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Die Nachrichten aus dem Verhanc lungskomitee für ein neues Schu gesetz verdienen höchste Beachtung.

Diese Feststellung ist nötig, we sich durch das jahrelange Ringen ui diese Materie bereits Ermüdung! erscheinungen sowohl bei den Vei handlungspartnern als auch in di Öffentlichkeit bemerkbar machen. D Blick trübt sich, man wird ungeduldiį die Aufmerksamkeit wendet sich voi Thema ab. Sooft lag schon die Eni Scheidung zum Greifen nahe . . Außerdem handelt es sich um eine b( sonders anspruchsvolle Angelegenhei die viel weniger durchsichtig ist a etwa Preiserhöhungen und Lohnfordf rungen. Während in solchen Bereiche die Tatsachen feststehen, auch wen noch so lange und von noch so viele darüber gesprochen wird, kommt auf einem Gebiet wie diesem, d; vorwiegend durch geistige und ideell Zusammenarbeit bestimmt ist, bis weilen zu verhängnisvollen Um Wertungen der Werte, die die Ding geradezu auf den Kopf stellen.

Je länger daher die Schulverhanc lungen in Österreich dauern, dest größer wird die Belastung der B teiligten und um so größer werde die Gefahren für ein rechtes Ergebni In solcher Lage müssen die Staat: bürger um so aufmerksamer sein, da es nicht zu Gewaltlösungen kommt.

Torschlußpanik?

Nach allem, was bisher an vorläufigen Ergebnissen verlautete, unterscheidet sich die gegenwärtige Lage von früheren, ähnlichen dadurch, daß anscheinend nicht mehr die Konzepte der beiden Verhandlungspartner auf einer dritten Ebene integriert oder — weniger wünschenswert, aber in mißlichen Stadien als letztes Auskunftsmittel oft recht handfest gebraucht — im Kompromißweg Punkt gegen Punkt ausgetauscht wurden, sondern daß man sich anschickt, fast komplett einen der beiden Entwürfe zu sanktionieren. Nun müßte ein solches Verfahren an sich nicht kritisiert werden. Es wäre im , Gegenteil ein Zeichen höchster demokratischer Reife, wenn sich darin die Anerkennung besserer Qualität äußerte. Leider ist dies jedoch hier nicht der Fall, sondern es ist eben ein verzweifelter Ansatz, es einmal anders zu versuchen, da alle bisherigen Wege zu keinem Erfolg führten. Also -- wie man aus inoffiziellen Äußerungen entnehmen kann — eine Art Torschlußpanik.

Der Entwurf, der auf diese Weise dem österreichischen Volk zur Grundlage seines Schulgesetzes werden soll, ist der sozialistische. Es ist bekannt, was er vorsieht: Keine Änderung der verhängnisvollen Organisationsfehler, die auf schulischem Gebiet in der Ersten Republik unter sozialistischer Ägide gemacht wurden und die nur durch vorbildliches Wirken der Pflichtschullehrer in Klassen- und Schulgemeinschaft und in Zusammenarbeit mit den Eltern einigermaßen neutralisiert werden konnten. Hierher gehören das Festhalten an der Vier- stufigkeit der Grundschule und damit die Ablehnung der fünften Volksschulklasse; das Bekenntnis zum Einheitsschulgedanken und somit die Gegnerschaft einer berufs- und lebenspraktisch geführten Hauptschule ohne diffamierende zweite Klassenzüge; die Zerschlagung der österreichischen Lehrerbildung und Zuwendung zu Experimenten, von deren Ergebnissen man vorerst nur sicher weiß, daß sie in jeder Hinsicht sehr kostspielig sein werden.

Im Mittelpunkt: Lehrerbildung

Mit einem Wort: mit diesem Entwurf soll der fatale Weg, der auf sozialistischer Seite vor 40 Jahren begonnen wurde, nun vom ganzen österreichischen Volk zu Ende gegangen werden. Der Kerngedanke liegt offen zutage. Einerseits wird das in der Vergangenheit Erreichte, auch wenn es sich in jahrzehntelanger Praxis als nachteilig für den Llnter- richt erwiesen hat, verbissen festgehalten und hartnäckig verteidigt — vierklassige Volksschule und vom Einheitsschulgedanken bestimmte Hauptschule -, anderseits soll der wesensfremde Umbau des österreichischen Schulwesens endlich vollständig durchgeführt werden.

So gesehen, wird es sonnenklar, t warum seit Jahr und Tag die Frage der Lehrerbildung in den Mittelpunkt : aller Verhandlungen gerückt erscheint : und warum es im letzten nur um sie ! geht. Hier ist nämlich der Punkt, von dem aus alle Erziehung und aller Unterricht in Österreich aus den i Angeln gehoben werden kann. Hier ; stehen sich letztlich auch Volksinter- ! esse und Parteiinteresse gegenüber. ‘ Beide zu vereinen scheint in diesem Fall unmöglich. Daher gibt es nur Über- und Unterordnung. Daß dies 1 im richtigen Sinn geschieht, ist das große Anliegen und die große Verantwortung vor dem Gewissen. Es ist eigentlich selbstverständlich, daß der Teil, die Partei, nicht über das Ganze, Volk und Staat, gestellt werden dürfe.

Aus solcher Sicht werden die Formeln „Sechsjährige Lehrerakademie“, „Hochschulmäßige Ausbildung“ verständlich. Sie sind mehr als bloße Meinungen, die in einer technischen Frage auseinanderklaffen. In ihnen kristallisiert sich eine Antithese, die in tiefste Bereiche geht. Zur Orientierung und richtigen Entscheidung, wenn es dessen bedürfte, verhilft immer wieder die Frage, ob der österreichische Lehrer, wie wir ihn kennen, für sein Amt mangelhaft ausgebildet oder gar ungeeignet ist. Die Antwort ergibt das gerade Gegenteil: er ist wegen seiner Leistungsfähigkeit und vielseitigen Verwendbarkeit in Stadt und Land hoch geschätzt und auch im Ausland, wenn er dort wirkt, anerkannt und gesucht. Diese Tatsache allein entlarvt die radikalen Reformbestrebungen seiner Ausbildung; sie sind in Wahrheit bloß destruktive Maßnahmen.

Es wäre also verhängnisvoll, wenn der vorliegende Schulplan tatsächlich zum Beschluß erhoben würde. Höchste Wachsamkeit der Öffentlichkeit ist notwendig, richtige Orientierung äußerste Pflicht. Alle Stellen, Körperschaften, Verbände, die Einsicht in dieSe ’Probfeme haben, afeer’ tB.’d(r einzelne Staatsbürger, der sich im Gewissen der Jugend gegenüber ver- ‘ pflichtet fühlt, muß sich in diesen ; Fragen seine Meinung bilden und sie vertreten. Es ist kein Geheimnis, daß \ selbst sozialistische Wähler diese Par- [ teiprogrammatik ablehnen.

. Der Blick der Verhandelnden ist ‘ wahrhaftig in Gefahr, sich zu trüben. Das grüne Tuch der Beratungstische,

das künstliche Licht, die Zeiger der Uhr schieben sich vor die gebieterischen Ansprüche der Wirklichkeit, nämlich die des Kindes und der Schulstube. Ist es nicht Zeichen der Verwirrung genug, wenn ernstlich als Vorzug ausgegeben wird, daß nur noch ein Drittel der Gesprächspartner Lehrer sind? Würde man denselben Standpunkt auch bei Entscheidungen von Finanz- oder Wirtschaftsgesetzen einzunehmen wagen?

Die Wirklichkeit

Es ist eine unerläßliche Forderung, in dieser Verwirrung auf die echten Anliegen aufmerksam zu machen. Und die sind nun einmal die Notwendigkeit, endlich den kindlichen Reifungsprozeß zur Kenntnis zu nehmen und keine Verfrühung im Fachlehrerunterricht zuzulassen; weiters die Pflicht, dem praktischen Leben mit praktisch gebildeten Abgängern aus der Hauptschule zu dienen; und schließlich die Verantwortung, den an Geist, Gemüt und Willen geeigneten und vielseitig ausgebildeten österreichischen Lehrer i zu sichern und zu erhalten. 1

Das sind Wirklichkeiten, die jede j Politik früher oder später zur Kennt- ( nis nehmen muß. Nur aus dieser Sicht ist das neunte Schuljahr richtig einzubauen, ist die Forderung nach der fünften Volksschulklasse zu verstehen, kann der Ruf nach einer soliden Form 1 der Oberstufe der Pflichtschule begriffen werden, ist die brennende Sorge um den Bestand des vielgerühmten österreichischen Volksund Hauptschullehrers zu erfassen.

Würde das Programm, das im politischen Raum auszureifen droht, tatsächlich zum Gesetz erhoben, dann wäre es um unsere künftige Schule und unser Volk schlecht bestellt. Torso bliebe weiterhin die Arbeit des Volksschullehrers, murrend bedankt die Leistung seines Kollegen in der Hauptschule, trotz Verlängerung der Schulpflicht ginge das Kind ärmer aus der Schule, unbestimmt wäre der Typus des Lehrers. Woher diese Prognose genommen ist? Aus den Fehlleistungen der gegenwärtigen Schule als Folgen unheilvoller Maßnahmen in der Vergangenheit; die neuen Maßnahmen wären nämlich mehr als das, sie wären verderblich.

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