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Fachmann kontra Volksmann

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Und auch die der SPÖ nahestehende „Sozialwissanschaftliche Studiengesellschaft“ unter ihrem Chef, dem Meinungsforscher Karl Blecha, errechnete, daß Klaus im Oktober 1965 — also ein halbes Jahr vor den Entscheidungswahlen 1966 — 50 Prozent positiver Wählerzuordnungen erhielt, daß dieser Anteil im März 1967 auf 46 Prozent gefallen war und daß nun, nach der Tschechenkrise und einer umgebildeten Regierung, Josef Klaus sogar 51 Prozent erhalten habe.

Wurde Klaus seinerzeit von vielen Österreichern als „Streber“ charakterisiert, ist er nun vor allem „Staatsmann“ und „Volksmann“. ■

Waren eich aber die Meinungsforscher in der Koalitionszeit immer darüber klar, daß der damalige SPÖ-Obmann Pittermann in den untersten Rängen der Sympathie kursierte, Ist dies bei Kreisky ganz anders. Kreisky ist „Staatsmann“ und „Fachmann“ — und zwischen dem Volksmann und dem Fachmann wird die Auseinandersetzung der Wählersympathie für die Spitzenkandidaten kursieren.

Denn Kreisky zeigt (im Gegensatz zu Pittermann) auch eine starke Anziehungskraft auf traditionelle ÖVP-Wähler und auf zahlreiche Intellektuelle, während er in den „unteren* Schichten der sozialistischen Wählermassen eher unattraktiv wirkt. So verfügen, meint Blecha, beide Politiker über „ein stark ausgeprägtes, auch über längere Zeiträume stabiles Image“, das ein interessantes Kopf-an-Kopf-Rennen im Vorwahljahr 1969 garantiert.

Denn in der Kärntnerstraße und in der Löwelstraße sind sich die politischen Apparate klar, daß die kommenden Wahlauseinandersetzungen

— in Salzburg, Vorarlberg, Niederösterreich und Wien — Generalproben des Gerichtsganges der Wählerschaft über das Experiment der Alleinregierung sind. Und diese Wahlgänge wenden von Persönlichkeiten geprägt werden, in denen den Köpfen von Klaus und Kreisky zentrale Bedeutung zukommt.

Die Sozialisten haben aber auch ihr programmatisches Geschütz mit neuen Kalibern ausgestattet. Statt ideologischer Gemeinplätze und statt der Spekulation mdt dem Neidkomplex boten sie bisher in einem Wirt ■ schafts- und einem Humanprogramm eine Basis ihrer Regierungsvorstellungen. Man wird also sicherlich die kommenden Wahlen mit Diskussionen über diese Programme bestreiten und die Regierungspartei zwingen wollen, über diese Programme zu diskutieren. (Immerhin glauben

— laut Blecha — 39 Prozent der Wähler, daß auf Grund des Wirt-schaftsprograimrns die Sozialisten die wirtschaftlichen Probleme besser lösen könnten als die ÖVP.) Denn die ÖVP hat sich die Maxime gestellt, keine neuen Paniere“ -m produzieren, sondern will mit Fakten und Beweisen operieren. Abgeschaut haben sich die beiden österreichischen Parteien bereits einiges von den Septemberwahlen 1968 in Schweden. Dort hatten die Sozialdemokraten mit ganz ähnlichen Programmen aufgewartet, wie sie nun das Team um Kreisky propagiert. Allerdings stellten in Schweden die Sozialdemokraten die Regierung, und die Bürgerlichen waren in Opposition.

Und in Schweden stand auch nicht die Frage nach der „Großen Koalition“ auf der Wahltagesordnung Anders jedoch sicherlich 1969 in Österreich.

Denn auch hier haben die Meinungsforscher klares Material geliefert. Hatte ein Psychologenteam in einer 100-Seiten-Analyse der ÖVP gesagt, daß die Koalition überaus stark in der Wählerschaft psychologisch verwurzelt sei, bewies Blecha den Sozialisten, daß ein überaus hoher Prozentsatz auch ganz konkret koalitionsfreudig sei Demi die Volkspartei hatte eigentlich seit 1966 nie richtig die Koalition „verteufelt“, wie das Beobachter erwartet hatten. So wurden praktisch keine Skandale aus ehemaligen sozialistischen Ministerden aufgedeckt, obwohl Material dafür in den Schreibtischen gelegen sein soll. Vielmehr stöberte man in der eigenen Vergangenheit und brachte den Bauskandal in das Licht der öffentlichen Diskussion. Man erwies zu wenig, worin die Systematik der Koalition gelegen war: in der Korrumpierung der politischen Transparenz und in der Anmaßung parlamentarischer Rechte durch Parteienvereinbarungen.

So fand Blecha, der die Frage nach der Koalition im Falle einer kritischen außenpolitischen Situation stellte, daß nur neun Prozent der Österreicher eine ÖVP-Alleinregie-rung forcieren — aber 56 Prozent für die große Koalition eintreten. Dazu kommt, daß die Zwanzig- bis Dreißigjährigen sogar noch stärker für eine Koalition sind — und dies alles, nachdem kurz vorher eine ÖVP-Alleinregierung die „kritische, außenpolitische Situation“ der CSSR-Krise glückhaft überstanden hatte.

Auch vermerken politische Beobachter, daß innerhalb der ÖVP einigle, sogar prominente Abgeordnete offen für die Koalition eintreten — weil diese ihnen anscheinend mehr Ruhe im Hohen Haus beschert ...

Die Regierung, vor allem aber die Koalitionstöter Klaus und Withalm, wollen ihre Leistungen dem Koalitionsgerede gegenüberstellen: Wohnungsfrage und Reform der Verstaatlichten Industrie. Budgetsanierung und Rurndfunkreform wären in der Koalition einfach nicht zu lösen gewesen — und das werde man auch der Bevölkerung noch eindringlich bis zum nächsten Nationalratswahl termin sagen; aber bereits bei den Wahlgängen 1969 — die 1,5 Millionen Österreicher betreffen werden. Und mit der Feststellung, daß die Alleinregierung „für das Wohl aller Österreicher bis zum Schluß dieser Gesetzgebungsperiode und über Auftrag der Wähler auch in den siebziger Jahren die Verantwortung tragen will“, ließ der Informationschef der Bundesregierung, Karl Pisa, bereits Dampf in die Kessel der Wahllokomotive für 1969.

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