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Eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit

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In vielen Fachzeitschriften wirtschaftlicher und steuerlicher Richtung ist die Frage einer Schillingeröffnungsbilanz in den letzten Monaten abgehandelt worden. Wenn es nun auch in einem Blatt geschehen soll, das seit seinen ersten Nummern kurz nach dem Kriegsende die Tagesereignisse nach dem Maße ihrer Bedeutung über den Tag hinaus, nach dem Maße ihrer Notwendigkeit in Hinblick auf das Ganze zu beurteilen bestrebt war, so geschieht es mit dem Bewußtsein, daß diese in ihrem Wesen wirtschaftliche Frage weit in jene kulturpolitischen Bereiche h i n e 1 n w i r k t, die gewöhnlich in ihrer unvermischten Form in den Zeilen dieser Wochenschrift zur Betrachtung hingestellt werden. — Wie jedoch der Begriff der Kultur, sofern in ihm ein Bezeichnungen der Wirtschaftsvorgänge, also in der Buchführung, zum Ausdruck. Nun besteht in solchen Fällen die Gefahr, daß bestimmte Prinzipien, zum Beispiel die gesetzlichen Bewertungsgrundsätze, die einen gewissen Geldwert zur Grundlage haben, bei Veränderung dieses Wertes dennoch unverändert angewandt, ihre Ordnungsfunktion verlieren.

Nach dem handels- und steuerrechtlichen Grundsatz des Bilahzzusammen-hanges müssen in die Anfangsbilanz eines Wirtschaftsjahres die Zahlen der Schlußbilanz des vorhergegpngenen Wirtschaftsjahres übernommen werden; das bedeutet, daß die Schlußbilanz des Vorjahres zugleich die Eröffnungsbilanz des folgenden Jahres ist. Nun sind in den Bilanzen die einzelnen Vermögensdürfnis und eine Leistung aller Bevölkerungsschichten verstanden wird, ein echt soziales Element enthält, so kommt der vorliegenden Frage neben der wirtschaftspolitischen eine große soziale Bedeutung zu, die im letzten in der Sicherung des Arbeitsplatzes und damit der Sicherung des Brotes für die große Masse unseres Volkes besteht, wie unten zu zeigen sein wird.

In der Wirtschaft haben, bedingt durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse, vielfache Umwandlungen stattgefunden. Die für die vorliegende Frage wesentliche Veränderung ist die des Geldwertes als Ergebnis der verschiedenen Währungsund Preisverschiebungen.

Naturgemäß kommen Schwankungen im Geldwert in den systematischen Aufobjekte nach verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Die Anlagegüter, das sind die den Betriebszwecken dauernd oder längere Zeit dienenden Güter, für die keine Veräußerungsabsicht besteht (zum Beispiel Grundstücke, Gebäude, Geschäftsausstattung, Maschinen und Werkzeuge), sind so regelmäßig mit dem An-sdiaffungs- und Herstellungswert in die Bilanz eingesetzt und stehen um die Jährliche Wertverminderung (Abschreibung) verkleinert zu Buch.

Zufolge des Prinzips der BttanzkonÖ-nuität und des Grundsatzes der Bewertung des Anlagevermögens nach den ursprünglichen Anschaffungskosten sind — bedingt durch das Sinken des Geldwertes — die in der Bilanz aufscheinenden Zahlen in verschieden „wertvollem“ Geid ausgedrückt. So stehen etwa In den Büchern einer Straßenbaufirma die zuletzt gekauften Muldenkipper mit einem relativ viel höheren Betrag in der Bilanz als die viel wertvollere, wenige Jahre früher beschaffte Diesellokomotive. — Die Zahlenwerte in der Bilanz sind, da aus Zeiten wesentlich verschiedenen Geldwertes stammend, nur sehr bedingt vergleichbar, sie sind in Hinblick auf die Vermögenslage und die Rentabilität eines Unternehmens nur mit größter Vorsicht brauchbar und sagen über die Kreditwürdigkeit eines Betriebes nur wenig aus.

Die auf diesen verzerrten Grundlagen aufgebauten Bilanzen erweisen sich nicht nur in volkswirtschaftlichen und kreditpolitischen Belangen als unzulänglich, sondern sie lassen auch die wirtschaftlich überaus schädlichen Scheingewinne entstehen.

Es ist leicht einzusehen, daß sich die Gegenstände des Anlagevermögens, etwa eine Maschine oder ein Betriebsgebäude, wenn auch in verschiedenem Maße, im Laufe der Zeit abnützen und damit eine Verminderung ihres Wertes eintritt. Diese Tatsache wird in Form der Abschreibung (Absetzung für Abnützung) in den Steuerbilanzen berücksichtigt. Die Abschreibung hält die Wertverminderung eines abnützbaren Wirtschaftsgutes fest und gibt dem Unternehmer dadurch, daß sie den steuerlichen Gewinn mindert, die Möglichkeit, sich nach Ablauf der erfahrungsgemäßen Verwendungsdauer ein neues Wirtschaftsgut aus den „abgeschriebenen“ und somit der Besteuerung entzogenen Beträgen anzuschaffen. — In einer Zeit des sinkenden Geldwertes kostet gewöhnlich jede Maschine, jedes Werkzeug, jeder Einrichtungsgegenstand ein Vielfaches seines früheren Anschaffungspreises. Da aber die steuerrechtlichen Vorschriften eine Erhöhung der bis dahin bilanzierten Werte auf die faktischen Wiederbeschaffungskosten nicht zulassen, können die Abschreibungen ihren Zweck in Hinsicht auf die Neubeschaffung verbrauchter Anlagegüter nicht mehr erfüllen. Die Gewinne aber, die nur um die buchmäßigen, nicht aber um die wirtschaftlich notwendigen Abschreibungen vermindert sind, sind im wahrsten Sinne des Wortes „Scheingewinne“. Es werden in diesem Falle nicht nur der tatsächliche Gewinn, sondern auch die nicht als Abschreibung zugestandenen, aber dem tatsächlichen Verschleiß entsprechenden Summen von der Steuer erfaßt, was praktisch auf eine Steuerzahlung aus der Substanz des Unternehmens hinausläuft.

Daß bei einer solchen Art der Besteuerung die Anschaffung moderner Maschinen und notwendige Investitionen unterbleiben müssen, liegt auf der Hand. Was dies aber in einem Zeitpunkt bedeutet, in dem die österreichische Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und ihren Export erhöhen muß, um nach den Preiserhöhungen der meisten ausländischen Rohstoffe im Zusammenhang mit dem Koreakonflikt und nach dem späteren Aufhören ausländischer Hilfe leben und damit volle Beschäftigung gewährleisten zu können, bedarf keiner Erklärung.

Durch die oben dargestellte Entwicklung ist der Grundsatz der Bilanzwahrheit durchbrochen worden, der sowohl im Handels- als auch im Steuerrecht, wenn auch mit verschiedenen Zielen, gesetzlich begründet ist. Das Festhalten an den anderen Grundsätzen des Handels- und Steuerrechts konnte es nicht nur nicht verhindern, sondern hat vielmehr dazu beigetragen, daß die Wirtschaft in die verhängnisvolle Situation des allmählichen Verzehres der eigenen Substanz gebracht wurde. Rückkehr zu dem Grundsatz der Bilanzwahrheit ist daher die allgemeine Forderung.

Die Finanzverwaltung hat mit dem Zugeständnis der dreifachen und in Zukunft wahrscheinlich vierfachen Abschreibung für Abnütiung (AfA) und mit den Bestimmungen des Scheingewinngesetzes einen Schritt auf die Bilanzwahrheit hin getan. Eine bedeutende und ins Gewicht fallende Annäherung an die Bilanewahrheit — von einer Wiederherstellung kann nur schwerlich gesprochen werden — kann aber nur die Neubewer-q der Wirtschaftsgüter, insbesondere ler Anlagegüter und Vorräte, bringen.

Abgeordnete von zwei politischen Parteien (ÖVP und VdU) haben schon vor längerer Zeit im Parlament je einen Initiativantrag zur Schaffung eines Schillingeröffnungsbilanzgesetzes eingebracht. Nach den Entwürfen soll das Prinzip der Bilanzkontinuität zum Zweck der Erstellung neuer Eröffnungsbilanzen einmalig keine Geltung haben und die Anlagegüter und Vorräte (Rohstoffe bis fertig verarbeitete Waren) zu den tatsächlichen Werten, die ihnen am Stichtag der Schillingeröffnungsbilanz zukommen — also Tageswert beziehungsweise Marktpreis — in den Bilanzen angesetzt werden. Das Kernstück der angestrebten gesetzlichen Regelung sind jedenfalls die Bewertungsbestimmungen, auf die in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden soll.

Die Notwendigkeit der Schillingeröffnungsbilanz als berechtigter Anspruch der Wirtschaft ist allgemein grundsätzlich anerkannt worden — eine Folge der Mitverantwortung, die die zweitgrößte Partei infolge ihrer Teilnahme an der Regierung trägt. Bedenken wenden sich nicht gegen die geplante Neuregelung als solche, sondern gegen den Zeitpunkt ihrer baldigen Festsetzung und gegen verschiedene vermutete Folgen, die bei ihrer Einführung nicht unbedingt ausgeschlossen werden können, wie etwa Preissteigerungen.

Als sicher muß angenommen werden, daß durch die Aufstellung von Schilling-eröffnungsoilanzen zunächst ein Steuerausfall eintreten wird, der allerdings zum großen Teil durch die Mehreingänge aus der Vermögenssteuer, dem Besatzungskostenbeitrag vom Vermögen, der Gewerbekapitalsteuer und der Aufbringungsumlage ausgeglichen werden wird.

Wenngleich die Ausgeglichenheit des Staatshaushaltes ein erstrebenswertes Ziel ist, so wird es doch voraussehend sein, zugunsten späterer Steueraufkommen einen unbedeutenden Ausfall in Kauf zu nehmen. Die Frage der Schillingeröffnungsbilanz ist ein so komplexes Problem, daß sie nicht durch Beurteilung allein vom fiskalischen Standpunkt gelöst werden kann.

Es geht in erster Linie um die Bilanzwahrheit; sie zu erreichen, liegt im eminenten Interesse der einander oft widerstrebenden Interessen und Tendenzen der Unternehmer, der Dienstnehmer und der Finanzverwaltung. Der Unternehmer, weil nur so die notwendige Erneuerung der technischen Mittel möglich und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, ja das Verbleiben im Wirtschaftsprozeß überhaupt sichergestellt sind; der Dienstnehmer, weil durch den Wegfall der Scheingewinnbesteuerung die untergrabenen Voraussetzungen für eine kontinuierliche Beschäftigung, eben für die Vollbeschäftigung, gefestigt und vielfach erst geschaffen werden; schließlich der Finanzverwaltung, weil sie im Grunde den tatsächlichen wirtschaftlichen Gewinn versteuern will und weiß, daß sie mit der zusätzlichen Besteuerung der Substanz sich selbst die Aussicht auf künftigen Ertrag mindert.

Wenn in diesen Zeilen einem berechtigten Anspruch eines Teiles des Gemeinwesens das Wort geredet wurde, von dem man manchmal glaubt, daß er eines aufrechten Eintretens nicht Wert sei, wo andere Stände ganz andere Sorgen und brennendere Bedürfnisse haben, so sei zum Schlüsse gesagt, daß es darum geht, dem Recht und der Vernunft überall zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem besonderen Fall aber geht es nicht um die Besserstellung einer Schicht, sondern darum, der akuten Gefahr des Substanzverzehres in der Wirtschaft zu begegnen, in der die Mehrzahl der Staatsbürger ihr Brot findet, und damit der Arbeitslosigkeit voraussehend die durch den gegenwärtigen Wirtschaftszustand gegebene Ansatzmöglichkeit zu nehmen.

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