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IV. Der Arbeitsrechtentwurf und die wirtschaftliche Konzentration’

Zu den wenigen Thesen von Karl Marx, die lange und weitgehend unwidersprochen blieben, gehört seine Behauptung, in der Marktwirtschaft müßten zwangsläufig die kapitalsstärkeren, größeren Betriebe die kleinen an die Wand drücken, schreite die Konzentration der Produktion, der Produktionsmittel und des Geldkapitals unaufhaltsam fort. Ganz in diesem Sinn hatten die deutschen Sozialdemokraten 1891 im „Erfurter Programm“ festgestellt: „Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Notwendigkeit zum Untergang des kleinen Betriebes."

Konzentration: Theorie und Praxis

Obwohl unser Industriezeitalter zweifellos in mancherlei Hinsicht den Großbetrieb begünstigt, hat die tatsächliche Entwicklung die Marxsche Konzentrationsthese keineswegs eindeutig verifiziert. Nach der letzten nichtlandwirtschaftlichen Betriebszählung vom 1. September 1954 beschäftigten von den 242.537 gewerblichen Betrieben Österreichs 224.591, das sind 92 Prozent, weniger als zehn Arbeitnehmer. Selbst unter den im März 1960 erfaßten 4524 Industriebetrieben zählten nur 83, das sind 1,8 Prozent, mehr als 1000 und nur 138, das sind 3,1 Prozent, mehr als 500 Arbeitnehmer. Ähnlich wie in der gewerblichen Wirtschaft überwiegen auch in der österreichischen Landwirtschaft die Klein- und Mittelbetriebe. Der sogenannte „Mittelstand“ hat sich entgegen den pessimistischen Prognosen der meisten Theoretiker in der Praxis sehr widerstandsfähig gezeigt. Lediglich in den industriellen Ballungsräumen ist ein eindeutiger Zug zum Großbetrieb erkennbar. In Wien arbeiten mehr als 50 Prozent der unselbständig Tätigen in Großbetrieben. Ähnlich liegen die Verhältnisse im Linzer oder obersteirischen Raum.

Die Ursache für die nicht leugbaren Konzentrationstendenzen, besonders im Bereich der Schwerindustrie sind teilweise produktionstechnischer, teils wirtschaftsorganisatorischer, teils aber auch sozialpolitischer Art. Der „Verein für Sozialpolitik“, die führende sozialwissenschaftliche Gesellschaft im deutschsprachigen Raum, hat im vergangenen Jahr drei umfangreiche Materialbestände zum Konzentrationsproblem veröffentlicht und ihre Jahrestagung 1960 in Bad Kissingen diesem besonders in Westdeutschland sehr heftig diskutierten Fragenkomplex gewidmet.

Der Großbetrieb vermag in der Regel dem Arbeitnehmer eine Reihe von Vorteilen zu bieten: bessere Bezahlung, günstigeres Fortkommen, bessere Aufstiegsmöglichkeiten, größere Sicherheit, modernere Organisation, großzügigere Sozialeinrichtungen u. a. m.

Daß die zahlenmäßig weit überwiegenden Klein- und Mittelbetriebe aber trotz verschiedener Schwierigkeiten nach wie vor Arbeitskräfte finden, hat seinen Grund offenbar darin, daß auch sie mancherlei Vorteile zu bieten vermögen. Eine einschlägige deutsche Untersuchung hat diesbezüglich angeführt: mehr Ruhe, weniger Lärm, ruhigeres Arbeiten, weniger Kollegen, gemütlichere Atmosphäre, größere persönliche Wertschätzung; ihre Arbeitnehmer fühlen sich nicht nur als Nummer, sie werden familiär und freundschaftlich behandelt, finden mehr gegenseitiges Verständnis, mehr Anerkennung für ihre eigenen Leistungen, haben besseren Kontakt zu den Kollegen und Vorgesetzten, kennen einander besser, schätzen die abwechslungsreiche Arbeit, die größere Übersicht und den genauen Einblick in das Betriebsgeschehen. Nicht zuletzt spielen natürlich die örtliche Lage, die leichtere Erreichbarkeit, die Tradition und ähnliche Momente eine Rolle.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß in der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt auch die arbeitsrechtliche Situation eine wichtige Rolle spielt. Je mehr und je weitgehendere Verpflichtungen der Gesetzgeber dem Arbeitgeber auferlegt und dem Arbeitnehmer zusichert, desto eindeutiger sind in der Regel die kapitalkräftigeren größeren Betriebe im Vorteil. Ihnen kommt überdies für die verschiedenen Risiken (Krankheit, Unfälle, Todesfälle usw.) die günstigere Verteilung durch die größere Streuung zu Hilfe.

Obwohl von der geplanten Kodifikation des Arbeitsrechts erst der erste Teilentwurf vorliegt, ist doch bereits deutlich zu sehen, daß die mit der Kodifikation angestrebten materiellrechtlichen Veränderungen den Kleinbetrieb ungleich mehr treffen würden als die Großunternehmungen, mit anderen Worten, die wirtschaftliche Konzentration begünstigen würden. Beispiele hierfür sind die §§ 1, 6, 22, 25, 31, 33, 76, 80, 84 und 198 des Entwurfs.

Nur der Kleinbetrieb wird nor- malerweise gelegentlich auch auf unentgeltliche Leistungen, etwa von Familienangehörigen oder Nachbarn zurückgreifen. Den Kleinbetrieb wird es in der Regel hart treffen, wenn künftig im Zweifelsfall der Richter annehmen muß, der Arbeitgeber habe eher die geringere als die schwerere Last auf sich genommen. Während im Großbetrieb notwendige Voraussetzungen im allgemeinen vom Betriebsrat überwiegend nach sachlichen Gesichtspunkten beurteilt werden dürften, können erfahrungsgemäß in kleineren Unternehmungen bei der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrates sehr viele persönliche Dinge mitspielen. Auch die geplante Sorgepflicht für Gegenstände des Arbeitnehmers muß man hier anführen. Gerade die Klein- und Mittelbetriebe dürften die Bestimmungen des § 76 als unbillig empfinden, wonach Rechtsgeschäfte, mittels deren der Arbeitnehmer Verbindlichkeiten des Arbeitgebers übernimmt, Darlehensgewährung und Beteiligung als stiller Gesellschafter als nichtig anzusehen sind. Eine besondere Härte für Klein- und Mittelbetriebe ist aber die im § 80 vorgesehene sechs- bis zehnwöchige Entgeltweiterzahlung bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall anzusehen. Wie soll ein kleiner Vorstadtfriseur etwa durch Zehn Wochen das Entgelt für seinen Gehilfen weiterzahlen und gleichzeitig eine Ersatzkraft entlohnen können? Nicht ebenso schwerwiegend, aber unter Umständen ebenfalls ins Gewicht fallend dürften die Bestimmungen sein, denen zufolge bei Arbeitsverhinderung infolge Aufsuchens von Ärzten, Behörden, Teilnahme an Sitzungen und Tagungen der Mitglieder öffentlich- rechtlicher Körperschaften und für den Haushaltstag für weibliche Dienstnehmer das volle Entgelt weiterzuzahlen ist. Auch hier gilt, daß sich die Auswirkungen beim großen Betrieb vermutlich zeitlich weiter verteilen werden als beim kleinen.

Rücksichten auf die Kleinbetriebe

Die Folgen solcher Bestimmungen sind nicht schwer abzusehen. Soundso viele kleine Betriebe müßten unter den gegebenen Aspekten auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern und damit auf eine Erweiterung bzw. Aufrechterhaltung ihres Geschäftsumfanges verzichten. Daß die großen davon profitieren, liegt auf der Hand. Zum Teil würden wahrscheinlich die gewerblichen Unternehmer den Weg der bäuerlichen Familienbetriebe gehen und ebenfalls nur Familienangehörige, diese aber bei Gott nicht nur 45 Stunden in der Woche, beschäftigen. Daß eine solche Entwicklung keinesfalls den sozialpolitischen Zielen einer gerechten Lastenverteilung entspräche, liegt klar auf der Hand. Es gilt also Wege zu finden, die vor allem den Kleinbetrieben jene Risiken abnehmen, zumindest aber erleichtern können, die der Kodifikationsentwurf ihnen auferlegen will. Dabei sollte man auch nicht zu prüfen vergessen, ob wirklich jede Last notwendig erscheint und ob sie dem Arbeitnehmer tatsächlich Vorteile bringt oder sich nicht etwa bei genauerem Hinsehen mehr als ideologischer Oktroi denn als sachliche Notwendigkeit enthüllt.

1 Vgl. die Aufsätze über die Neukodi- fizierung des Arbeitsrechtes in „Furche" Nr. 9, 11 und 161961.

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