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Es muß nicht immer Alleinregierung sein!

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Trotz parteilicher Absprachen, Fairneß im Wahlkampf zu bewahren, wird es der nächste Wahlkampf „in sich“ haben. Und zwar deshalb, weil er, wie fast jeder Wahlkampf in Österreich, ein Kampf auf Leben und Tod sein wird. Jede Partei wird an den Wähler appellieren, daß er sie unter allen Umständen dieses Mal wählen müsse, weil die Freiheit des Landes auf dem Spiel stehe. Nicht das bessere Team, nicht die besseren Argumente oder Programme werden den Ausschlag geben, sondern das geschickteste Aufspüren unterschwelliger Gefühle.

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Trotz parteilicher Absprachen, Fairneß im Wahlkampf zu bewahren, wird es der nächste Wahlkampf „in sich“ haben. Und zwar deshalb, weil er, wie fast jeder Wahlkampf in Österreich, ein Kampf auf Leben und Tod sein wird. Jede Partei wird an den Wähler appellieren, daß er sie unter allen Umständen dieses Mal wählen müsse, weil die Freiheit des Landes auf dem Spiel stehe. Nicht das bessere Team, nicht die besseren Argumente oder Programme werden den Ausschlag geben, sondern das geschickteste Aufspüren unterschwelliger Gefühle.

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„Wenn Ihr nicht ÖVP wählt, dann droht der Kommunismus. Denkt daran, daß jenseits unserer Grenze der Stacheldraht beginnt. Der Kreisky ist nicht so schlecht, aber er wird doch in wichtigen Fragen von denen überstimmt, deren Mentalität noch immer in den zwanziger oder dreißiger Jahren wurzelt.“ So wird es auf der einen Seite heißen. Auf der anderen aber wird man hören können: „Die ÖVP ist noch immer die Unternehmerpartei. In den vier Jahren ihrer Alleinregierung hat sie für die Arbeitnehmer denkbar wenig getan. Statt zu planen hat sie das Fortwursteln zum Prinzip erhoben. Dadurch, daß sie es allen recht tun wollte, machte sie nichts ganz. Ihre Personalpolitik stand völlig im Zeichen der Bünde und des alles beherrschenden CV.

mehr möglich gewesen. Hätte aber die FDP um 1,1 Prozent weniger Stimmen erreicht, dann wäre die CDU/CSU mit der absoluten Mehrheit aus dem Wahlkampf hervorgegangen. Nun aber ist die Lage so, daß die CDU/CSU, die nur 3,8 Prozent benötigte, um die absolute Mehrheit der Stimmen und etwa 2 Prozent, um die absolute Mehrheit der Mandate zu gewinnen, keine Möglichkeit besitzt, in der Innen-

Politik, vor allem aber in der für die Bundesrepublik so entscheidenden Außenpolitik Weichen zu stellen. Diese Möglichkeit besitzt dagegen die FDP, die fast 40 Prozent ihrer Stimmen und Mandate verlor.

Grundsätzlich erhebt sich jedoch noch eine andere Frage. Die Probleme der Wirtschaft und Gesellschaft, der Sozial- und Bildungspolitik sind so differenziert geworden, daß sie wissenschaftliche Planungen auf längere Zeiträume als auf eine Legislaturperiode erfordern. Obwohl die letzten Entscheidungen den Politikern nicht abgenommen werden können, greifen doch die nichtpolitischen oder besser nichtparteipolitischen Kräfte stärker als je zuvor in das Leben des Staates und seiner Bürger ein. Der Spielraum, den die Parteipolitik besitzt, wird immer enger. In Österreich beispielsweise kann keine der beiden Großparteien außenpolitisch andere Akzente setzen, will sie nicht die Freiheit und Unabhängigkeit des Staates gefährden. Innenpolitisch aber sind beide Großparteien auf das gute Einvernehmen der Sozialpartner angewiesen. Alle großen

Bauprogramme, wie beispielsweise Autobahnen, Flugplätze, Kraftwerke oder Pipelines, müssen auf lange Sicht geplant werden.

Was bedeutet dies aber? Es bedeutet, daß der Spielraum für demokratische Parteien auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet eng gezogen ist, daß jede Partei versuchen muß, zu einer Volkspartei zu werden und immer mehr ideologische Fesseln abzustreifen. Sicherlich sind oft noch Töne zu hören, die an die Klassenkampfzeit oder an kapitalistisches Unternehmerdenken erinnern, doch werden sie von Jahr zu Jahr leiser werden.

Spielregeln fast nur dort verletzt, wo eine Partei die absolute Mehrheit besitzt.

Das vorgeschlagene System hätte mehrere Vorteile. Vor allem gäbe es keine Angstwahlen mehr. Keine Partei müßte sich sorgen, aus der Regierung ausscheiden zu müssen, was zur Folge hätte, daß der Wahlkampf demokratischer und sachlicher geführt werden könnte. Das Parlament würde im Wert steigen, da Gesetze, über die sich die Regierung nicht einigen kann, im Abgeordnetenhaus auf Grund echter Mehrheitsverhältnisse beschlossen werden. Dadurch, daß alle Parteien, die genügend Mandate besitzen, an der Regierungsverantwortung teilnehmen, könnten langfristige Aufgaben, deren Durchführung sich auf zehn Jahre oder auf einen noch längeren Zeitraum erstreckt, beschlossen werden, ohne daß ein Regierungswechsel verzögernd wirkt oder gar zur Aufgabe zwingt.

Sicherlich, auch diese Regierungsform, die den mandatsmäßigen Proporz zum Schlüssel des Regierungsanteiles macht, hat ihre Schattenseiten. Dem Wähler stehen weniger Alternativlösungen zur Auswahl. Allerdings sind diese Alternativlösungen mehr für die Taktik des Wahlkampfes bestimmt. In der praktischen Durchführung rücken nämlich die Programme sehr eng aneinander. Ohne Zweifel bietet das Spiel von Regierung und Opposition den Parteien auch mehr Chancen, ihren politischen Stil durchzusetzen, doch wäre dazu zu sagen, daß der Stil der einen Partei von der nahezu gleich starken anderen Partei erbittert abgelehnt wird.

Nicht die parlamentarische Opposition ist heute die wichtigste, sondern die außerparlamentarische, womit ich nicht einige linke Studentengruppen meine, sondern die Massenmedien. Die kleine Koalition SPD/ FDP in der deutschen Bundesrepublik ist zum Großteil ein Werk der deutschen Massenmedien, insbesondere des Deutschen Fernsehens. In Zukunft wird die Frage, wie Rundfunk und Fernsehen, wenn sie kein Regierungsorgan darstellen, aber privilegiert, das heißt ohne Konkurrenz sind, von der Meinungsund Stimmungsmanipulation durch bestimmte Cliquen freigehalten werden können, von größerer Bedeutung sein als das sogenannte parlamentarische Spiel zwischen Regierung und Opposition.

Als sich vor der Olah-Krise die österreichische Volkspartei für kurze Zeit von der Gefahr einer Koalition zwischen SPÖ und FPÖ bedroht sah, kam von der so reformfreudigen steirischen Landespartei der ÖVP der von mir in diesem Artikel zur Diskussion gestellte Vorschlag. Er verschwand jedoch sofort wieder, als eine innerparteiliche Auseinandersetzung die Sozialisten zwang, den Plan einer kleinen Koalition aufzugeben. Olah mußte daran glauben. Die große Koalition aber war damals bereits aktionsunfähig. Diese Ak- tionsunfähigkieit brachte der ÖVP die Chance der Alleinregierung.

Wie sicht diese Alleinregierung bewährt hat, und welche Gefahren sie einschließt, steht hier nicht zur Debatte. Grundsätzlich ist jedoch zu sagen, daß eine Regierung nach dem mandatsmäßigen Proporz, der die Parteien zur Regierungsteilnahme berechtigt, keine Koalitionsregierung alten Stils ist. Sie ließe alle Fragen, die nicht innerhalb der Regierung gelöst werden können, für die parlamentarische Behandlung frei. Es fiele demnach der Stillstand der Regierungsmaschinerie fort, der die große Koalition am Ende ihrer Tätigkeit handlungsunfähig machte. Diese Regierungsform böte auch einer kleineren Partei wie der FPÖ die Chance zur Mitarbeit und zur Bewährung, ohne daß die Frage einer kleinen Koalition zu einer Staatsaffäre aufgebauscht würde. Sie wäre zwar keine allein seligmachende Lösung — die gibt es in der Politik ebensowenig wie im Leben —, wohl aber eine Regierungsform, die es der gesamten Bevölkerung und nicht nur einer geringen Mehrheit ermöglicht, durch Vertreter an der Gestaltung des Schicksals unseres Staates, der alle Bürger umfaßt, teilzuhaben.

Es steht manches auf dem Spiel

Tatsächlich steht bei den kommenden Wahlen im Frühjahr für die Parteien manches auf dem Spiel. Sollte die ÖVP ihre absolute Mehrheit verlieren, entscheidet damit das Gros der Wähler, daß die Volkspartei allein nicht imstande ist, das Land in eine neue Zukunft zu führen. Sollte sie aber die .absolute Mehrheit auch diesmal erringen — und ganz so ausgeschlossen ist es nicht, wie ein Zweckpessimismus glauben machen will —, dann weiß die SPÖ, daß sich die demokratische Opposition nicht lohnt, daß die Warte- und Hunger jahre noch lange dauern werden. Dann aber könnten bei vielen ihrer Leute leicht ähnlicne Gefühle lebendig werden wie in der Zwischenkriegszeit. An die Stelle von zwei konkurrierenden demokratischen Parteien entstünden wieder zwei feindliche Lager, die sich bis aufs Messer bekämpfen.

Das Beispiel in der Bundesrepublik

Aber auch über der FPÖ stehen die Wolken düsterer als es scheinen mag. Sie könnte wieder in die Mühle eines Wahlkampfes geraten, der die Angst zum Panier gewählt hat. Das heißt, man wählt aus Angst vor der SPÖ die ÖVP oder aus Angst vor einer kleinen Koalition die SPÖ. Der verstimmte Wähler verzichtet in diesem Fall, der ihm nahestehenden Großpartei einen Denkzettel zu geben. Für die FPÖ geht es vor allem darum, ob sie, falls keine der Großparteien die absolute Mehrheit erzielt, am politischen Spiel teilnimmt oder ob man sie, wie 1953 den „Verband der Unabhängigen", nur als Steigbügelhalter benützt, vor allem aber, ob man sie wieder ausschaltet mit dem Hinweis, daß sie zu wenig österreichisch sei.

Anderseits hat das Vorgehen der SPD in der deutschen Bundesrepublik auch bei uns die Gemüter erhitzt. Es kann zwar niemand leugnen, daß die demokratischen Spielregeln eingehalten wurden. Auch mag das Argument einleuchten, daß es einer Partei, die zwanzig Jahre in der Regierung saß, gut tut, einmal das harte Brot der Opposition zu essen und einen Regenerationsprozeß durchzumachen. Auch war es schon vor den Wahlen ersichtlich, daß der größere Teil der deutschen Massenmedien die Koalition SPD- FDP als die bessere Lösung gegenüber der großen Koalition anpries. Doch man kann auch anders darüber denken. Hätte die NDP um 0,8 Prozent Stimmen mehr errungen, so wäre eine Koalition SPD-FDP nicht

Das Spiel von Regierung und Opposition

Die jeweilige Regierungspartei behauptet, daß die bestfunktionierende Demokratie das Spiel von Regierung und Opposition sei. Das würde aber voraussetzen, daß die Rollen von Regierung und Opposition ständig wechseln. Das klassische Land dafür ist Großbritannien. Allerdings vergißt man hierzulande ein wesentliches Moment. In England übernimmt der Wähler auf Grund langer demokratischer Erfahrung selbst die Aufgabe, diesen ständigen Rollentausch vorzunehmen. Er kann deshalb nie in eine Angstwahl hineingetrieben werden, ja er würde eine derartige Erscheinung gar nicht verstehen. Deshalb trägt die jeweils verlierende Partei das Geschieh der Opposition mit Gelassenheit, in der Hoffnung, daß sich das nächste oder spätestens das übernächste Mal das Rad wieder dreht.

Die Proporzregierung

Persönlich finde ich es deshalb demokratischer, wenn die Parteien an der Regierung gemäß ihrer Mandatsstärke im Parlament beteiligt sind. Das ist in den österreichischen Bundesländern der Fall, und ein ähnliches Regierungssystem herrscht in der Schweiz. Man kann dieser aber kaum vorwerfen, daß ihre Demokratie schlechter als in Österreich oder anderswo funktioniert. Aber auch in den österreichischen Bundesländern werden die demokratischen

Das Problem der Opposition

Auch die Binparteienregierung besetzt die wichtigsten Positionen im Staate nach dem Proporzprinzip. Ja, es verringert sich sogar der Kader der Kandidaten, da man Leute nur aus den eigenen Reihen nimmt. Hier könnten durch ein gewissenhaftes Ausschreibesystem, das nicht, wie hierzulande, nur eine Farce ist, rein parteipolitische Interessen bei der Besetzung verschiedener Positionen weitgehend ausgeschaltet werden. Die Menschen, die in Österreich wichtige, von der Regierung zu vergebende Positionen in der Epoche der ÖVP-Alleinregierung erhalten haben und nicht der Partei, ihren Bünden oder dem CV angehören, kann man auf einer Hand aufzählen. Es wäre deshalb unrichtig, von der Abschaffung des Proporzes zu sprechen. Man kann lediglich sagen, der Proporz bezieht die SPÖ in vielen Bereichen des politischen Lebens nicht mehr ein.

Was nun die Frage der fehlenden Opposition betrifft, so wiegt sie zweifellos am schwersten. Allerdings muß auch hier in aller Offenheit gesagt werden: Eine sogenannte demokratische Opposition hat wenig Chancen. Sie vermag weder ein wichtiges Gesetz zu ändern noch Regierungsaktionen entscheidend zu beeinflussen. Oftmals verfügt sie nicht einmal über genügend Informationen, um die Regierung wirkungsvoll zu bekämpfen. Da sich alle Machtmittel sowie die Möglichkeit, Positionen zu vergeben, in der Hand der Regierung befinden, und die Mehrheit der Bevölkerung meist den Mächtigeren zuneigt, so liegt die einzige Chance der Opposition darin, daß die Regierung versagt. Bei der heutigen Hochkonjunktur der Wirtschaft ist dies kaum möglich.

Bliebe also nur eine klassenkämpferische, revolutionäre Opposition, die durch ständige Streiks, Massendemonstrationen und Proben zum Aufstand die friedfertige Auseinandersetzung der Sozialpartner und die evolutionäre Entwicklungstendenz stört. Sie hat derzeit in Österreich keine Chance. Wenn es anders wäre, wäre es auch mit dem Wohlstand in unserem Staate vorbei.

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