7130538-1997_23_12.jpg
Digital In Arbeit

Einreihen in die Warteschlange

19451960198020002020

Uniabsolventen müssen zunehmend um Arbeitsplätze kämpfen. Wie besorgniserregend ist die Arbeitslosigkeit bei Juristen?

19451960198020002020

Uniabsolventen müssen zunehmend um Arbeitsplätze kämpfen. Wie besorgniserregend ist die Arbeitslosigkeit bei Juristen?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ansteigen der Akademikerarbeitslosigkeit wird zur Zeit mit großer Sorge registriert. Auch angesichts der Tatsache, daß das Risiko der Arbeitslosigkeit für Akademiker verglichen mit anderen Gruppen am Arbeitsmarkt als gering zu werten ist, deutet doch die zahlenmäßige Entwicklung der letzten Jahre daraufhin, daß es insbesondere für Hochschulabsolventen in Zukunft immer schwieriger werden wird, eine Reschäftigung zu finden.

Panik ist dennoch nicht angesagt: 5.600 arbeitslose Akademiker im März 1997 stellen gegenüber den Vorjahrsdaten eine Zunahme von 0,3 Prozent dar, doch sind die offiziellen Daten mit einer gewissen Skepsis zu interpretieren, da angenommen werden kann, das besonders bei den Akademikern die Dunkelziffer relativ hoch sein dürfte: In den Personal-büros häufen sich seit einigen Jahren die Zahlen der sogenannten „Rlind-bewerbungen”, in denen teilweise sogar gut qualifizierte Hochschulabsolventen ihre Mitarbeit in der Hoffnung auf entsprechenden Redarf anbieten.

Verstärkt wird diese Entwicklung zweifelsohne durch die aktuellen Einsparungen der öffentlichen Hand, von denen besonders die Juristen betroffen sind: Hier sprechen auch die offiziellen Daten des Arbeitsmarktservice eine deutliche Sprache, wenn festgestellt wird, daß bei den Juristen mit einem Plus von 78 Personen die größte absolute Zunahme gegenüber dem Vorjahr vorliegt. Ende März gab es somit 650 arbeitsuchende Juristen. fn diesem Zusammenleben mag ein Vergleich mit einigen Schlüsselzahlen aus der letzten Volkszählung die Größenordnung der Problematik veranschaulichen: 1991 gab es etwa 24.500 erwerbstätige Juristen. Zur Zeit dürften es etwa 27.000 sein. Geht man vereinfachend und unter Anrechnung von Beschäftigungspausen davon aus, daß ein Akademiker etwa 35 Jahre lang seinen Beruf ausübt, so bedeutet dies, daß jährlich etwa 700 bis 800 Arbeitsplätze frei werden, die zuvor von einem Juristen besetzt waren (Ersatzbedarf). Der tatsächliche Jahresbedarf ist demgegenüber im allgemeinen größer, weil in der Regel aus einer Reihe von Gründen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen (Erweiterungsbedarf).

26.000 Jus-Studenten

Wie sieht demgegenüber die aktuelle Ausbildungssituation in den Rechtswissenschaften aus? Wir haben zur Zeit größenordnungsmäßig 26.000 Studierende, und von denen erreichen jährlich etwa 1.400 ihr Diplom, während - ebenfalls jährlich - etwa 3.600 ihr Jus-Studium beginnen. Wie auch bei anderen Studienrichtungen ist das Unverhältnis zwischen Studienanfängern, Studierendenzahl und Absolventen weitgehend durch Drop-Out-Raten und Studienzeitüber-schreitungen ejfclärbar. Im Hinblick auf die Beschäftigungsaussichten ist hier nur die AhsdrVentenzahl von Belang, die mehr als 100 Prozent über dem oben geschätzten Ersatzbedarf liegt. Somit sollte sich zumindest etwa jeder zweite Absolvent eines rechtswissenschaftlichen Studiums darauf einstellen, daß das angestrebte berufliche Aufgabengebiet im Erweiterungsbedarf angesiedelt ist.

Konkret bedeutet dies die Übernahme einer Tätigkeit, die zuvor von einem Nicht-Juristen wahrgenommen wurde oder erst im Entstehen begriffen ist.

Tatsächlich verdeutlichen die aktuellen Arbeitsmarktdaten, daß der Erweiterungsbedarf jedoch weitaus geringer zu sein scheint, als man es den Absolventen rechtswissenschaftlicher Studien wünschen möchte. Vielmehr scheint es fast so zu sein, als ob die nunmehr beschränkten Beschäftigungsmöglichkeiten der öffentlichen Verwaltung den „Hoffnungsträger Erweiterungsbedarf” auf Null reduziert haben, denn die derzeit 650 arbeitsuchenden Rechtswissenschafter scheinen exakt der Differenz zwischen Absolventenzahl und Ersatzbedarf zu entsprechen.

In einer derartigen Situation wird hektisch nach alternativen potentiellen Dienstgebern gesucht, und auch aus dem AMS kommt der Aufruf, die Privatwirtschaft solle den durch die öffentlichen Dienste verursachten aktuellen Engpaß in der Akademikerbeschäftigung durch vermehrte Schaffung von Akademikerarbeitsplätzen kompensieren. Realistischerweise sollte man sich jedoch nicht allzu große Hoffnungen machen, daß dieser Aufruf tatsächlich umgesetzt werden kann.

Erstens ist nämlich festzustellen, daß die Privatwirtschaft hinsichtlich ihrer Reschäftigungsfunktion zunächst von der konjunkturellen Entwicklung und darüber hinaus auch in zumindest ebensolchem Umfang von der öffentlichen Sparpolitik betroffen ist, wie der öffentliche Dienst selbst.

Zweitens sollte man sich vergegenwärtigen, daß mehr als die Hälfte der bestehenden Arbeitsplätze für Akademiker öffentliche oder halböffentliche Bereiche betreffen, während die Privatwirtschaft nur etwa vier von zehn Akademikerstellen bietet. Allein aus dieser Konstellation folgt, daß eine Kompensation der Entwicklung bei mittelfristig arbeitsuchenden Hochschulabsolventen nur um den Preis eines überdimensionierten Erweiterungsbedarfs in der Privatwirtschaft vorstellbar ist. Das Ergebnis wären inadäquate berufliche Einsatzgebiete, verschlechterte Einkommens- und Karriereaussichten und mit großer Wahrscheinlichkeit negative Folgewirkungen bei anderen Re-sch äftigtengr uppen.

Drittens verdeutlicht das Beispiel der Juristen ein weiteres Strukturproblem: Die Tatsache, daß mehr als 43 Prozent aller berufstätigen. Juristen in der öffentlichen Verwaltürig tätig sind und dort 7)7 Prozent aRer Akademiker stellen, bedeutet vereinfacht, daß sie aufgrund ihrer Ausbildung für diese Wirtschaftsklasse als bestqualifiziert gelten. Demgegenüber finden sich in den Produktionsbranchen nur sechs Prozent aller Juristen, und dort stellen sie mit lediglich 5,5 Prozent eine Minderheit. 52 Prozent aller

Akademiker in der Produktion kommen aus technischen oder naturwissenschaftlichen und 22 Prozent aus wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen. Berufliche Qualifikationen wie sie im Zug der wissenschaftlichen Berufsvorbildung an Universitäten erworben werden, bestimmen weitgehend die beruflichen Einmündungsbereiche der Hochschulabsolventen und sind daher nicht beliebig austauschbar.

Berufliche Einsatzgebiete für Juristen oder Absolventen anderer Studienrichtungen entstehen in der Privatwirtschaft nicht aufgrund von Appellen, sondern nach Maßgabe einer inhaltlichen Gestaltung von Studieij-angeboten-, die auf die Wahrnehmung entsprechender Tätigkeiten vorbereiten. Änderungen der beruflichen Einsatzgebiete setzen somit Änderungen im Studienangebot voraus. Der Autor ist stellvertretender Geschäftsführer des Wiener Institutes für Bildungsforschung der Wirtschaft. Der Beitrag ist m den „Mitteilungen” Nr. 4/1997des Instituts erschienen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung