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Ein Wiener Wagnis nach dem Weltkrieg

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Es war kühn, schon im Herbst 1945 mit einem neugearteten, großen, katholischen Bildungsinstitut vor die Öffentlichkeit zu treten. Die Vorarbeiten Hatten schon Monate früher begonnen werden müssen, als noch alle Wunden des Krieges bluteten. Nur ein unbesiegbarer Optimismus und das Verantwortungsbewußtsein für die Zukunft konnten den Mut dazu geben, die Wiener Katholische Akademie ins Leben zu rufen. Aber die Zeitaufgaben drängten, es mußte mit einem Sofortprogramm begonnen werden; ein nur in seinen Grundzügen ausgearbeitetes Statut bildete das vorläufige organisatorische Gerüst. „Es blieb“, wie Kardinal Innitzer in seiner Eröffnungsrede sagte, „nichts anderes übrig, als den organisatorischen Aufbau und Ausbau der nächsten Zukunft zu überlassen.“ Erfahrungen, die bei jedem neuen Unternehmen oft gemacht werden müssen, sollten zunächst gesammelt werden, um dann die endgültige organisatorische Form zu schaffen. Ja, es war kühn — ringsum war doch alles erst in langsamen, unruhigem Werden.

Ein dreifaches Ziel war der Akademie gestellt: Vertiefung und Erweiterung des Wissens um den Glauben, Erweiterung und Ergänzung des Profanwissens in der Sicht der christlichen Weltanschauung und Befähigung des gebildeten Laien zur Mitarbeit an der Lösung der Aufgaben des Katholiken in der neuen Zeit. Aus dieser Schau sind auch heute diese ersten Veranstaltungen der Akademie zu bewerten. Die Vorlesungsverzeichnisse zeigen die eindeutige Zielriditung. Fragen und Probleme aus allen Wissenszweigen sind zur Erörterung gestellt, wie sie die vergangene Zeit aufgerollt und die neue Zeit bringt. Die Vorlesungen waren zeitgeschichtlich betont und suchten gegenüber den Zeitirrtümern den Halt an den ewigen unverrückbaren Wahrheiten. Das ganze Wissensgebiet von der Theologie bis zur Mathematik und Technik rückte in den Brennspiegel katholischer Weltanschauung. Ein tiefes umfassendes Wissen um die geistige Lage der Gegenwart und die Bedürfnisse des aus seinem inneren Halt gerissenen modernen Menchen stand hinter dieser Planung.

Für die Beurteilung des Menschen von heute wurde es bedeutsam, daß die geisteswissenschaftlichen Vorlesungen andauernd dem größten Interesse begegneten, das selbst nicht in dem kalten Winter bei ungeheizten Räumen erlahmte. Theologie und Philosophie wiesen die größte Hörerschaft auf.

Eine glänzende Reihe von Dozenten der verschiedenen Disziplinen hatte sich zur Verfügung gestellt. Da tönten Namen, die in der Wissenschaft schon Begriffe geworden sind. Auch der junge wissenschaftliche Nach-wudis war zur Stelle.

Hier war die Wahrnehmung erfreulich, junge Kräfte wirken zu sehen, die für die wissenschaftliche Zukunft Österreichs viel Hoffnung bedeuten. Die akademische Höhe und der wissenschaftliche Ernst gaben unbestreitbar dem ersten Jahre der W. K. A. das charakteristische Gepräge.

So konnte die Akademie bereits im ersten Jahre nach dem Weltkrieg eine Leistung erreichen, wie sie einst in ihren Plänen für die Ausrichtung der wissenschaftlichen katholischen Bestrebungen Franz M. Schindler und Lammasch ersehnten, eine Leistung, die tröstlich und bewunderungswürdig ist, denkt man, unter welchen äußeren Umständen sie gewonnen wurde. Nicht zuletzt durch eine einsichtsvoll von vielen geförderte Konzentration der Kraft. Gehen wir in Zukunft jeder Zersplitterung aus dem Wege!

Die großen Fragen der Gegenwart bedürfen einer gründlichen, allseitigen Behandlung. Darum hat wohl die Akademie ihre Aufgabe richtig erfaßt, wenn sie ihre Arbeit nicht in Einzelvorträgen aufspaltete, sondern das Schwergewicht auf die systematische umfassende wissenschaftliche Darlegung der gestellten Fragen in Semestervorlesungen legte. Sie ging damit neue Wege. Sie hatte die schwierigere Methode gewählt, aber die in die Tiefe reichende.

Die Zahl der Hörer in den beiden Semestern betrug insgesamt 1 700. Stark war bereits die akademische Jugend vertreten. Die Lehrerschaft aller Schulkategorien bildete einen anderen erheblichen Teil der Hörerschaft, er konzentrierte sein Interesse besonders auf die naturwissenschaftlichen, geschichtlichen und pädagogischen Vorlesungen und Übungen. Weitere Kreise wurden durch die Sondrveranstal-tungen erfaßt; so bei der Feier aus Anlaß des 70, Geburtstages des Gründers Kardinal Innitzer, die zum ersten Mal wieder seit 1938 ein glanzvolles Bild katholischen Lebens zeigte, so auch bei der Morgenveranstaltung „Psallite Domino“, die in künstlerisch vollendetem Rahmen vor sich ging.

Die Akademie hat bereits ihre literarische Tätigkeit aufgenommen. Ihr erstes Jahrbuch wird bald erscheinen. Die Schriftenreihe der Akademie ist bereits eröffnet. Mit dem wissenschaftlichen Unternehmen „Austria sacra“ ist ein Werk von besonderer Bedeutung für die Geschichte Österreichs in Angriff genommen. Die übrigen literarischen Pläne greifen weit.

Der Aufgabenkreis der Akademie reichte über Wien hinaus. Die Verkehrsverhältnisse setzten dem Bestreben, auch die niederösterreichischen Städte in ihr Aktionsprogramm einzubeziehen, enge Grenzen. In Baden und Mödling fanden jedoch schon regelmäßige Vorlesungen statt. Eine Zweigstelle wurde für das Burgenland geschaffen. Das zweite Arbeitsjahr wird den Rahmen weiter spannen.

Die Akademie fand über die Grenzen Österreichs aufmerksame Beachtung. Papst Pius XII. sah in ihrer Gründung „ein Zeichen des neuerstarkten katholischen Lebens in Österreich“. Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften erblickte in ihr „eine der sichersten Grundlagen für die Wiederaufrichtung des großen österreichischen Volkes, das mit den alten Traditionen eines auserlesenen Katholizismus eine Kulturgeschichte vereint, so reich und fruchtbar für den Fortschritt menschlichen Wissens“. Die vatikanische Kongregation der Studien und Universitäten in Rom hob in einem Schreiben an die Akademie die Weite und grundsätzliche Klarheit des Programms hervor. Mit verwandten Instituten in der Schweiz, in Frankreich, Italien, England, Tschechoslowakei und den Vereinigten Staaten sind Verbindungen angeknüpft. Hervorragende Vertreter der französischen Geisteswelt konnte in diesem Jahr die Akademie als Gäste und Redner begrüßen. Es zeigt sich auch an der Akademie, daß Kirche und Wissenschaft fernab der Politik Brücken zu schlagen in der Lage sind, die auch auf anderen Gebieten Verständigung und Befriedung fördern. Es war ein fruchtbares Jahr, dieses erste der W. K. A. Sicher verschweigt sich keiner der verdienstvollen Bauleute an diesem edlen Hause geistiger Arbeit, daß jeder Anfang, zumal einer unter den Verhältnissen eines Jahres 1945 auch Mängel aufzuweisen hatte. Die Freiwilligkeit der Mitarbeit, die unklare Ferialordnung an den Hochschulen, die unvorhergesehenen amtlichen Feiertage, brachten öfter Änderungen mit sich, die von Dozenten und Hörern unangenehm empfunden werden mußten. In der Sicht des Ganzen kann derlei nicht in die Wagschale fallen. „Selbstlos ohne Ehrgeiz, allein im Bestreben der katholischen Sache zu dienen, gehen wir ans Werk“ erklärte Kardinal Innitzer in der Eröffnungsstunde der Akademie. Es möchte uns scheinen, daß wohl selten ein Werk mit einer solchen Zielsetzung und solchem Programm So zeitgerecht und zeitgemäß ins Leben trat, wie dieses. Von den Trägern der Arbeit des Alltags erforderte es im ersten Jahre jene vom Bischof verlangte Gesinnung.

Man darf wohl sagen, daß für solches Erfordernis der rechte Mann in Universitätsprofessor Doktor Johannes T h a u r e n gefunden wurde, der von sich aus das Letzte in rastloser Mühe um das große Unternehmen hingab. Es wäre ohne ihn schlechthin kaum denkbar gewesen.

Gründung und Wirken der Akademie werfen heute neuen Glanz auf eine glorreiche alte Pflegestätte österreichischer katholischer Geisteskultur, das .Schottenstift, dessen Abt als Kurator der Akademie deren Gedeihen mit großzügiger Fürsorge begleitet hat. Überschaut man das Jahr, in dem sich Wien aus seinen Trümmern zu erheben begann, so leuchtet dieses Werk aus aller Not dieser Zeit als eine Hoffnung und eine Verheißung. Freilich, alles Menschenwerk kann nur mit Gottes Hilfe gedeihen. Auch dieses. Aber die stillen, ungesehenen Opfer, die es begleitet haben, sind auch sein Unterpfand.

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