„Es gibt den Mythos, dass Pädagoginnen eh nur spielen“

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Sie wird die erste Professorin für Frühkindpädagogik in Österreich: Cornelia Wustmann, die ab März an der Uni Graz die Professur antreten wird. Wustmann, zuletzt an der Uni Lüneburg, über den attraktiveren Kindergarten der Zukunft, die Forderungen der Pädagoginnen und den Stand der Frühkindpädagogik in Österreich.

Die Furche: Frau Professor, hat es Sie gewundert, dass kein österreichischer Experte/keine Expertin die Stelle bekommen hat?

Cornelia Wustmann: Ich habe mich sehr über die Stelle gefreut und gar nicht darüber nachgedacht. Die Stelle bietet große Gestaltungsvielfalt. Warum es kein Österreicher bzw. keine Österreicherin geworden ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war kein Mitglied der Berufungskommission. Ich habe nur mitbekommen, dass die Bewerberliste nicht allzu groß war und die Bewerbungsfrist verlängert wurde. Das hat damit zu tun, dass die Elementarpädagogik in Österreich erst jetzt in Schwung kommt. Sie war bislang nicht an Hochschulen verankert. Die Nachwuchsförderung läuft erst an. Das wird ein Teil sein, den ich stark favorisieren möchte.

Die Furche: Ist Deutschland schon weiter?

Wustmann: Beide Länder sind relativ spät gestartet. Dann gab es aber in Deutschland eine rasante Entwicklung. In Deutschland gibt es mittlerweile über 60 Bachelor- und zwei Master-Studiengänge, das ist alles in den letzten vier bis fünf Jahren entstanden.

Die Furche: Wie steht es um die Forschung auf diesem Gebiet in Österreich?

Wustmann: Es gibt noch keine systematische Forschung. Aber es ist einiges im Kommen. Man muss in dem Bereich die Forschung weiter fassen, etwa die Armutsforschung einbeziehen.

Die Furche: Wie steht die Frühkindpädagogik in Österreich da?

Wustmann: Zunächst muss man positiv anmerken, dass jetzt ein Bildungsplan vorliegt, nach dem Kinder gebildet werden sollen. Das war ein Vorwurf der OECD an Österreich. Die OECD ist noch zum Schluss gekommen, dass es in Österreich zu große Kindergartengruppen gibt, eine zu niedrige Betreuungsquote und, ähnlich wie in Deutschland, zu schlechte Arbeitsbedingungen und einen schlechten Verdienst für Kindergartenpädagoginnen.

Die Furche: Einiges hat sich getan wie die Einführung des verpflichtenden letzten Kindergartenjahres. Sinnvoll oder halbherzig?

Wustmann: Schwierig zu beantworten. Untersuchungen zeigen, dass der Kindergarten- und Krippenbesuch den Kindern hervorragende Chancen bietet, wenn die Einrichtungen qualitativ gut arbeiten, wenn also Pädagoginnen eine gute Beziehung zu den Kindern aufbauen können. Das gilt besonders für Kinder mit Migrationshintergrund. Andererseits habe ich Probleme damit, dies verpflichtend zu machen. Es ist eine Maßnahme von oben nach unten. Ein freiwilliges Angebot wäre besser. Es gibt aber in Österreich wie auch in Deutschland eine andere Tradition als etwa in Frankreich, Belgien oder Luxemburg, wo die außerhäusliche Betreuung vollkommen akzeptiert ist. In Österreich und in Deutschland hieß es lange, wer sein Kind weggibt, ist eine Rabenmutter.

Die Furche: Diese Vorwürfe halten sich hartnäckig.

Wustmann: Es wäre schön, wenn man sagen würde: Das Angebot der Kindergärten ist so toll, sodass Eltern leichter mit den alten Denktraditionen brechen könnten, weil sie sicher sind, dass es ihren Kindern dort gut geht, sie soziale Beziehungen aufbauen, andere Kompetenzen erlernen, die Eltern zuhause nicht so fördern könnten.

Die Furche: Was müsste sich in den Kindergärten verändern, damit Eltern so denken?

Wustmann: Was sich dringend verändern müsste, ist der Betreuungsschlüssel. Eine Pädagogin hat hierzulande im Durchschnitt 15 bis 18 Kinder, das ist sehr viel. Die Möglichkeit, sich den Mädchen und Jungen zuzuwenden, ist geringer, zudem ist es schwieriger, eine wertschätzende, empathische und bildungsförderliche Beziehung zu den Kindern und deren Familien aufzubauen.

Die Furche: Was wäre ein guter Schlüssel?

Wustmann: Europaweit wird der Schlüssel „eine Pädagogin zu acht bis zwölf Kindern“ im Kindergarten diskutiert, in den Krippen noch weniger Kinder pro Pädagogin.

Die Furche: Was müsste sich noch ändern, um den Besuch so attraktiv zu machen, dass sich eine Verpflichtung erübrigen würde?

Wustmann: Ein wichtiger Faktor ist die Übergangsphase. Für Kinder ist der Übergang von der häuslichen in die außerhäusliche Betreuung eine große Herausforderung. Das wird auch stark ideologisiert, gerade bei sehr kleinen Kindern. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass gerade die Übergangsphase sehr wichtig ist. In Berlin wird das „Berliner Modell“ praktiziert, das heißt, dem Kind wird die Zeit gegeben, die es braucht, um zu einer weiteren Bezugsperson eine sichere Bindung aufbauen zu können. Die Zeit muss man einhalten, damit sich Kinder wohlfühlen, und dann geht es auch Müttern und Vätern gut.

Die Furche: Das ist abermals eine Ressourcenfrage …

Wustmann: Ja, aber auch eine Frage, ob Pädagoginnen darauf eingehen können. In Sachsen etwa hat sich die Übergangsgestaltung bei den Pädagoginnen schon verinnerlicht.

Die Furche: Sind Pädagoginnen in Österreich gut genug ausgebildet?

Wustmann: Ja! Es wäre wünschenswert, wenn der Großteil der Kindergartenpädagoginnen auf Hochschulen ausgebildet würde, das heißt aber nicht, dass die Ausbildung an der Fachschule schlechter ist. Doch eine Hochschulausbildung bedeutet auch einen anderen Sozialstatus. In beiden Ländern ist es immer noch ein „mütterlicher“ Beruf.

Die Furche: Sollen Kindergartenpädagoginnen also grundsätzlich an den Unis ausgebildet werden?

Wustmann: Auch. Ich würde nicht sagen, man schafft das eine völlig ab. In Deutschland verläuft die Diskussion so, als müsste man alles, was es bereits gibt, durch Neues ersetzen. Das halte ich nicht für günstig. Man sollte eher schauen, wie man beispielsweise die Bakip und die Hochschulen miteinander vernetzen kann, sodass jemand, der gerne weiterstudiert, auch Teile angerechnet bekommt. Der Beruf war bisher ein Sackgassenberuf.

Die Furche: Wie könnte man das niedrige Prestige heben, das „Tanten“-Image ein für allemal ablegen?

Wustmann: Ich sehe eine Chance darin, dass Kindergartenpädagoginnen das transparent machen, was sie alles tun. Bildungsprozesse der Kinder sollten dokumentiert und den Eltern eröffnet werden. Eine andere Herausforderung ist jene, wie gehe ich mit unterschiedlichen Lebenslagen um, etwa mit Kindern, die wohlbehütet aufwachsen und mit jenen, deren Eltern in Armut leben.

Die Furche: Welchen Belastungen sind Pädagoginnen noch ausgesetzt?

Wustmann: Es gibt eine Mythenbildung um den Beruf der Kindergartenpädagogin. Jeder meint, er wisse, was diese tun. Man meint, sie spielen eben mit den Kindern. Was aber tatsächlich dahintersteckt an Vorbereitung, Begleitung, zusätzlicher Arbeit, etwa Elternarbeit, wird zu wenig wahrgenommen. Das „Tanten“-Image ist noch immer vorhanden. Es gibt den Mythos, dass es denen eigentlich eh gut gehen müsste. Sie können den ganzen Tag mit Kindern spielen. Es gibt in Deutschland Untersuchungen zum Gesundheitszustand der Erzieherinnen. Viele Pädagoginnen haben Probleme mit dem Hören und im Bereich der Rückenmuskulatur. Wenn man sich genau anschaut, was von ihnen gefordert wird, ist das wirklich viel. Wenn sie das alles hinkriegen, sind sie vom Mythos der nur spielenden Frau weit weg.

Die Furche: In Deutschland und Österreich sind Pädagoginnen auf die Straßen gegangen, um für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung zu kämpfen. Können Sie das also nachvollziehen?

Wustmann: Sehr gut sogar. Die Forderungen nach einer besseren Gesundheitsförderung, mehr Anerkennung, auch einer anderen tariflichen Entlohnung sind nur berechtigt.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

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