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Ein klarer Wunsch nach Reform

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Aufgabe des Fragebogens war es, zwei grundlegende Diskussionspunkte der Synode klären zu helfen. Die erste Frage war, ob bei den Katholiken unserer Diözese überhaupt ein Wunsch nach einer synodalen Erneuerung der Kirche besteht. Man wollte deshalb erfahren, ob die Mehrzahl der Katholiken die Kirche und ihre Mitglieder, wie sie dem Außenstehenden erscheinen, kritiklos verteidigen oder ob sie doch ein gewisses Unbehagen verspüren und eine Kritik von außen teilweise oder uneingeschränkt als berechtigt empfinden und sich damit indirekt dieser Kritik anschließen. Und dies nicht zuletzt deshalb, weil sie die Mängel an der Kirche als eine Ursache für eine Unglaubwürdigkeit der Kirche vor den Menschen und der Welt ansehen.

Die erste Grundsatzfrage wurde von der überwiegenden Mehrzahl mit Ja beantwortet: Der Vorwurf Außenstehender an die Kirche bestehe ohne Einschränkung (28 Prozent) oder wenigstens teilweise (50 Prozent) zu Recht, daß die „Katholiken“ oberflächlich religiös sind. Nur schwache 19 Prozent lehnen diesen Vorwurf entschieden ab. Es ist interessant, daß sich ältere Menschen viel stärker gegen diesen Vorwurf wehren als jüngere (21 gegenüber zwölf Prozent), Pflichtschüler und Fachschüler mehr als Mittelund Hochschüler (29, 17, 10 beziehungsweise 7 Prozent der Reihe nach), und daß die Kritik in den Landgebieten Wiens auf eine deutlichere Ablehnung stößt als in Wien- Stadt (27 gegenüber 14 Prozent). Dasselbe Ergebnis erbrachte die zweite Frage des Kardinalbriefes, die über dies so gestellt war, daß sich der Beantworter selbst nicht von seiner Antwort beurteilt fühlen muß: Ob es stimme, daß deswegen viele nicht an die Kirche glauben, weil die „Christen“ sich zu ihren Mitmenschen oft so wenig christlich verhalten. Hier sagen 47 Prozent unbedingt ja, 33 Prozent bejahen dies teilweise, 18 Prozent geben ein klares Nein als Antwort. Die restlichen Antworten entfallen auf die Kategorie „weiß nicht“.

Der Wunsch nach Reform konkretisierte sich in der Kritik an der Predigt, von der je 27 Prozent der Meinung sind, daß in ihr die Probleme der Menschen unserer Zeit hinreichend beziehungsweise nicht hinreichend behandelt werden, während 37 Prozent angeben, dies geschehe teilweise. Große Unterschiede bestehen bei dieser Frage zwischen den einzelnen Gruppen: So sind die jüngeren Katholiken viel kritikfreudiger als die älteren, die Männer mehr als die Frauen, die Mittel- und

Hochschüler weitaus mehr als die Pflicht- und Fachschüler. Nach der Kritikfreudigkeit ergibt sich weiter folgende Reihung unter den Berufen: Schüler — Angestellte — Selbständige — Arbeiter — Hausfrauen — Pensionisten. Auch sind die Städter kritischer als die Katholiken der Landgebiete.

Etwas anders liegen die Unterschiede zwischen den Gruppen bei der Einstellung zur neuen Liturgie in der deutschen Sprache, die im wesentlichen mit einem überwältigenden Ja bestätigt wurde. 77 Prozent finden die neue Art des Gottesdienstes in der deutschen Sprache besser, neun Prozent finden sie kaum besser, elf Prozent lehnen sie ab. Der auffälligste Unterschied in der Einstellung zu dieser Frage besteht nach der Schulbildung. Am meisten begrüßen nämlich die neue Liturgie die Pflichtschüler (acht Prozent Neinstimmen), die meisten Nein-Stimmen gibt es hingegen bei den Hochschülern (18 Prozent). Darin dürfte auch die Ursache liegen, daß eigenartigerweise in den Landgebieten weniger Widerspruch gegen die deutschsprachige Liturgie besteht als in der Stadt (zwölf Prozent gegen acht Prozent Nein-Stimmen). Oder liegt das an der Mentalität der Wiener?

Entscheidung gegen ein „Sakristei- Christentum“

Die zweite Grundsatzfrage sollte Aufschluß über die Richtung bringen, in der man eine Reform erwartet. Die Befragten wurden vor die Alternative gestellt, ob sich die Kirche hauptsächlich an Taufen, Predigen, Gottesdienst halten, Religionsunterricht erteilen, Beerdigen und dergleichen beschränken solle oder ob zum Auftrag der Christen unserer Zeit Aufgaben gehörten wie „sich einzusetzen für die Rechte der Unterdrückten, den Frieden, für den Aufbau einer menschenwürdigen Welt“. Die Antworten sagen einhellig, daß ein „Sakristei-Christentum“ nicht erwünscht ist (77 Prozent), das der Kirche nur liturgische Funktionen zubilligt, sondern daß sie es unbedingt (74 Prozent) oder wenigstens teilweise (20 Prozent) als Auftrag der Christen ansehen, sich für die genannten weltweiten sozialen Probleme einzusetzen. Der Katalog die ser Aufgaben wurde in der offenen i Frage sieben noch bereichert. Dort scheinen unter anderem noch die Geburtenregelung, die Entwicklungshilfe, das Rassenproblem und die Wohnungsfrage auf. Es hat aber nicht den Anschein, daß diese Zuwendung zu Aufgaben in der Welt als die Folge einer Abwendung von innerkirchlichen Fragen auftritt. Denn unter den Themen, die man von der Synode behandelt wissen will, stehen obenan auch die Liturgie, die religiöse und soziale Erneuerung der Kirche, die Nächstenliebe, der Priesternachwuchs und die Spendung der Sakramente.

Ein Auftrag an die Synode

Man kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen, wie diese Meinungen engagierter Katholiken „oben“ ankommen. Rein theoretisch sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Es könnte sein, daß die Fragebogen die Archive der kirchlichen Statistik bereichern, um in hundert oder noch mehr Jahren einem Dissertanten wertvolles Material aus einer unruhigen Zeit der Kirche von Wien zu liefern. Es könnte auch sein, daß manche Tränen darüber fließen werden, daß man die Schleusen des Kommunikationsstromes von unten herauf geöffnet hat und daß man den festen Vorsatz faßt, dies nicht mehr wieder zu tun. Es könnte aber auch ganz gut sein, daß diese grundlegenden Voten der Wiener Katholiken den noch nicht resignierten Kräften in der Wiener Synode erneut Mut machen. Allerdings wäre es dann der Mühe wert zu überprüfen, ob die schon vorhandenen Vorlagen der Synode nicht nur dem fundamentalen Wunsch nach Reform, sondern auch dem Wunsch nach einer Öffnung der Kirche zur Welt von heute entsprechen. Sollte dies in einem nicht zufriedenstellenden Ausmaße der Fall sein, dann müßte dies aus dem eigentlich kaum übersehbaren Auftrag der Katholiken Konsequenzen für die weitere Arbeit und selbst für die synodalen Institutionen Konsequenzen haben, die es abzuwarten gilt.

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