"Einmal Bauernhof reicht nicht"

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Die "Gemüse-Ackerdemie" bringt den Acker an die Schule. Dabei lernen Kinder nicht nur, wie man Salat anbaut, sondern erwerben gärtnernd viele andere Kompetenzen.

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Die "Gemüse-Ackerdemie" bringt den Acker an die Schule. Dabei lernen Kinder nicht nur, wie man Salat anbaut, sondern erwerben gärtnernd viele andere Kompetenzen.

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Vor zwei Jahren hat Christoph Schmitz die "Gemüseackerdemie" als Privatinitiative in Potsdam lanciert -inzwischen betreut er mit einem kleinen Team rund 50 Schulen. Ab Herbst exportiert der promovierte Landwirt die "Ackerdemie" an österreichische Schulen.

Die Furche: Worum geht es Ihnen als "Gemüse-Ackerdemiker"?

christoph Schmitz: Es geht um ein modernes Schulgarten-Programm. Wir wollen, dass die Schulen wieder einen Lernort in der Natur haben. Dazu haben wir ein Bildungsprogramm entwickelt, um die Schulen dabei zu unterstützen. Denn die Lehrkräfte haben keine Zeit, einen Schulgarten aufzustellen, und oft auch keine Expertise. Der ist ja nicht im Lehrplan verankert.

Die Furche: Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?

Schmitz: Wir haben selbst einen Schulbauernhof zu Hause, da kommen die Kinder nur einmal hin - so kann kein wirkliches Lernen stattfinden. Durch die "Gemüseackerdemie" begleiten sie den kleinen Samen bis zur fertigen Frucht nach ökologischen Kriterien und vermarkten das Gemüse auch noch selbst. Die Kinder suchen sich einen Gemüsepaten, der ihnen das Gemüse abnimmt. So lernen sie die gesamte Produktionskette kennen. Im Folgejahr übergeben die Kinder einen fertigen Acker an die nächste Klasse, sie können ernten und machen im Winter Theorie und Experimente. Wir rennen bei den Eltern offene Türen ein, die selbst keine Zeit für sowas haben, und auch bei den Schulen.

Die Furche: Was sollen die Kinder in der "Ackerdemie" alles lernen?

Schmitz: Wichtig ist uns, den Bezug zur Natur herzustellen und das Verständnis dafür, wo unsere Lebensmittel herkommen. Viele Kinder kennen Salat nur eingeschweißt und Karotten alle nur in derselben Länge. Die andere Komponente ist das soziale Lernen, dass die Kinder nicht nur im Klassenraum sitzen, sondern voneinander lernen. In der Natur lernen sie soziale Fähigkeiten wie Respekt oder Wertschätzung.

Die Furche: Und wie werden die kognitiven Fähigkeiten gefördert?

Schmitz: Die Kinder können sich die Inhalte besser merken und mehr dazu erzählen, weil sie Geschichten im Kopf haben. Wir wollen vermehrt an die Gymnasien gehen, wo die Kinder fast nur mit theoretischem Kram in Kontakt kommen. Das Lernen am Objekt, der sichtbare Effekt, das Angreifen und Erfassen mit allen Sinnen, hat ja einen viel höheren Lerneffekt. Für Kinder ist es ansonsten schwierig, diese Transferleistung von der Theorie in die Praxis zu schaffen.

Die Furche: Wie waren die Erfahrungen mit den ersten Klassen?

Schmitz: Viele Kinder sind total überrascht, wenn sie eine lange Karotte herausziehen können aus dem Samen, den sie gesät haben. Ein Mädchen hat bei der Tomaten-Ernte gesagt: "Ich habe noch nie die runden Tomaten gegessen." Es stellte sich heraus, dass sie Tomaten nur aus der Fertig- Tomatensauce kannte. Von den Lehrern bekommen wir oft die Rückmeldung, dass gerade jene Kinder, die im Unterricht nicht so gut mitkommen, plötzlich eine hohe Motivation zeigen. Im Garten zählen andere Fähigkeiten, etwa, wie fleißig und engagiert du bist. Die Kinder können so zeigen, dass sie mehr können.

Die Furche: Ist das Projekt für Brennpunkt-Schulen konzipiert?

Schmitz: Nicht nur, wir gehen an alle Schulen, die mit uns arbeiten wollen. Natürlich hat man den stärkeren Effekt in schwierigeren Umfeldern. Aber das Mädchen, das keine Tomaten kannte, war nicht aus einem Problembezirk, sondern vom Land. Wir sind auch im ländlichen Bereich tätig.

Die Furche: Sie wollen die Lehrer entlasten?

Schmitz: Genau. Sie sind zwar selbst mit den Kindern auf dem Acker, aber wir richten den Acker ein, machen die Anbau-Planung, helfen bei der Vermarktung des Gemüses, bieten Lehrerfortbildungen an, geben ihnen ein Curriculum und pädagogische Tipps für den Acker. Bei der Kinderbetreuung werden sie unterstützt von ehrenamtlichen Mentoren. So kommen die Kinder mit anderen Personen in Kontakt, etwa engagierten Großeltern oder Studierenden.

Die Furche: Nun wird das Projekt in Österreich lanciert?

Schmitz: Hier wird das ab Herbst in Kooperation mit der "kleinen Stadtfarm" in Schulen in und um Wien umgesetzt. Der Großteil der Kosten wird von uns getragen, ein Anteil von den Schulen. Wir starten mit einer Pilotschule und hoffen, dass viele weitere dazukommen.

Nähere Infos unter: www.ackerdemia.de

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