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Erdrutsch im Dorf

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Bei den österreichischen Wahlen der letzten Jahre konnte man in. zahlreichen Dörfern eine deutliche Linksschwenkung feststellen, die für viele unerwartet kam.

Für die Feststellung dieser Tatsache scheint der Hinweis wichtig zu sein, daß sich die Bewohner des Dorfes in der Regel nicht so sehr durch das Bekenntnis zu Grundsätzen der politischen Parteien von einander unterscheiden als nach der Zugehörigkeit zu Gruppen, die sich immer um eine führende Persönlichkeit scharen, sich stets in einem bestimmten Gasthaus einfinden und aus den verschiedensten Gründen miteinander im Gegensatz stehen. Verwandtschaftsbande, Freund- und Feindschaften sowie uralte Gewohnheiten spielen dabei eine Rolle, gelegentlich auch Enttäuschungen über (oft nur versehentlich) erlittenes Unrecht. Die Zahl der Gruppen ist meist ebenso groß wie jene der Gasthäuser im Dorf.

Das Verhältnis der Gruppen zu einander ist verschieden. In der letzten Zeit ist besonders das Verhältnis zwischen „G r o ß-“ und „Kleinbauern“ schärfer geworden. Daran ist zumeist nicht der Umfang des Besitzes, sondern der Stand der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt: bei dem einen geht es durch neuzeitliche Arbeitsweisen, durch Verwendung von bestem Saatgut und Handelsdünger, durch leistungsfähiges Vieh und moderne Maschinen aufwärts, bei dem anderen durch Geldmangel, Schwerfälligkeit, vor allem aber durch Nicht-ausschöpfen der Förderungsmöglichkeiten abwärts.

Die Folge ist, daß sich die Kleinen immer wieder „oben“ nicht nachdrücklich genug vertreten und unterstützt, ja schließlich zur Sozialistischen Partei hingezogen fühlen, obwohl sie von dieser kaum eine praktische fühlbare Förde-, rung erhaltenund, bei der Eigenart dieser keine agrarischen Interessen vertretenden Partei, auch kaum erhalten können.

Es gibt aber auch noch andere Ursachen wirtschaftlicher Natur, die sich hier politisch auswirken. So hat es die fortschreitende Mechanisierung der größeren Betriebe mit sich gebracht, daß der Kleinbauer und Landarbeiter, der ehedem regelmäßig auch im Winter vielfach Arbeit und Verdienst bei den Großbauern fand, heute fast nur noch zur Brechung der Arbeitsspitzen herangezogen wird, so z. B. zum Vereinzelnen der Rüben, zum Getreideschnitt und zur Heuernte, so daß er durch Monate ohne Einkommen (außer dem bescheidenen Ertrag seiner vielfach rückständig und damit wenig erträglich gebliebenen Wirtschaft) ist. Seine verständliche Forderung nach Einführung der Arbeitslosenversicherung wird nun leider von links energischer als von rechts unterstützt.

Auch das Pächterschutzgesetz ist — um noch ein anderes Beispiel zu nennen — oft der Anlaß zu einer bestimmten politischen Einstellung. Der Kleinbauer, der an seiner Aufrechterhaltung interessiert ist, fühlt sich bei den Verteidigern — der SPOe! — des nun schon fast 40 Jahre alten Gesetzes aus dem ersten Weltkrieg gesichert, während der „Große“, in Erkenntnis der vielen Nachteile des Gesetzes, das — ähnlich wie der Mieterschutz — auch eine den „Kleinen“ schädigende Erstarrung der Verhältnisse mit sich gebracht hat, eine Lockerung und Anpassung an die fallweise gegebenen Verhältnisse anstrebt, die von der OeVP unterstützt wird.

Viele Kleinbauern, die über keine eigenen Zugkräfte verfügen, sind auf die Hilfe größerer Bauern fürs Anbauen und Ernten angewiesen. Gibt es dabei Schwierigkeiten — was beispielsweise bei der gleichzeitig einsetzenden Reife nur zu leicht geschehen kann — oder fühlen sich die Kleinbauern bei der Inanspruchnahme genossenschaftlicher Einrichtungen benachteiligt, so wird das fälschlich immer wieder den Großen — „der OeVP“! — angelastet, obwohl die Schuld fast immer.auf beiden Seiten ist.

Das Verhältnis zwischen Groß und Klein wird nicht selten auch durch die Gewerkschaften ungünstig beeinflußt, welche die in der Sache begründeten gegensätzlichen Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft noch verschärfen, statt sie auszugleichen. Auch in dieser Hinsicht wird — bei der in politischen Dingen so oft zu beobachtenden Oberflächlichkeit — die OeVP mehr belastet, als den Tatsachen entspricht.

Schließlich wird für die große Spanne zwischen jenen Preisen, die der Erzeuger erhält, und jenen, die der letzte Verbraucher bezahlen muß, fast ausschließlich die OeVP verantwortlich gemacht, weil sich der Händler häufig zu dieser Partei bekennt.

Hingegen liegt ohne Zweifel manche wirkliche Schuld bei den „Großen“ in allen Fragen der „Zugereisten“, besonders der Flüchtlinge, denen die Ansiedlung und der Aufstieg zum Klein- und Mittelbauer in unvernünftiger Weise erschwert wird. Auch das Interesse der Großbauern an der Weiterbildung ihrer Hilfskräfte müßte geweckt werden: nach einer Zählung haben unter 100 Fremdarbeitskräften nur 1,5 eine Fachschulbildung genossen. Gerade der Arbeitgeber hätte aber das größte Interesse an der Güte ihrer Leistungen, und die wünschenswerte Steigerung der Löhne hängt in erster Linie doch immer nur von der Steigerung und Besserung ihres Schaffens ab. Jeder Fehler in dieser Richtung zieht natürlich die Unzufriedenen von der althergebrachten, konservativen politischen Einstellung ab; sie erhoffen sich von der SPOe, die sich so intensiv für die Industriearbeiterschaft einsetzt, auch eine wirksame Unterstützung der Landarbeiter.

Bei all dem spielen natürlich auch die Nachwirkungen des Krieges sowie die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, Rationalisierung und Technisierung eine eminente Rolle. Sie drückt sich schon rein äußerlich im Bruch mit der Tradition und den guten alten Sitten, innerlich mit gesteigerter Ichsucht und verringertem Einfühlen in die Lage der anderen aus. Auch dies kommt in der politischen Einstellung zum Ausdruck, indem man sich bewußt in Gegensatz zu dem Althergebrachten stellt.

Mit dem religiösen Bekenntnis muß dies nicht notwendig gleichgeschaltet sein: man kann oft genug OeVP-Anhänger am Sonntag vor der Kirche herumstehen, anderseits überzeugte SPOc-Männer in ihren Versammlungen beim „Zwölfe-Läuten“ den Hut abnehmen sehen! Doch spielt gerade hier die persönliche Einstellung zum Pfarrer und zum Lehrer eine sehr große Rolle. Hier muß besonders das Aussterben des alten Dorflehrers auf das Tiefste bedauert werden. Er hat ein Leben lang die Schüler und bald auch — von den meisten freilich unbemerkt — als Gemeindesekretär, Organist, Schriftführer der Vereine, Kassier der Raiffeisenkasse, Baumpfleger und Bienenzüchter sowie schließlich als Helfer in der Not die Gemeinde angeführt.

Die deutliche Linksschwenkung der Dorfbewohner verdient die Sorge aller, denen das Schicksal^ dieser Menschen am Herzen liegt. Sie zeigt nur zu deutlich, daß da vieles nicht in Ordnung ist, daß viele sich aus ihrer Bahn gedrängt fühlen oder auch gedrängt wurden, und daß es hohe Zeit ist, die Kluft zwischen den Großen und Kleinen zu verringern — vor allem dadurch, daß man es dem Kleinen möglich macht, seine Wirtschaft nach dem Beispiel des Großen auszugestalten. Dies wird, worauf bereits eingangs hingewiesen wurde, bei dem Geldmangel und den beschränkten Betriebsmitteln des Kleinen nicht immer ganz leicht möglich sein. Daß e aber möglich ist, wenn alle einträchtig, das gemeinsame Interesse im Auge, zusammenwirken, zeigen die erfreulichen Erfolge überall dort, wo man dem Kleinen den Aufstieg ermöglichte und dieser mit Zähigkeit und Geschick bemüht war, die Gelegenheit zu nützen.

Naheliegend ist nun die Frage: Ist der Linksrutsch des Dorfes vom 2 2. Februar 1 95 3 ein Anfang gewesen oder nur ein vorübergehendes Abschwenken von de» alten Linie?

Die Antwort ist nicht leicht. Vieles hängt davon ab, wie sich in den kommenden Jahren die Parteien und Körperschaften zo diesen Fragen stellen werden; ob es im beson« deren der OeVP gelingen wird, den Kleinen zu bewegen, seine Wirtschaft auszubauen und das Versäumte nachzuholen; und ob die SPOe ihm gibt, was sie ihm in Aussicht gestellt hat. Sie hat die weit schwierigere Aufgabe. Ihr fehlt die Organisation und der eingespielte Apparat der OeVP, und es dürfte ihr — die keinen einzigen Bauern in den Nationalrat entsandte — bei der wenig agrar freund liehen Einstellung der meisten alten Parteigenossen schwerfallen, diese zu einer bauernfreundlichen, im Bedarfsfall auch opferbereiten Einstellung zu veranlassen.

Und der gesamrösterreichische, überparteiliche Standpunkt?

Von ihm aus gesehen, muß das Verquicken politischer und wirtschaftlicher Dinge unbedingt abgelehnt und das Ziel einer möglichst allgemeinen Leistungs- und damit Einkommenssteigerung vorangestellt werden. Es muß jedermann in die Lage versetzt werden, seinem ihm von Gott anvertrauten Stück Land das Beste abzuringen, damit er selbst „wohl bestehen“, seinen Helfer gut entlohnen, den „Nichtselbstversor-ger“ weitgehend ernähren und von ihm seine Erzeugnisse kaufen kann.

Wie weit wir von diesem Ziel entfernt sind, zeigt eine Untersuchung der „Forschungsstelle zur Aufstellung volkswirtschaftlicher Bilanzen“ für die Jahre 1950 und 1951: nach ihr erreichte das Durchschnittseinkommen eines in der Landwirtschaft selbständig Tätigen nur 36,8 Prozent des Einkommens eines Selbständigen in den anderen Wirtschaftsgruppen und der Lohn eines Landarbeiters nur 80 Prozent des Arbeiters in den anderen Berufen.

Das Sprichwort sagt: Hat der Bauer Geld — hat es die ganze Welt! Niemals kann dies iiur von der einen oder der anderen Gruppe gelten, am wenigsten aber von Gruppen, die sich gegenseitig bekämpfen und schwächen.

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