7097085-1994_49_01.jpg
Digital In Arbeit

Ein großer Beitrag zum sozialen Frieden

19451960198020002020

Politische Gegenpropaganda konnte die Integration von Ausländerkindern an Österreichs Schulen nicht verhindern.

19451960198020002020

Politische Gegenpropaganda konnte die Integration von Ausländerkindern an Österreichs Schulen nicht verhindern.

Werbung
Werbung
Werbung

Jahrelang waren sie den Freiheitlichen ein gefundenes Fressen in Wahlkämpfen gewesen: jene derzeit rund 70.000 Kinder an Österreichs Schulen, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Heuer im Herbst blieb es bei den üblichen Ankündigungen der FPÖ-Strategen. Im Wahlkampf selbst herrschte Stillschweigen zur Sache. „Die FPÖ hat aus guten Gründen Abstand genommen“, so Peter Seitz vom Unterrichtsministerium zur FURCHE, „das Thema ist einfach nicht mehr kontroversiell — und das halte ich für einen sehr schönen Erfolg.“

Diesen Erfolg dürfen Unterrichtsministerium und Lehrerschaft gleichermaßen für sich verbuchen. Nur die gröbsten Rahmenbedingungen wurden gesetzlich verankert, als vor zwei Jahren Modelle integrativen Lernen aus Schulversuchen in das Regelschulwesen übergingen. „Raum für den Erwerb der zweiten Sprache deutsch, veränderte Lernbedingungen im Klassenverband, Repräsentation der Muttersprache“, nennt Integrationsexperte Manfred Pinterits die drei Säulen integrativen Unterrichts. Das bedeutet den Einsatz von österreichweit 1.500 Begleit- und Muttersprachlehrern, Arbeit in Kleingruppen und teamteaching in vielen Klassen.

In Wien fährt ein Großteil der Muttersprachlehrer nicht nur die Schiene der muttersprachlichen Kurse, die als unverbindliche Übung am Nachmittag angesetzt sind, sondern auch die integrative Schiene des team-teachings mit österreichischen Kollegen am Vormittag. In- wie ausländische Lehrer haben dabei viel Kreativität und Flexibilität bewiesen. Pinterits: „Das Bewußtsein, daß die Dinge eigentlich in der Klasse passieren, ist bei den Lehrern sehr ausgeprägt.“

SOZIALE KONFLIKTE

Seitz wiederum freut sich, daß mittlerweile auch die Eltern der Schüler mit deutscher Muttersprache „die Vorteile eines solchen Systems erkannt haben, daß es nämlich auch die sprachliche und persönli-che Entwicklung ihrer eigenen Kinder fördert.“ 85 Prozent aller Personen, die das IFES-Institut im Auftrag des Wiener Stadtschulrates heuer befragt hat, haben sich für eine Förderung ausländischer Schüler an heimischen Schulen ausgesprochen. Und tatsächlich funktioniert das Miteinander in den Klassen auch reibungslos.

Stadtschulratspräsident Kurt Scholz zur FURCHE: „Die Kinder haben mit der Integration keine Probleme.“ Wo Erwachsene dennoch Konflikte spüren, handelt es sich meist um Übertragungen: „Es sind keine kulturellen, sondern soziale Konflikte“, erklärt Pinterits mit Hinweis auf die Ballung armer Ausländer in ge wissen Wohnbezirken.

Daß die Ausgliederung von Schülern nichtdeutscher Muttersprache ihre Integration behindert, ist empirisch längst bewiesen. Scholz geht noch weiter: „Wenn die FPÖ sagt, wir sollen eigene Ausländerklassen einführen, dann ist das ein Verbrechen nicht nur an den Kindern, sondern an der Sicherheit dieses Landes. Die Integration ist im Grunde der größte Beitrag zur Sicherheit und zum sozialen Frieden in Österreich. Separierende Erziehung würde mit Sicherheit zu ethnisch scharf umgrenzten Jugendbanden nihren.“

Eine Reihe deutscher Großstadtväter hat sich bereits in Wien informiert und das hiesige Schulmodell übernommen, andere Interessenten kamen etwa aus der Schweiz, aus Amerika und Israel. Scholz: „Die sind durch die Bahk beeindruckt.“

Eine Bewährungsprobe für die angestrebte Flexibilität war der Schub bosnischer Kinder vor drei Jahren. Innerhalb von ein, zwei Jahren gelang es, 3.000 Flüchtlinge aus raschest eingerichteten Nachmittagsklassen „sang- und klanglos und ohne die geringste Diskussion“ in den regulären Vormittagsschulbetrieb einzugliedem. Inzwischen, so Scholz, ist die Zahl solcher Seiteneinsteiger von etwa 10.000 im Vorjahr auf 8.500 heuer „stark gesunken“. Leichte Rückgänge, nämlich von etwa 77.200 auf rund 76.300, seien auch bei der Gesamtzahl der Schulanfänger mit nichtdeutscher Muttersprache zu verzeichnen. Die meisten von ihnen brauchen weniger als ein Jahr, bis sie fließend Deutsch können.

Die besondere Situation Wiens hat auch im schulischen Randbereich effiziente integrative Initiativen entstehenlassen. So hat sich hier die vom Unterrichtsministerium im jeweiligen Landesschulrat eingerichtete Schulberatungsstelle für Ausländer mit Unterstützung des Integrationsfonds zu einer sechsköpfigen Crew aus muttersprachlichen Beratern und Psychologen ausgewachsen, die zwischen Eltern, Schülern und Lehrern vermittelt.

Über Probleme der Integration, die wegen gewisser Ümstände manchmal nur „Wunschdenken“ bleiben muß, dazu die Seite 4.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung