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Eine Frage an das ganze Volk

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Es muß schon eine wichtige Frage, eine wirkliche Lebensfrage sein, wenn sie das ganze Volk zum Aufhorchen und Sich-Entscheiden bringen soll. Eine solche Frage ist ohne Zweifel die Frage der Lehrerbildung. Ja, es wäre zu wünschen, daß sie zu einem wirklichen Volksanliegen werde. In gewissem Sinne würde es die Sache vereinfachen, wenn das Volk darüber zu entscheiden hätte. Gerade auf dem Gebiete der Erziehung, in dem, was ihre Kinder angeht, haben Mann und Frau aus dem Volk schon ein fast triebsicheres Gespür für das Echte und das Rechte. Wenn man so eine allgemeine Volksbefragung über Schule und Lehrer durchführte, so würde in den Grundfragen eine weitgehende Uebereinstimmung sichtbar werden. Wir sahen das schon darin, daß trotz aller Abweichungen im Parteipolitischen doch die überwiegende Mehrzahl der Eltern dafür sind, daß ihre Kinder am Religionsunterricht teilnehmen. So käme höchstwahrscheinlich auch bei einer Umfrage heraus, daß die Eltern im großen und ganzen mit den heutigen Lehrern zufrieden sind. Es ist kaum zu glauben, daß viele der Eltern meinten oder gar forderten, die Unterrichtet ihrer Sprößlinge müßten noch mehr Latein, noch mehr höhere Mathematik beherrschen oder gar in die neuesten Modetheorien der Philosophie oder der Kunst eingeweiht sein. Wenn man schon Wünsche hörte, so gingen sie eher dahin, daß wieder mehr Rechtschreiben, mehr Schönschrift, mehr Kopfrechnen, mehr Volksliedpflege betrieben würde, vor allem aber, daß die Schule wieder die Stätte zünftiger Erziehung zur Ehrfurcht, Ordnung, Selbstbeherrschung, Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, zur Höflichkeit’und Gemeinschaftlichkeit würde. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich viele Zeitgenossen fänden, die der Meinung wären, die hochschulmäßige Ausbildung der Lehrerschaft sei ein dringendes Zeitbedürfnis, und diese Art von Ausbildung werde einen wirklichen Wandel zum Besseren in der Zukunft schaffen. Jedenfalls würde das Für oder Wider in dieser Frage nicht als so erheblich empfunden, daß man darob die gesamte Schulgesetzgebung von Frist zu Frist verschieben oder es gar zu einer Regierungskrise kommen lassen müßte. Wenn man also auf das Volk in dieser Sache hörte, die doch vor allem das Volk angeht, wäre bald eine Lösung dieses scheinbar unlösbaren Problems, ob Hochschulbildung der Lehrerschaft oder nicht, gefunden.

Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, sei gleich vorweggenommen, daß es uns fernliegt, dem Lehrerstand, dem wir nach unseren Eingangsworten eine so einzigartige Bedeutung beimessen, jene Bildung vorzuenthalten, die er braucht, um sein so wichtiges Amt richtig verwalten zu können, und die ihm das entsprechende Ansehen in der Gesellschaft verschafft. Wir sind durchaus der Meinung, daß das bisherige Bildungsausmaß erweitert und den Anforderungen des allgemeinen wissenschaftlichen Fortschrittes angepaßt werden muß. Wir lehnen nur eine Reform der Lehrerbildung ab, die die künftigen Erzieher und Bildner unseres Nachwuchses für ihre so entscheidende Aufgabe eher ungeeigneter als geeigneter macht.

Die Forderungen nach hochschulmäßiger Gestaltung der Lehrerbildung stammen nicht zuvorderst aus dem Raum der Sachlichkeit oder des Gemeinwohles, sondern des Standesinteresses und der Politik. Nun hat sicher jede Berufsgruppe das Recht, auch auf die Hebung und Besserstellung ihrer Angehörigen bedacht zu sein! Es darf dadurch aber nicht die ihr zugeordnete gesellschaftliche Leistung, ihr eigentlicher Berufszweck, beeinträchtigt oder gar gefährdet werden. Was die radikalen Reformer der Lehrerbildung anstreben, ist ein Doppeltes: Erhöhung des gesellschaftlichen Ansehens durch die Eingliederung in das Vollakadeipikertum und eine dementsprechende Gehaltsanglcichung. Das Streben nach wirtschaftlicher Besserstellung können wir ohne weiteres begreifen und würden es auch mit allen rechtlich Denkenden tatkräftigst unterstützen. Wenn schon der Lehrer eine so einzigartige Rolle in unserem Gemeinwesen spielt, so soll das auch in einer angemessenen LeistungsVergütung zum Ausdruck kommen. Was nun die gesellschaftliche Rangerhöhung angeht, so fragt es sich, ob der bloß hochschulmäßige Anstrich wesentlich zur Erreichung dieses Zweckes beitragen würde. Zunächst ist es überhaupt befremdend, daß man in unserem überdemokratischen Zeitalter in gewissen Kreisen noch ein so übermäßiges Gewicht auf die Unterscheidung Akademikertum — Nichtakademiker- tum legt. Schließlich werden doch als Lehrer heute auch die früheren MittelschuL.professoren“ angesprochen. Also eine Angleichung nach unten, wie es echte Demokratie verlangt. Dann muß doch die Geltung des Lehrerstandes auf ganz anderen Wertgrundlagen aufgebaut sein als auf ein bißchen mehr oder weniger Wissen oder eine hochtrabendere Betitelung. Das Ansehen eines Standes wie des einzelnen erwächst doch vor allem aus der charakterlichen Lauterkeit und Festigkeit, aus der beruflichen Leistung.

Nun würde der akademische Ausbildungsgang den Lehrer zwar bereichern und mit etwas mehr Wissenstheorie beschweren. Sie wird ihm aber in der Schulstube wenig nützen, sondern vielmehr gerade jenes Berufswissen entziehen, das er im Unterricht täglich benötigt. Was ‘nützt es, wenn man ein bißchen im Existentialismus herumgeschnüffelt hat, aber kaum eine Ahnung hat von der Flora oder Fauna seiner Heimat oder nicht einmal seinen Schülern ein Lied vorspielen kann!

Die politischen Hintergründe des Feldzuges für die Akademisierung der Lehrerbildung sind bekannt. Sachlich vorgeschoben wird neuerdings das Vorbild der allgemeinen akademischen Lehrerbildung in Deutschland. Man verheimlicht allerdings, daß dabei nicht immer die sachlichen Gründe den Ausschlag gaben, sondern durch eine Propagandawelle die öffentliche Meinung so bearbeitet Worden War, daß sich die Verantwortungsträger vielfach mit etwas schlechtem Gewissen und vielleicht auch ohne genügendes Sachwissen für das Neue als ein geringeres Uebel entschieden haben. Ein höherer deutscher Beamter hat sich im Laufe dieses Sommers bei einer Tagung in Salzburg dahin geäußert: Es sind in Deutschland bei weitem nicht alle davon überzeugt, daß die akademische Lehrerbildung das Bessere sei; aber die Stimmung und Haltung gewisser einflußreicher Kreise ist so, daß es kaum jemand wagt, dagegen zu sprechen. Wie diese Stimmungsmache vor sich geht, davon haben wir auch in unserem Lande ein aufschlußreiches Beispiel. Seit einigen Monaten erscheinen in einer gewissen Zeitschrift am laufenden Bande längere oder kürzere Beiträge, die, wie es- scheint, den Boden für eine günstige Aufnahme der neuen Pläne für die Lehrerbildung vorbereiten sollen. Wir haben verbürgte Nachrichten, daß diese Einsendungen, zum Teil wenigstens, auf Bestellung erfolgt sind …

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