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Es fehlt der Mut zu Visionen

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Ob Österreich ein zukunftsträchtiger Industriestandort werden kann, hängt auch von der Zustimmung der Bevölkerung ab.

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Ob Österreich ein zukunftsträchtiger Industriestandort werden kann, hängt auch von der Zustimmung der Bevölkerung ab.

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Könnte Österreich langfristig auch ohne Industrie wirtschaftlich überleben?" Auf diese Umfrage des Gallun-Institutes im Vorjahr gaben die befragten Österreicher verblüffende Antworten. Nur 42 Prozent verneinten die Frage und hielten Österreichs Wirtschaft für „gar nicht" überlebensfähig. Immerhin 44 Prozent meinten aber, wir würden zwar „weniger gut", aber doch über die Runden kommen können, wenn die Industrie ausfällt. Fast ein Drittel meinte außerdem, die Landwirtschaft sei der wichtigste Wirtschaftszweig in Österreich.

Tatsächlich trägt die Industrie aber knapp ein Drittel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, also zum Gesamtwert der Waren- und Dienstleistungsproduktion. Die Freizeitwirtschaft - der im Urlaubsland Österreich besonders wichtige Dienstleistungszweig - bringt nicht einmal halb so viel wie die Industrie, und die Landwirtschaft überhaupt nur ganze fünf Prozent (Stand 1992).

Die Österreicher verkennen aber nicht nur den Beitrag der Industrie zum Wohlstand des Landes. Sie machen sie auch noch zum „Sündenbock" der Nation. Als die Fernsehreporter in der kürzlich ausgestrahlten sechsteiligen Fernsehserie „Industrie am Wendepunkt" wissen wollten, was die Leute auf der Straße mit dem Stichwort „Industrie" in Verbindung bringen, hagelte es Aussagen der Preislage „Ausbeutung", „Umweltverschmutzung", „Bedrohung der Lebensräume", „rauchende Schlote", „Belastung der Steuerzahler" und so weiter …

Dabei ist für die Industrie wahrscheinlich die eigene Unpopularität ganz und gar nicht das Problem Nummer eins. Denn die Überlebensbedingungen haben sich für sie in den letzten Jahren massiv verändert, die Probleme zugespitzt.

Schwere Krisen beherrschen die Schlagzeilen, Entlassungen stehen an, Sozialleistungen werden gekürzt, eine Pleite jagt die andere - und Manager, die noch vor kurzem hochgejubelt wurden, gelten plötzlich als jämmerliche Versager.

Die Unternehmer und Vorstandsmitglieder der Industrie selbst plädieren angesichts dieser Situation für „nicht schuldig": die österreichischen Sozialkosten seien zu hoch, das technologische Potential reiche nicht aus und werde überschätzt, das Bildungssystem sei auch nicht wirtschaftsgerecht und so weiter. Wenn sich das nicht bald ändere, dann werde Österreich als Industriestand-ort zunehmend uninteressant, und die Betriebe würden dorthin übersiedeln, wo die Chancen für sie viel besser wären.

VORGEFERTIGTE ARGUMENTE

Diese Auseinandersetzungen wirken allerdings doch eher wie ein Schlagabtausch mit vorgefertigten Argumenten und auf der Basis von Klischeevorstellungen:

„Die österreichische Industrie", das sind nicht nur die verstaatlichten Unternehmen, zu ihr gehört auch eine Unzahl von kleineren und mittleren Firmen zwischen 100 und 500 Beschäftigten. Viele von ihnen sind recht erfolgreich. Immerhin rangiert die heimische Industrie in der Pro-duktivitäts- und Qualitätsrangliste unter den zehn Weltbesten. Aber wer ist darauf schon so stolz wie auf die Lipizzaner oder die berühmten Mozartkugeln? Aber vielleicht wäre es auch falsch, seitens der Industrie Befriedigung zu verspüren oder zu verbreiten, schließlich wird der Wettbewerb härter.

Aber genau deshalb sind heute und morgen nicht nur die Unternehmensleitungen gefordert, sondern auch die Politiker:

Das beginnt mit der Personalpolitik. Der frühere Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Herbert Krejci, hat sich vor nicht langer Zeit in einem Interview kein Blatt vor den Mund genommen: Bei der Auswahl von Führungskräften und Managern schaue man in Österreich zu sehr auf die gesellschaftliche Herkunft als auf die Qualifikation. Das Diplom einer Schule mit Prestige oder der Name einer angesehenen Familie wiege mehr als das tatsächliche Wissen und Können. Außerdem gebe es gerade bei uns ein typisches Denken in Seilschaften „Hilfst Du mir, so helf ich Dir", das sich mitunter als Hemmschuh für Neuerungen und Kreativität erweist.

Vor allem aber scheint es der Industrie (übrigens .auch in der Europäischen Union) an klaren Zukunftsvorstellungen zu fehlen. Die wären aber wichtig, wenn es darum geht, welche Art von „Industriepolitik" der Staat in die Wege leiten soll.

Aber sie wären auch wichtig, weil die Öffentlichkeit ebenfalls wissen möchte und wissen muß, wie es mit der Industrie weitergeht, und welche Rolle sie im Ganzen der Wirtschaft und Gesellschaft eigentlich spielen soll oder kann. In einer Gesellschaft kritischer und mündiger Bürger braucht jeder Wirtschaftszweig, und erst recht einer, dem man Macht zuschreibt, „Akzeptanz", öder, um es noch deutlicher zu sagen, Vertrauen und Zustimmung.

Aber die bekommt die Industrie nur, wenn sie überzeugende und nachvollziehbare Konzepte vorlegt. Überzeugend allerdings nicht nur für „Insider".

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