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Familienhilfe, die nicht entmündigt

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Die Soziallehre der Kirche als Konzept und moderne Methoden des Managements prägen die sozialen Dienste des „Osterreichischen Hilfswerks".

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Die Soziallehre der Kirche als Konzept und moderne Methoden des Managements prägen die sozialen Dienste des „Osterreichischen Hilfswerks".

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dieFurche: Was ist das Besondere am „ Osterreichischen Hilfswerk "?

Heidi Burkhart: Ich erzähle am besten, wie ich es erlebt habe, als ich da-zustieß: Mich hat fasziniert, daß schon im Konzeptionsstadium spürbar war, daß dahinter ein großer Gedanke steckt: den Familien bei der Bewältigung ihrer Probleme durch Hilfe von außen, insbesondere durch Stärkung nachbarschaftlicher Strukturen beizustehen, ohne sie zu entmündigen.

dieFurche: Wer sind die Adressaten?

Burkhart: Unsere Klientel sind nicht Randgruppen oder Extremfälle. Wir helfen insbesondere bei der Pflege von Personen, bei der Retreuung von Kindern und alten Leuten, die den Haushalt nicht mehr selbst bewältigen. Diese Dienste werden einerseits von Personen ohne besondere Schulung (meist Personen aus der Nachbarschaft, die bereit sind, regelmäßige Dienste zu erbringen), andererseits von Fachkräften (Diplomkrankenschwestern oder Therapeuten) erbrächt. Ein Großteil der Mitarbeiter ist stundenweise beschäftigt. Nur ein kleiner Teil ist angestellt.

dieFurche: Kann man beim Hilfswerk also ohne besondere Ausbildung mittun?

Burkhart: Viele Frauen, die sich etwas dazuverdienen oder die, nachdem ihre Kinder aus dem Haus, sind, etwas für andere Menschen tun wollen, werden als Nachbarschaftshelferinnen tätig. Sie verpflichten sich für einige Stunden in der Woche, gehen etwa für jemanden einkaufen, machen die Betten oder helfen sonstwie im Haushalt. Es sind Hilfeleistungen, die man auch spontan machen würde. Weil dies aber über längere Zeiträume geschehen soll, bedarf es der Organisation. Dadurch sind die Empfänger der Hilfe auch nicht nur von einer Person abhängig. Das örtliche Hilfswerk hat mehrere Nachbarschaftshelfer in Evidenz und kann so eine kontinuierliche Hilfeleistung gewährleisten.

dieFurche: Es gibt also örtliche Einsatzleitungen ...

Burkhart: Ja. Sie entscheiden, welche Art von Hilfe jeweils optimal ist (ein Pflegeteam nimmt vor Beginn der Tätigkeit die Situation auf und entwirft einen Einsatzplan) und sie koordinieren die Dienste. So kann jemand zweimal wöchentlich Nachbarschaftshilfe oder aber auch die Hilfe einer Krankenschwester benötigen. Oder er braucht Essen auf Rädern ... In Niederösterreich gibt es zum Beispiel rund 60 regionale Vereine, etwa das Badener oder das Kremser Hilfswerk, Sie wirken auch in den umliegenden Gemeinden. Die Nachbarschaftshelfer werden möglichst in ihrer unmittelbaren Umgebung eingesetzt und so, daß die Leute gut zusammenpassen.

dieFurche: Wie wird das finanziert?

Burkhart: Die Personen zahlen nach Einkommen gestaffelt für die Leistungen. Dadurch kommt etwa ein Drittel der Kosten zustande. Ein weiteres Drittel zahlt das Land und den Best die Krankenversicherung.

dieFurche: Dominiert also die Altenbetreuung?

Burkhart: Die sozialen und Gesundheitsdienste waren die erste Aktivität, die sehr wichtig geblieben ist. Mitte der achtziger Jahre wurde die Tages-mutteraktion gestartet. Außerdem haben wir ein Projekt Familienbildung, „Familie aktiv", gestartet: Elternbil-dungs- oder Kreativseminare, Familienturnen, kurz eine reiche Palette.

dieFurche: Sind Tagesmütter eine gute Einrichtung der Kinderbetreuung?

Burkhart: Auch wenn wir davon ausgehen, daß Betreuung durch die eigene Mutter optimal ist, so kann man bei ganz kleinen Kindern sicher eine familienähnliche Betreuung als zweitbeste Lösung ansehen. Und wenn es Tausende Schlüsselkinder gibt, so muß man etJ was dagegen tun. Wir suchen also Frauen, die zu Hause bei den Kindern bleiben und zu ihren eigenen Kindern stundenweise andere dazunehmen. Sie müssen für diese besondere Aufgabe vorbereitet und in ihrer Tätigkeit begleitet werden. In Niederösterreich dürften derzeit rund 1.500 Tagesmütter wirken. Im Schnitt übernimmt eine Mutter ungefähr zwei Kinder. Manche Kinder kommen schon als ganz kleine zur Tagesmutter. Diese soll jedenfalls, wie gesagt, noch eigene Kinder im Haus haben.

dieFurche: Der Erfolg in Niederösterreich wurde dann in die übrigen Bundesländer „exportiert"?

Burkhart: Ja, die Kombination von sozialen Diensten mit modernen Methoden des Managements war einfach gut. Im Grunde genommen werden die Vorstellungen der christlichen Soziallehre praktisch umgesetzt: Subsidiarität, Hilfe zur Selbsthilfe, Eigenleistung, freie Wahl der Dienste, integrierte Dienste (eine Organisation bietet alles an). Das hat sich sehr bewährt. 1989 diente dieses Konzept, um den ÖVP-nahen bundesweit tätigen „Österreichischen Wohlfahrtsdienst" in das „Österreichische Hilfswerk", das nicht parteigebunden ist, umzuwandeln.

dieFurche: Hat sich das bewährt?

Burkhart: Als erstes Bundesland hat Salzburg „angebissen". Das Burgenland und die Steiermark sind als nächste nachgezogen. Dafür, daß seit der Gründung erst sechs Jahre vergangen sind, hat sich sehr viel getan.

dieFurche: Welche Aufgabe hat die Zentrale in einer Organisation, die so großen Wert auf Dezentralisation legt?

Burkhart: Zunächst organisieren wir einen Know-how Transfer zwischen den Landesorganisationen, sorgen für die gemeinsame Ausbildung der Führungskräfte in der Hilfswerk-Akademie und veranstalten Fachtagungen zu wichtigen Themen. Außerdem haben wir seit sechs Jahren einen Forschungsfonds für Studenten, die Arbeiten im Bereich Familie, Soziales, Gesundheit machen. Erst kürzlich hatten wir eine Preisverleihung. Bisher haben wir 60 Stipendien vergeben.

dieFurche: Bringt das etwas für die praktische Arbeit?

Burkhart: Ja, einige Arbeiten beschäftigen sich zum Beispiel mit der Frage der Meßbarkeit von sozialen Diensten und entwickeln Ansätze, wie die Kosten einer Einsatzstunde zu berechnen sind. Es ist wichtig, dies bewerten zu können. Das hat Auswirkungen auf die öffentliche Förderung. Ein gutes Bechensystem bringt Vorteile im Wettbewerb...

dieFurche: Ein Wettbewerb der sozialen Dienste?

Burkhart: Selbstverständlich. Das regt die Leistung an. Über eine koordinierende Plattform gibt es aber auch eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen den Trägern (Volkshilfe, Rotes Kreuz, Caritas, Diakonie und wir). Kooperation und Wettbewerb bestehen nebeneinander.

dieFurche: Ist das Hilfswerk auch im Ausland tätig?

Burkhart: Kaum war das Österreichische Hilfswerk gegründet, wurden wir 1989 gebeten, eine Hilfsaktion für Kinder in Polen durchzuführen. 16 Millionen Schilling haben wir im Rahmen vdn Weihnachtsfeiern an 18 Orten in Polen in Form von Geschenken an (vor allem krebskranke und behinderte) Kinder überreicht. Österreichische Familien haben mit den Polen gefeiert. Die persönliche Begegnung hat sehr viel bewegt. Seither haben wir jährlich solche Weihnachtsfeiern arrangiert: in Weißrußland, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Albanien... Aus den dabei geknüpften Kontakten sind weitere Aktionen entstanden: Mit Hilfe der Bundesregierung konnte in Weißrußland die Einrichtung einer Kinder-Leukämieklinik finanziert werden. Sie wird heuer fertig. Und jetzt haben wir ein interessantes Projekt in Bosnien ...

dieFurche: Auch eine Klinik?

Burkhart: Nein. Wir sorgen mit Unterstützung der Bundesregierung für die Bereitstellung von Baumaterial. Es soll heimkehrenden Familien zu günstigen Bedingungen (es ist in Bosnien derzeit enorm teuer) angeboten werden, damit sie ihre Häuser instandsetzen können. Wir schenken das Material nicht einfach her, sondern verkaufen es billig. Dabei kooperieren wir mit einheimischen Banken (sie vergeben sehr günstige Kredite). Wir versuchen, eine Art Mini-Marshallplan-System einzurichten. Mitden Einnahmen kann man neues Material kaufen, wodurch sich der Umfang der österreichischen Hilfe vervielfältigt.

Das Gespräch

führte Christof Gaspari

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