Hochschule studierenden Erwerbstätigen sind mehr als zwei Drittel Arbeiter, auf der Hochschule für Bodenkultur und der Montanistischen Hochschule ein Drittel. Die Studierenden, welche durch Stundengeben zur Finanzierung ihres Studiums beitragen, machen den Erhebungen zufolge kaum zwei Prozent der Gesamtzahl der Erwerbstätigen aus; das läßt darauf schließen, daß nur ein Teil der tatsächlich auf diese Art Beschäftigten diese Tätigkeit als Berufstätigkeit auffaßte und angab.

Diese Zahlen zeigen, daß immerhin ein erheblicher Teil der Studierenden bei der Finanzierung des Studiums auf sich selbst angewiesen ist, d. h. mit ausreichenden Unterstützungen durch das Elternhaus nicht rechnen kann.

Um über die sozialen Verhältnisse der Studierenden Aufklärung zu erhalten, wurde der Beruf — und zur Ergänzung des Bildes —, die Schulbildung der Väter und die Berufstätigkeit der Mütter erfragt.

Die Ergebnisse gestatten, die häufig erhobene Behauptung, an den Hochschulen studieren hauptsächlich Kinder aus sogenannten „höheren" Schichten, auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen. Wenn auch die Art der Gruppierung der Berufe ke’ine unmittelbare Koordinierung mit den sozialen Schichten zuläßt, so sind doch genügend Hinweise gegeben, um ein in den Umrissen richtiges Bild zu erhalten.

Nach der zur Verfügung stehenden Gruppierung der Berufe kann zumindest eine Gliederung durchgeführt werden, die approximativ die soziale Schichtung wiedergibt. — Der größte Anteil der Väter entfällt auf die Gruppe der öffentlich Angestellten fast 30 Prozent, die jedoch auf Grund ihres universellen Charakters sie umschließt Vertreter der „unteren" wie auch höherer sozialer Schichten, von der einfachen Hilfskraft bis aum höchsten Verwaltungsbeamten zunächst außerhalb der Betrachtung bleibt. Versucht man nun von den übrigen die Vertreter der sogenannten „höheren" sozialen Schicht zu sondern, so erhält man selbst bei weitherziger Auffassung Privatangestellte in leitender Stellung, Kaufleute, Industrielle, freie Berufe für diese nicht mehr als 30 Prozent. Dabei ist zu berücksichtigen, daß unter den Kaufleuten auch Kleinkaufleute, unter den freien Berufen z. B. sicher viele weniger gut situierte Künstler vertreten sind, überdies die Bezeichnung Privatangestellter in leitender Stellung ein subjektiv festzulegender Begriff ist und bestimmt in Zweifelsfällen eher die bessere Position angegeben wurde. — Das bedeutet, daß unter Ausschaltung der öffentlich Bediensteten noch ungefähr 40 Prozent für die „mittleren" und „unteren" sozialen Schichten verbleiben. Rund ein Fünftel entfällt auf Studierende, deren Väter Arbeiter, Pensionisten und Rentner sind, also eindeutig ungünstigere finanzielle Voraussetzungen durch erhöhte Leistungen wettzumachen haben.

Die Untersuchung über die Schulbildung der Väter ergab, daß rund die Hälfte der Studierenden von Vätern mit geringerer als Mittelschulbildung stammt. Eine abgeschlossene Hochschulbildung besitzen etwas mehr als ein Viertel der Väter von Studierenden der wissenschaftlichen Hochschulen, etwas weniger als ein Viertel der Väter von Kunsthochschülern. Von ungefähr einem Fünftel der Studierenden sind die Väter bereits verstorben.

Diese Zahlen beweisen, daß es heute nicht mehr angeht, von einem Bildungsprivileg einer bevorzugten Schicht zu sprechen. Daß es den finanziell besser Gestellten leichter möglich ist, die Kinder studieren zu lassen, ist nicht zu leugnen, jedoch muß gerade heute auch mit den Erwägungen der materiell Eingestellten gerechnet werden, die das Ergreifen eines akademischen Berufes nicht als sonderlich erstrebenswert empfinden, besonders dann, wenn der Erfolg des Studiums sich vorwiegend in der Gewinnung von Bildungswerten erschöpft und sich das für ein Studium investierte Kapitel nicht in absehbarer Zeit amortisiert. Damit ist heute aber nur noch in einigen akademischen Berufen und da nicht in allen Fällen zu rechnen. Es ist daher bei der Frage, ob die akademische Bildung tatsächlich Angehörigen aller sozialen Schichten gleichermaßen offensteht bzw. von ihnen auch in Anspruch genommen wird, diese grundsätzliche Einstellung zu berücksichtigen. Es wird der Nützlichkeitsstandpunkt in einer Berufsgruppe mehr, in der anderen weniger ausgeprägt ‘eingenommen.

Im übrigen spielt die Vererbung des Berufes, wie zum Beispiel bei Gewerbetreibenden, Landworten und anderen zu beobachten ist, auch bei akademischen Berufen eine Rolle. Die Feststellung, in welchem Umfang sich dieser Faktor auswirkt, müßte Gegenstand einer Spezialuntersuchung sein. Angedeutet wird dieser Einfluß jedoch schon durch die nach Hochschulen verschiedene Verteilung der Berufe der Väter, die jeweils ein deutliches Hervortreten der den verschiedenen Fachrichtungen entsprechenden Berufe im allgemeinen erkennen läßt, im einzelnen jedoch nicht angeführt werden kann.

Von den Studierenden der Universitäten stammen ein Drittel von Selbständigen, etwas weniger von öffentlich Angestellten, der Anteil der Arbeiter betrug 7 Prozent, der der Landworte 5 Prozent. An den Technischen Hochschulen ist der Anteil der Selbständigen kleiner 26 Prozent, dagegen der der Privatangestellten größer. Besonders stark sind die Unterschiede an den übrigen wissenschaftlichen Hochschulen. An der Hochschule für Welthandel beträgt bei einem Anteil der Selbständigen von 37 Prozent der Anteil der Landwirte nur 2 Prozent, an der Hochschule für Bodenkultur sind 19 Prozent der Väter der Studierenden Landwirte bei einem Anteil von 33 Prozent Selbständigen. Fast ebenso hoch ist die Beteiligung der Landwirte an der Tierärztlichen Hochschule 18 Prozent, an welcher die Selbständigen mit mehr als der Hälfte, die öffentlich Angestellten hier jedoch mit dem geringsten Anteil 18 Prozent vertreten sind. Die Montanistische Hochschule Leoben hat von allen Hochschulen die meisten Arbeitersöhne 14 Prozent, dagegen sind an ihr die Selbständigen am schwächsten vertreten 17 Prozent. Kinder von Landwirten sind an der Theologischen Fakultät Salzburg mit dem höchsten Anteil 27 Prozent zu verzeichnen. An den Kunsthochschulen herrschen durchweg die Selbständigen vor, wmbei jedoch der Anteil der Künstler an der Gesamtzahl der Väter gering ist 4 Prozent.

Diese unterschiedlichen Zahlen weisen darauf hin, daß immerhin eine gewisse Tendenz zur Beibehaltung der Berufe der Väter auch bei den akademischen Berufen vorliegt, und daß die Kinder eher Berufe ergreifen, die ungefähr der Berufsrichtung der Väter entsprechen, als fernerstehende. Das heißt, daß selbst bei ganz gleichen Voraussetzungen für die Angehörigen aller sozialen Schichten, unter Ausschaltung aller finanziellen Schwierigkeiten, eine Verteilung der Hochschüler nach Berufsgruppen nie ganz der Berufsverteilung in der Gesamtbevölkerung entsprechen wird.

Dieselbe Folgerung kann auch aus den nach Bundesländern sehr verschieden hohen Zahlen der Studierenden gezogen werden, welche als ein Produkt aus dem Zusammenwirken von Lagebeziehungen und der sozialen Struktur der Bevölkerung der einzelnen Bundesländer gelten können. Im Bundesland. Wien wirken diese beiden Faktoren in ausgeprägtem Maße in positiver Hinsicht zusammen, d. h. einer berufsmäßig weitestgehend differenzierten und daher an jeder Art von Bildung interessierten Bevölkerung eines bedeutenden wirtschaftlichen und kulturellen Zentrums, in dem auch der Bedarf an Akademikern besonders groß ist, kommen die lagemäßig bedingten Begünstigungen entgegen, indem, mit Ausnahme der Montanwissenschaften, sämtliche Studienrichtungen in Wien vertreten sind. Das bewirkt, daß das Bundesland Wien nicht nur die weitaus höchste absolute Zahl von Studierenden besitzt, sondern auch die im Verhältnis zu seiner Bevölkerung größte.

Das Schaubild 6 charakterisiert den nach Bundesländern verschiedenen Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung für die wissenschaftlichen Hochschulen.

Niederösterreich hat trotz der günstigen Voraussetzungen, die durch die zentrale Lage Wiens gegeben sind, im Verhältnis zur Zahl seiner Einwohner eine geringe Zahl von Studierenden, in Vorarlberg scheint sich hingegen die wirtschaftliche und soziale Struktur seiner Bevölkerung positiv aüszuwirken. In Oberösterreich ist im Hinblick auf den fortschreitenden industriellen Aufbau und dem mit dieser Entwicklung zusammenhängenden steigenden Bedarf an — auch in geistiger Hinsicht — höchstqualifizierten Kräften die Zahl der Studierenden verhältnismäßig klein. Das scheint vor allem daran zu liegen, daß sich die hohen Anteile der Hochschulorte selbst für die betreffenden Bundesländer erhöhend auswirken, was bei Linz wegfällt. — An den in Wien befindlichen wissenschaftlichen Hochschulen sind 59 Prozent der Hörer Wiener, an den Wiener Kunsthochschulen sogar 64 Prozent. An den zwei Grazer Hochschulen sind 40 Prozent Grazer, an der Universität Innsbruck 28 Prozent Innsbrucker, in Salzburg unter den Hörem des Mozarteums 43 Prozent, unter den der Theologischen Fakultät 23 Prozent Salzburger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung