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Eine Hand gibt, die andere nimmt

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Die Erwachsenenbildungsarbeit, früher einfach Volksbildung genannt, entsprang der Überzeugung der Aufklärung in England, daß das Wissen allein schon genüge, den Menschen zu einem richtigen Denken, Urteilen und Wollen zu führen, ihm zu Erfolgen im Leben zu verhelfen, ihn innerlich zu bereichern und glücklich zu machen. Die meisten waren sogar der Ansicht, daß das Wissen auch der beste Weg des Menschen.zu Gott sei. Aus diesen Gründen begann man öffentliche Büchereien zu errichten, Vorträge und Kurse abzuhalten und Erwachsene und Jugendliche in Klubs, Erwachsenenschulen und Educational Settlements zu vereinigen. Diese Bewegung griff nun auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Deutschland und Österreich über und ließ auch hier die ersten öffentlichen Büchereien und Abendvolkshochschulen entstehen, in denen vor allem besonderes Gewicht auf die Pflege der Verstandestätigkeit gelegt wurde. Nur in Dänemark war dies nicht der Fall, und der Schöpfer der dänischen ländlichen Volkshochschulen, der Theologe und Historiker G r u n d t v i g, strebte in seinen Heimvolkshochschulen nicht eine Verbreitung von Kenntnissen oder eine intellektuelle Schulung an, sondern glaubte an die Notwendigkeit eines geistigen Erweckens, eines seelischen Aufrütteins vor allem der jüngeren Erwachsenen, was er vor allem durch den Vortrag und die Pflege des Gemeinschaftsgeistes zu erreichen suchte und auch wirklich erreichte. Diese Bewegung der ländlichen Heimvolkshochschule verbreitete sich rasch über alle skandinavischen Länder und hat sich bis heute bewährt.

Auf deutschem und österreichischem Boden waren es vor allem die englischen Bücher- und Lesehallen, die die großen Städte veranlaßten, ähnliche Einrichtungen für die gesamte Bevölkerung zu treffen. Vor allem nach dem ersten Weltkrieg wuchs das Bedürfnis nach geistigen und seelischen Werten so mächtig an, daß es zu zahllosen Neugründungen l'sm. Doch legte man nunmehr nicht mehr das Hauptgewicht auf eine intellektuelle Schulung, sondern versuchte, den ganzen Menschen zu erfassen. Diese Bedeutung der Erwachsenenbildung wurde auch überall vom Staate anerkannt und daher gefördert. In Österreich wurde nach dem ersten Weltkrieg ein eigenes Volksbildungsamt geschaffen, und die anfangs stürmische Bewegung kam nur durch die Inflation und die spätere Arbeitslosigkeit zu einem gewissen Stillstand.

Die Verpflichtung, hier zu ermuntern und zu fördern, wird in Österreich auch von Bund, Stadt und Land erfüllt. Wo immer sich eine Neigung zeigt, eine öffentliche Gemeindebücherei zu errichten, werden entsprechende Subventionen zur Verfügung gestellt, und die kleinen und mittleren Volksbüchereien können mit Sicherheit damit rechnen, daß ihnen bei entsprechender Führung und Arbeit auch alljährlich Beihilfen gewährt werden. Ja, das Unterrichtsministerium hat gerade zur Förderung dieser Büchereien bei den staatlichen Landes-referaten Wanderbüchereien. Dank dieser Tätigkeit sind auch seit 1945 die öffentlichen Gemeindebüchereien in ständiger Zunahme. Daß diese Bestrebungen auch einem lebendigen Bedürfnis der Bevölkerung entsprechen, zeigt nicht nur der wachsende Besuch der Volkshochschulen, sondern auch die immer steigende Benützung der öffentlichen Büchereien.

Dem Finanzministerium fließen aus den Leihgebühren keinerlei Einkünfte zu, da durch eine Verfügung des ehemaligen Reichsministeriums für Finanzen alle öffentlichen Einrichtungen der Erwachsenenbildungsarbeit von jeglicher staatlichen Besteuerung befreit wurden. Das neue, mit dem 1, Jänner 1959 in Kraft gesetzte Umsatzsteuergesetz aber enthält diese Befreiung nicht mehr, und das Finanzministerium verlangt, vorläufig wenigstens, die Zahlung einer Umsatzsteuer von 5,25 Prozent von allen Einnahmen, also auch von den Spenden, die allenfalls der Bücherei durch die Leser zufließen. Es besteht aber auch durchaus die Möglichkeit, daß künftighin auch die Volkshochschulen und ähnliche Einrichtungen derselben Steuerpflicht unterstellt werden. So kann sich Österreich „rühmen“, wohl das einzige Land in Europa zu sein, das seine dem geistigen Wohle der Bevölkerung dienenden Volksbildungseinrichtungen besteuert, und die eigenartige Erscheinung zeigt, daß Subventionen des einen Ministeriums von einem anderen zum großen Teile wieder eingezogen werden.

Eine Eingabe des Städtebundes, die frühere Befreiung der öffentlichen Büchereien auch weiterhin beizubehalten, wurde in einer Note vom 20. November 1959 mit der sonderbaren

Begründung abgelehnt, daß „die neuerliche Begünstigung von Gebietskörperschaften hinsicht lieh einer Tätigkeit, die in gleicherweise auch von privaten Unternehmen (Leihbüchereien) ausgeübt wird, nicht gerechtfertigt wäre“.

Das Finanzministerium scheint offenbar den Unterschied zwischen einer öffentlichen Volksbücherei und einer Leihbücherei nicht zu kennen. Schon das Wiener Volksbildungsgesetz von 1936 unterscheidet scharf zwischen diesen beiden Arten von Büchereien und gewährt der Bezeichnung „Volksbücherei“ einen gewissen Schutz, da Leihbüchereien nicht berechtigt sind, sich Volksbüchereien zu nennen. Eine Leihbücherei ist ein kaufmännisches, auf Gewinn berechnetes Unternehmen, während die öffentlichen Volksbüchereien, wie die Volksschule oder die Fortbildungsschule, eine gemeinnützige Einrichtung der Gemeinden oder Länder sind. Die Leihbüchereien sind gezwungen, hohe Leihgebühren einzuheben, um zu einem Gewinn zu gelangen, und sie schließen damit auch einen großen Teil der Bevölkerung von ihrer Benützung aus. Die Leihbücherei kennt keine qualitative Auswahl des Buchmaterials, da sie keine Kulturaufgaben in ihrer Tätigkeit verfolgt, sondern wird auch minderwertige, ja sogar Schundliteratur einstellen, wenn sie erwartet, damit den Umsatz zu steigern. Im Gegensatz dazu legt die öffentliche Volksbücherei den größten Wert darauf, möglichst alle Schichten der Bevölkerung heranzuziehen, und ist daher auch gezwungen, die Leihgebühr, falls eine solche eingehoben wird, möglichst

niedrig zu halten, ja Jugendlichen, Altersrentnern usw. noch weitere Ermäßigungen zu gewähren. Auf jeden Fall übersteigen die Erhaltungskosten einer öffentlichen Volksbücherei immer und überall bei weitem die Einnahmen; und das dadurch entstehende Defizit kann von den Gemeinden nur durch die Heranziehung anderer Gemeindeeinkünfte und durch Subventionen des Staates und der Landesregierungen gedeckt werden. Und nun verlangt das Finanzministerium seinen Anteil an den „Einkünften“ dieser Büchereien I

Die öffentliche Volksbücherei legt aber auch den größten Wert auf eine strenge Auswahl des Büchermaterials. Eine Bücherei, die dieser Forderung nicht entspräche, könnte wohl kaum mit einer Unterstützung des Unterrichtsministeriums rechnen. Kleine und mittlere Büchereien sind durchaus auf die Mithilfe von freiwilligen Mitarbeitern angewiesen, da sie nicht imstande sind, für die Kosten ausgebildeter Bibliothekare aufzukommen. Und nun mutet (fas Finanzministerium diesen freiwilligen Mitarbeiter zu, daß sie auch weiterhin ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, um die Einnahmen der Finanzbehörde zu erhöhen. (Inzwischen hat der Verband Österreichischer Volksbüchereien in dieser Angelegenheit beim Finanzminister vorgesprochen. Anm. d. Redaktion.)

Es ist nicht förderlich für den inneren Aufbau unseres Staates, wenn das eine Ministerium durch Besteuerung von Einrichtungen, die durchaus im Interesse der Bevölkerung liegen, die Arbeit und die Bestrebungen eines anderen Ministeriums erschwert.

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