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Eine Fahrt ins Blaue?
Österreich soll von Leuten regiert werden, die Geduld, Zähigkeit, Ausdauer und Kon-sensfahigkeit zeigen.
Österreich soll von Leuten regiert werden, die Geduld, Zähigkeit, Ausdauer und Kon-sensfahigkeit zeigen.
Mein Lehrer Walter Antonioiii lehrte uns immer wieder, daß .auch der Bürgermeister regiert und gerade er. Die Praxis hat mich gelehrt, daß die Republik Osterreich eine Bürgermeisterei ist. Die rund 2.300 Bürgermeister sind in ihren Bereichen „Staatsoberhaupt”, „Regierungschef”, meist „Parlamentspräsident” und mehr als das, Verwaltungschef, Personalchef ...
Die Landeshauptmänner sind in ihrem Bereich vergleichsweise schon schwächer, aber immerhin vor allem Staatsoberhaupt, Regierungschef, Verwaltungschef. Sie können regieren und wissen es.
Auf Rundesebene ist es für die obersten Organe der Vollziehung schwieriger, mühsamer und langwieriger. Herbert Dachs und Friedrich Koja haben jüngst die Schwierigkeiten der Proporzregierungen der Länder dargestellt. Aber diese Schwierigkeiten sind gering im Verhältnis zur Siftifitiofl auf Rundes-' ebene.
Das Propwzwahlrecht zersplittertr die Einstimmigkeitsregel in der Regierung zwingt zu Kompromissen in Permanenz. Gerade dort, wo es Konzepte mit Konsequenzen geben sollte, gerade dort, wo energisch Reformpolitik betrieben werden soll, gerade dort, wo es rasch und zweckmäßig zugehen soll, ist alles auf Kooperation, Rontrolle und Konsens ausgerichtet. Die Mischung von präsidentiellen, Ressort-, Kollegial- und Kanzlerelementen funktioniert nur gut bei einer politisch homogenen Zusammensetzung.
Als in der Ära Kreisky alle Amtsträger des vielgliedrigen Systems der obersten Vollziehung des Bundes Vertrauensleute des Kanzlers waren, ging die Reformpolitik in Wien - und anderes kann Regieren heute nicht mehr sein - besser vor sich als in London. Aber diese Zeiten kommen nicht wieder.
Trotzdem steht jede Regierung unter ungeheurem Entscheidungs- und Konsendruck. Im Wahlkampf kann man scharfe Konfrontationen und Richtungskämpfe austragen. Reim Regieren muß man sich zusammensetzen, um sich auseinanderzusetzen und doch zusammenzuarbeiten. Unser Regierungssystem verlangt in besonderer Weise das Max Weber'sehe zähe Bohren von harten Brettern. Es verlangt eine besondere Geduld und Ausdauer, weil nur eine Übereinstimmung und ein Ausgleich zur Entscheidung führt.
Wer soll Österreich regieren? Diejenigen, die diese Geduld, Zähigkeit und Ausdauer haben. In unserer variationsreichen Geschichte haben sich bei unverändertem Verfassungsrahmen mindestens sechs Formen der Regierung verwirklicht: Der „Bürgerblock” der Ersten •Republik^ die Allparteienregierung der unmittelbaren Nachkriegszeit, die große Koalition, eine Minderheitsregierung der SPÖ, Alleinregierungen der ÖVP und SPÖ, kleine Koalition SPÖ und FPÖ, die Koalition SPÖ und ÖVP der Gegenwart. Integrationsund Problemlösungskapazität waren sehr unterschiedlich. Latente Koalitionskrisen führen zu Budget- und Regierungskrisen. Die Wahlen ändern die Proportionen, sie ändern aber nicht den Proporz und nicht den Zwang zum Konsens.
Es ist die innere Problematik unseres Regierungssystems, daß es auf dem Basiskonsens Proporz bei den Wahlen beruht und in der Spitze der Vollziehung auf Konsenszwang hinausläuft. Das Einstimmigkeitsprinzip in der Regierung kann überdies bewirken, daß ein einziger Minister ein Reformbudget verhindert. Die Wettbewerbssituation, der Parteien in der Demokratie unterliegen, wird in die Regierung hineingetragen und dort ausgespielt. Die Regierungsspitzen müssen zusammenarbeiten, als Parteiführer arbeiten sie gegeneinander. Die Regierung soll aber initiativ und aktiv vorgehen. Ohne Vertrauen zu- und aufeinander fehlt die Rasis; ohne das stete Miteinander-Reden-Können fehlt das Mittel zum Erfolg. Die Wähler wählen Parteien, auf deren Koalitionstaktik sie aber keinen oder wenig Einfluß haben. Deshalb haben Politologen die Verhältniswahl auch als „Fahrt ins Blaue” bezeichnet. Trotzdem kann der Wähler die Proportionen im Parlaments- und Regierungsproporz ändern, ob er zur Wahl geht oder nicht. Dabei kann egopolitisch, interessenpolitisch, parteipolitisch, staatspolitisch und so weiter entschieden werden. Daraus ergibt sich für den Bundespräsidenten die Entscheidung, wer regieren soll.
Das Volk teilt die Karten des politischen Spiels aus, aber der Bundespräsident bildet die Partie aus den Parteien. Er ist Herr der Regierungsbildung. Thomas Klestil wird sich an die Verfassungskonvention halten und den Chef der mandatsstärksten Partei mit der Regierungsbildung im einzelnen betrauen, wobei er Vorgaben und Zusätze machen kann. Er wird möglicherweise nach seiner Gepflogenheit auch andere Parteiführer zu Gesprächen einladen. Außer den nächsten formellen Schritten kann man aber derzeit nichts voraussagen, außer daß das Regieren noch schwieriger, mühsamer und langwieriger werden kann als bisher. AlleParteien müssen die Lösung der allen seit zehn Jahren bekannten großen Probleme unserer Republik vorberaten und sich für Kompromisse vorbereiten. Zur Vorbereitung gehören auch gute Regierungserklärungen vor der Regierungsbildung, Konzepte mit Alternativen und Konsequenzen.
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