Eine Start-up-Partei im UNI-WAHLKAMPF

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Ab 19. Mai finden die österreichweiten ÖH-Wahlen statt. An der Wiener MedUni mischt eine neue Fraktion den Wahlkampf auf -und fordert, dass allen Absolventen das Reanimieren für den Notfall gelehrt wird.

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Ab 19. Mai finden die österreichweiten ÖH-Wahlen statt. An der Wiener MedUni mischt eine neue Fraktion den Wahlkampf auf -und fordert, dass allen Absolventen das Reanimieren für den Notfall gelehrt wird.

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"Heute hat die dreckige Phase begonnen." Eine Gruppe Frauen und Männer sitzen um einen Tisch in einem schummrigen Untergeschoss im achten Wiener Gemeindebezirk. Der Jüngste unter ihnen ist erst 21 Jahre, der älteste Anfang Dreißig. "Bis jetzt war alles ruhig, aber seit heute werden unsere Plakate abgerissen, beklebt und beschmiert." Frédéric Tömböl, 24, hat das Wort. Es ist kein konspiratives Kellertreffen, sondern die Strategiesitzung einer politischen Fraktion.

Sie nennen sich WUM und sind so etwas wie das Enfant terrible im Studentenwahlkampf der Medizinischen Universität beim Allgemeinen Krankenhaus, einem der größten Spitäler der Welt. WUM steht für die Wiener Unabhängigen Medizinstudierenden. Sie wollen vieles verändern, vor allem ihre eigene Ausbildung. Die Wiener Med-Uni bringt zwar -wie Rankings zeigen -im internationalen Vergleich Top-Absolventen hervor. Doch fehlen diesen oft die Grundlagen.

Grundlagen fehlen im Unterricht

So erwartet man eigentlich von jedem Arzt oder jeder Ärztin, dass er oder sie im Notfall in der Lage ist, Beatmungen durchzuführen, ein Ultraschall-Gerät zu bedienen oder einem Kind auf die Welt zu helfen. Solche Basics werden einem Großteil der angehenden Mediziner jedoch nicht im Studium vermittelt. Die WUM verspricht Spezialkurse, in denen jeder -ungeachtet seiner Spezialisierung -die Möglichkeit haben soll, wichtige Praktiken und Notfallmaßnahmen zu trainieren.

Wirft man einen Blick in ihr Wahlprogramm, so wird schnell klar: Sie wollen eine Hochschule im Stil von US-Eliteunis. Sie verwenden Schlagwörter wie "Academic Spirit","Bedside-Teaching" oder "Campus-Feeling". Die Fraktion strebt ein Wir-Gefühl unter den Studierende an. Angehende Mediziner täten sich nämlich vor allem als Einzelkämpfer hervor, heißt es. Auch mit den Professoren will man sich mehr vernetzen.

Das Problem: Auf große Erfolge oder eine lange Geschichte kann die Fraktion noch nicht zurückblicken. Sie existiert erst seit ein paar Wochen. Doch es sind keine wahnwitzigen Spinner, die wilde Utopien vor sich hertragen, sondern erfahrene Uni-Politiker: Einige der Kandidaten sind längst bekannte Gesichter auf dem AKH-Campusbislang jedoch unter den Flaggen anderer Fraktionen.

Was klingt wie akademische Polit-Sandkastenspiele, gilt längst wieder als Kaderschmiede für die hohe Politik des Landes. Aus ehemaligen Studierendenvertretern rekrutierten sich schon etliche spätere Spitzenpolitiker, etwa Bundespräsident Heinz Fischer oder der Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Zu den Wahlen der Österreichischen Hochschülerinnen-und Hochschülerschaft (ÖH) ab 19. Mai wird an allen nationalen Universitäten und Fachhochschulen parallel gewählt - 325.000 Studierende sind wahlberechtigt. Zum Vergleich: Das sind knapp 75.000 mehr als bei den anstehenden Landtagswahlen im Burgenland.

Allein an der Wiener MedUni sind 7500 Studierende eingeschrieben. Hier hat die Wahl einen besonders hohen Stellenwert, die Wahlbeteiligung ist traditionell hoch. Bei den Wahlen 2013 lag sie bei knapp 51 Prozent, der österreichische Unidurchschnitt mit 28 Prozent deutlich darunter. An der größten Uni Österreichs, der Uni Wien, nahmen sogar nur knapp 23 Prozent der Wahlberechtigten ihr Mitbestimmungsrecht wahr.

Inmitten einer wahlmüden Hochschulwüste ist die MedUni Wien eine Insel der Seligen. In dieser Politik-Oase kämpft die WUM an vorderster Front mit. Wahlplakate aller Fraktionen schmücken die Außenwände des Krankenhauses und der Hochschule. Fast täglich bietet sich ein anderes Bild. Die Poster werden mit provokativen Sprüchen beklebt oder heruntergerissen. Immer wieder muss nachplakatiert werden. Zu tun hat damit offiziell niemand etwas. Von der derzeit regierenden UFMUW (Unabhängige Fachschaftsliste) heißt es, man habe es "nicht nötig, auf andere hinzutreten", die WUM bekräftigt, es gebe "keine Ressourcen für reaktionäres Verhalten".

Politische Überläufer

Um ihre Wahlversprechen in die Tat umzusetzen, rittert die WUM um Mandate in der Humanmedizin-sowie der Universitätsvertretung. Im Gegensatz zu anderen Fraktionen entsenden sie niemanden in die Bundesvertretung, das österreichweite Studierendenparlament, das heuer zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder direkt gewählt wird. Matthias Schlechta, Fraktionsvorsitzender der UFMUW, hält den alleinigen Fokus auf die eigene Universität für wenig klug. "Ohne bundespolitischen Rückhalt ist es nicht möglich, die Studierenden richtig zu vertreten. Wir mussten die letzten Jahre Kämpfe auf höchster politischer Ebene austragen", sagt er.

Die WUM steht vor einer Aufgabe, die zu bewältigen von außen betrachtet fast unmöglich scheint. Doch der Klub könnte einen entscheidenden Vorteil haben, der ihn schon jetzt zum größten Konkurrenten der noch regierenden Fraktion UFMUW macht: seine Überläufer. Frédéric Tömböl etwa, stets im weißen Arztkittel, ist einer der führenden Köpfe, der im Frühjahr die politischen Seiten wechselte. 2013 kandidierte er noch für die UFMUW, auf dem AKH-Gelände liebevoll "Uffmuff" genannt.

Diese damals frisch aus dem Boden gestampfte Partei schaffte bei den letzten ÖH-Wahlen das Unmögliche: Sie holte von Jetzt auf Gleich die absolute Mehrheit und entmachtete schlagartig den langjährigen Platzhirschen, die konservative Österreichische Medizinerunion (ÖMU). Tömböl galt als eines der Aushängeschilder der Fraktion. Jetzt hat er sich mit dem harten Kern der ehemaligen ÖMU zusammengeschlossen.

Den Wahlkampf müssen sich die Kandidaten selbst finanzieren. 100 bis 200 Euro hat jeder in den gemeinsamen Topf geworfen. Fraktionen wie der SPÖ-nahe Verband Sozialistischer Student_innen (VSStÖ), die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft (AG) oder die Grünen und Alternativen StudentInnen (GRAS) bekommen von ihren Mutterparteien finanzielle Hilfe.

In der WUM sind detailverliebte Perfektionisten aufeinander getroffen. Sie sprechen von "Mikromanagement-Ebene", wenn sie die lokalen Gremien ihrer Hochschule meinen. Sie bezeichnen sich als "Marke", in die die Wähler "Vertrauen" haben müssen. "Letztendlich ist es ja egal, ob ich ein Leiberl verkaufen oder gewählt werden will", so Tömböl. Ihren Wahlkampf ziehen sie auf wie ein Business-Model, die Methoden gleichen jenen eines jungen Start-up-Unternehmens: innovativ, schnell, digital.

"Bei uns macht jeder, was er kann", sagt Tömböl. Stundenlang diskutieren sie über das Layout ihrer Broschüre. Am Ende wird es ein Design-Heft -weiß, schick, professionell. "Uns wurde schon gesagt, wir wirkten wie ein Apple-Produkt -zu perfekt, zu 'corporate' - das Bittere ist, wir sind leider echt so gut." Einige von ihnen lachen, andere beißen sich auf die Lippe.

Ausgebrannte Maschinen

"Für eine Universität, auf die du stolz sein kannst." An diesem Slogan haben sie lange gefeilt. Die WUM will die Studierenden wieder zufrieden sehen. "Wenn die Leute zu studieren anfangen, haben sie Hobbys, wenn sie aufhören, sind sie ausgebrannte Maschinen", sagt einer. Im Klinik-Alltag erwartet sie dann die 60-bis 70-Stunden-Woche. Macht schon das Studium unglücklich? Stichprobe vor einem der Hörsäle im AKH, ein Student im letzten Studienjahr, kurz vor seinem klinisch-praktischen Jahr, hetzt die Gänge entlang: "Ob ich als stolzer Absolvent die Uni verlassen werde? Ich müsste erst höhnisch lachen und dann weinen." Wird er zur Wahl gehen? "Auf jeden Fall, sonst ändert sich ja nie etwas."

Am 13. Mai wird ihre Hauptveranstaltung stattfinden, eine große Party im Garten des Palais Clam-Gallas."Nur wer glücklich ist und Spaß neben dem Studium hat, kann ein guter Arzt werden", so Tömböl. Nach diesem Motto haben sich auf Facebook über 900 Gäste angekündigt, auch Professoren wollen sich sehen lassen. Während die WUM die Studierenden auf Facebook über die Biersorte abstimmen ließ, die ausgeschenkt wird, fragte ein Professor per E-Mail nach dem passenden Dresscode. "Academic spirit" trifft auf "Wir-Gefühl".

Online vernetzt

Die Laptops sind immer dabei: Die Homepage war der erste Schritt zur WUM-Fraktion. Ihr Wahlkampf findet zum Großteil in sozialen Netzwerken und mittels Wahlvideos statt.

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