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Flaschen in osterreich

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Viermal soviel Geld, wie Österreich für seine Rüstung verwendet, geben die Bürger des Landes für Alkohol aus. Zählt man zusammen, was getan werden könnte, würde man das Geld für Getränke in der ganzen Welt für nützliche Zwecke ausgeben, dann wären längst die Probleme des Hungers, der Unterernährung, ja selbst der mangelnden Gesundheitsfürsorge gelöst. Österreich rangiert im europäischen Alkoholkonsum nicht mehr unten, sondern weit oben. Wir erreichen zwar noch nicht das „Weintrinkerland“ Frankreich, haben aber immerhin

• 300.000 Alkoholkranke,

• eine Verdoppelung der Zahl trinkender Frauen in den letzten Jahren und

• eine Rekordziffer von 18 Prozent alkoholsüchtiger Jugendlicher in den Jugendstrafanstalten.

Freilich, im Ausland sind es überdies zunehmend Drogen, die sich verbreiten und die nach Meinung amerikanischer Ärzte zu einer ernsthaften Schädigung der Volksgesundheit führen müssen. In Mitteleuropa, insbesondere in Österreich, ist die Flasche aber nach wie vor das notorische Stimulans.

Man trinkt heute nach anderen Grundsätzen, als dies noch vor Jahren der Fall war — und der Alkoholismus ist im Straßenbild nicht mehr allzuoft sichtbar. Denn das Trinken zu Hause — vor allem vor dem illuminierenden Fernsehapparat — hat das öffentliche Trinken längst abgelöst. Das „Wiener Beisel“, das Wirtshaus oder die Weinhalle ist zunehmend vom Besucher-schwund gezeichnet. Zahlreiche Lokale mußten in den letzten Jahren ihren Betrieb einstellen. Denn man kauft Bier, Wein und Schnaps schon vormittags und auf Vorrat — und führt zu Hause ein Sortiment. Dadurch kommen auch zunehmend Frauen in die Versuchung, mehr zu trinken. Freilich, das Drama des trinkenden Familienvaters, der Abend und Nacht im Wirtshaus verbringt, ist selten geworden. Doch auch die nun vor dem TV-Apparat versammelte trinkfreudige

Familie ist gleichfalls nicht die Lösung des Problems. Dazu kommt, daß steigender Wohlstand eine Umschichtung in den Konsumgütern bewirkt hat.Liebten die Österreicher im Westen vor allem Bier und im Osten Wein als Mittel ihres Genusses, drängt der Schnaps immer mehr nach vorn. Und waren einst Rum und Branntwein ein billiges (aber um so gefährlicheres) Vergnügen, treten durch Werbung und Imagepflege Whisky, Gin und Wodka an ihre Stelle. Überdies hat die Kultivierung der Trinksitten eine Umstellung gebracht. Es gehört bereits zum guten Ton, eine Hausbar zu haben.

Soziologen und Ärzte unterscheiden daher drei Arten von Trinkern; jene,

• die zwar relativ mäßig, aber desto regelmäßiger zu Hause trinken und die Mengen laufend steigern,

• die regelmäßigen Trinker, die ihr Trinken manchmal zum Trinkexzeß steigern,

• die Kranken, die nur durch Entwöhnungskuren von ihrem Leiden geheilt werden können.

Statistiker verweisen überdies darauf, daß das Trinken in Österreich kein „Klassenlos“ mehr ist. Der gepfändete Lohn an den Betriebskantinen gehört der Vergangenheit an. Zahlreiche Industrieunternehmen geben alkoholfreie petränke gratis oder stark verbilligt an die Arbeiter ab. Durch Mithilfe der Gewerkschaft konnte fast überall die betriebliche Unfallquote gesenkt und das Betriebsklima verbessert werden. Der Arbeiter ist heute nicht mehr der Trinker der Vergangenheit; denn zunehmende Motorisierung hat aruch hier einen Wandel geschaffen. Vielmehr sind es zunehmend wohlhabende Schichten, die zu den starken Trinkern der Gesellschaft gehören. Der moderne „Manager“ ist ganz besonders solchen Gefahren ausgesetzt, weil seine konzentrierte Tätigkeit das Abschalten in der Freizeit verlangt, das durch Alkohol am einfachsten erreicht werden kann. Wie die Motorisierung die Trinkgewohnheiten verändert, geht auch daraus hervor, daß der Heurige in Wien zu einem Ort der Geselligkeit wurde, wo nicht primär der Weinkonsum im Vordergrund steht. Denn die Angst, ins „Röhrl“ blasen zu müssen, ist nach wie vor groß; zu viele riskieren mit dem Führerscheinentzug zuviel.

Eine Gruppe freilich ist neuerdings davor bewahrt, Alkoholproben über sich ergehen zu lassen: die Abgeordneten. Denn die Volksvertreter dürfen — so ein Erlaß des Innenministers — nicht mehr Alkotests unterzogen werden.

So mag es auch kommen, daß die Abgeordneten dem Problem der zunehmenden Welle von Stimulantia und der Verschiebung der Trink-Usancen nicht jenes Augenmerk schenken wie anderswo. Und überdies füllt die Alkoholsteuer die Säckel des Finanzministers. Korens größter Erfolg zur Sanierung der Staatsfinanzen war 1968 die lOprozentige Alkoholsteuer. Denn — entgegen den Befürchtungen der Weinbauern — ist der Alkoholkonsum nicht zurückgegangen. Im Gegenteil, er steigt trotz Steuerschraube weiter an.

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