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Erziehung ist immer auch Glücksache

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Einige Streiflichter auf die „44. Internationale Pädagogische Werktagung” in Salzburg: 900 Pädagoginnen und Pädagogen haben an den Vorträgen, Werkreisen und Diskussionen zum Thema „Erfolg und Scheitern” teilgenommen.

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Einige Streiflichter auf die „44. Internationale Pädagogische Werktagung” in Salzburg: 900 Pädagoginnen und Pädagogen haben an den Vorträgen, Werkreisen und Diskussionen zum Thema „Erfolg und Scheitern” teilgenommen.

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Die Institution „Schule” ist in dieser Ferien-Woche gar nicht gut weggekommen: Da sprach etwa bei einem Expertengespräch Wolfgang Liegle, Pädagoge an der Fachhochschule Reutlingen, von der Schule als einem Ort „organisierter Lernstörung” und von den „Slum-Merkmalen im Elendsbezirk Schule”.

Marianne Groenemeyer, Pädagogin an der Fachhochschule Wiesbaden, wiederum sprach gar vom „Sündenfall Schule”, durch den die Welt zur „Bildungswüste” erklärt und der Schule ein „Bildungsmonopol” zugesprochen worden sei. Aus dem „Überfluß kam man dadurch aber in die Kargheit”. Letztlich werde die Welt eben deshalb, weil sie als Bildungsstätte negiert würde, mit so wenig Be-spekt behandelt und hinsichtlich ihrer Ressourcen ausgebeutet.

Ebenso einig waren sich die Referentinnen und Referenten darin, daß es „den Königsweg” in der Erziehung nie geben werde: Dies sei bedingt dadurch, daß die Wechselwirkungen zwischen Umwelteinflüssen und dem Eigenwillen des Kindes niemals allgemeingültig zu erfassen seien, wie etwa Peter Paulig, Professor an der katholischen Universität Eichstätt, betonte. „Erziehung ist daher immer auch Glückssache.”

So wichtig es sei, Verständnis gegenüber dem anderen, von der Erwachsenenwelt so verschiedenen Lebensalter zu zeigen, so seien diesem Verstehen immer auch Grenzen gesetzt, die niemand überwinden könne: „Verständnisvolle Erzieher werden diese Grenzen akzeptieren und Erziehung als einen äußerst komplexen Prozeß auffassen, bei dem es darauf ankommt, das Kind mit wissender Zurückhaltung als ,Entwicklungshelfer' einfühlsarri zu begleiten.”

Eine „Lanze” für das „Eigene” im Kind brach auch Anton Bucher. Professor für Katechetik und Religionspädagogik in Salzburg: „Der eigene Sinn des Kindes kann positiv und das Kind als subjektiver Gestalter seiner selbst bewertet werden.

Meist aber wurde Eigensinn als etwas Negatives, Gefährliches betrachtet”, erklärte Bucher bei seinem EröffnungsVortrag „Den Eigensinn brechen? Den Eigen-Sinn fördern?”.

Bereits Augustinus habe vom „bösen Eigenwillen” gesprochen, der in einem von zwei Zwilingsbrüdern steckte, der den anderen von der Brust der Amme'verdrängen wollte. ..Als vornehmste Aufgabe der Erziehung galt lange, diesen Eigensinn zu brechen.”

..Ich will gar nicht unterstellen, daß dies nicht aus echter Sorge um das Y\ ohl des Kindes geschah. Aber das Kind wurde als fremd und böse empfunden.” Noch heute sei, so Bucher, die Bereitschaft sehr groß, Jugendliche schnell mit dem Stempel der Kriminalität, des Gefährlichen zu versehen.

Bucher stellte die provokante Frage, ob denn die neue Pädagogik wirklich darauf verzichte, den Eigen-Willen der Kinder brechen zu wollen. „Kinder empfinden ihr Denken leiblich.” Aber sie würden noch immer mit sechs Jahren eingeschult.

Damit aber beginne die Stillegung des Körpers: „Das stundenlange Stillsitzen-Müssen ist eine subtile Form des Brechens des Eigen-Sinnes.” Auf „Gewalt” verzichte nur eine Erziehung, die eine „Handbie-tung leistet”, ein Angebot darstellt und das Kind sein autonomes Selbst geltend machen kann, ohne daß von ihm erwartet wird, in ein vorgefertigtes Ideal hineinzuwachsen. „Denn die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis.”

Erstmals gab es bei der Pädagogischen Werktagung ein „Dialog-Gespräch”. Als Versuchsballon gestartet, war das Gespräch zwischen Marianne Groenemeyer (Professorin an der Pädagogischen Fachhochschule Wiesbaden) und Günter Funke (Theologe und Existenzanalytiker in Berlin) ein herausragendes Ereignis.

„Erfolg - das heißt mit anderen Worten: Autorität, Macht - bemißt sich am quantitativen Schaden, den man anderen zufügt.” Mit diesen Worten eröffnete Marianne Groenemeyer das Gespräch. „Bemißt sich Erfolg nach dem Nutzen oder nach dem Schaden für die Gesellschaft?”

Auch Günter Funke sprach von den Schattenseiten des Erfolges: in seiner Praxis habe er mit Menschen zu tun, „die sich einer Krankheit bezichtigen”. „Krankheit ist der anerkannteste Weg des Scheiterns. Wer in unserer Gesellschaft scheitert und nicht krank ist, ist verdächtig.

Viele Menschen wollen scheitern, finden aber keinen anderen Ausweg als zu erkranken.” Ihr Scheitern sei eine folgerichtige Antwort auf Normgebungen, die nicht lebensgemäß sind: „Der Erfolg korrumpiert sich, wenn er als Ziel vordefiniert ist”, Selbstzweck wird. „In Form von Mißerfolg wehrt sich das Leben.”

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