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Flurbereinigung im Recht auf die Schule

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Eine der wichtigsten Aufgaben der 1945 gewählten Volksvertretung war die gesetzliche Neuordnung unseres Schulwesens. Ein der derzeitigen Gesamtlage angemessenes Schulgesetz wurde von allen Kreisen gewünscht, wenn auch aus verschiedenen Gründen und mit abweichender Zielsetzung. Ernste Anläufe zur Erfüllung dieses Volkswillens wurden immer wieder unternommen. Doch jeder Versuch dieser Art rief Geisteskräfte von solcher Gegensätzlichkeit auf den Plan, daß eine Einigung nicht erzielt werden konnte. Fast nirgends sonstwo trat die weltanschauliche Zerklüftung unseres Volkes oder doch der führenden Schichten so klar ja so erschreckend zutage.

Es ist begreiflich, daß man sich heute die Frage stellt, warum der unternommene gesetzgeberische Versuch gescheitert ist. In der sozialistischen „Zukunft“ Heft 3 unternahm es Wilhelm Stemmer, die Antwort auf diese Frage zu geben und im Zusammenhang damit die ganze Problematik unseres derzeitigen Schulwesens aufzuzeigen. Wer trägt die Schuld am Nichtgelingen einer befriedigenden Schulgesetzgebung? Nach ihm ist es der „andere". Das ist so seit Adams Tagen. Die Verantwortung für alles Versagen legt man dem „anderen“ auf. Zumal in der Parteipolitik. ist eine andere Haltung, wie es scheint, fast unmöglich. Selbstentlastung und Fremdanklage sind hier sozusagen Grundsatz. Es ist bei solchen parteigebundenen Aburteilungen nicht sicher um die Wahrheit bestellt. Es ist eine allzu billige und allzu summarische Verurteilung, das Scheitern der Schulgesetzverhandlungen glatt- hin der „klerikalen Einstellung der Regierungen" zuzuschreiben. Das vieldeutige gehässige Wort „klerikal“ sollte überhaupt aus ernsten Erörterungen verbannt sein. In den nachfolgenden Auseinandersetzungen soll die umstrittene Frage in menschheit- liche und selbstverständlich auch religiös christliche Belichtung gerückt werden.

Wenn es auf kulturpolitischem Gebiet und vor allem im Schulwesen zu einer fruchtbaren Aussprache und einer gedeihlichen Ordnung kommen soll, so muß zuerst eine genaue Abgrenzung der Zustän-digkeiten stattfinden. Es muß ein u n a n- tastbares Kerngebiet des Reinmenschlichen aus der politischen Auseinandersetzung soviel als möglich herausgelöst werden. Es muß ein heiliger Bezirk der urmenschlichen Rechte umschrieben werden, mit dem die Parteipolitik und die Politik überhaupt nur die eine Berührung hat, dieses Heilig- Menschlichezu achten, zu schützen, ihm beste Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern.

Es ist dies der Bereich des Vor- oder Überpolitischen. Die größten Spannungen und die erbittertsten Kämpfe in der jüngsten Geschichte sind daraus entstanden, daß man dieses urmenschliche Recht der Politik unterordnen, die unantastbare Persönlichkeit irgendeiner Form von Kollektivismus opfern wollte.

Die Schule und die Erziehung überhaupt gehört zu diesem vorpolitischen menschlichen Kerngebiet. Vor dem Staat oder irgendeiner andern Vergesellschaftung sind die Eltern und die Kinder, ist die Familie. Die Erziehung ist aus seinshaften Zusammenhängen vor allem eine Sache der Familie. Es ist ein unveräußerliches Recht der Erzeuger, zu bestimmen, wie sie ihre Kinder erzogen haben wollen. Wahre Freiheit herrscht nur dort, wo dieses Recht restlos anerkannt wird. Die Schule, die den österreichischen Sozialisten als Ideal vorschwebt, die einheitliche Staatsschule, die durch ihren Monopolcharakter ein Zwangserziehungsrecht beansprucht, steht im Widerspruch zu den naturrechtlichen Gegebenheiten, ist ein Eingriff in die elterliche Verfügungsgewalt. Der Staat überschreitet seine Vollmacht, wenn er christliche Eltern zwingt, ihre Kinder einer Schule zu übergeben, die nicht die Gewähr für eine vollchristliche Erziehung bietet. Es ist ebenfalls eine Einschränkung des Elternrechtes und der Gewissensfreiheit, wenn die Behörde mittelbar die eigentlichen Erziehungsberechtigten zwingt, ihre Kinder in eine Schule zu schicken, indem sie nur die öffentlichen Lehranstalten mit den von allen ein-gehobenen Steuergeldern unterhält oder das spätere Fortkommen mehr oder minder von dem Besuch staatlicher Schulen abhängig macht.

Der Auseinandersetzung über die Schulfrage liegt im wesentlichen das Ringen um die Anerkennung dieser erzieherischen Urtatsache zugrunde, des elterlichen Erstrechtes. Das ist die Kernfrage, alles andere sind Fragen minderen Belanges. Schuld am Scheitern der Bemühungen um das Schulgesetz sind alle jene Kräfte, die in ihrer Überbetonung des Staatsrechtes gegenüber dem Elternrecht, kein Verständnis für den gekennzeichneten pädagogischen Grundbefund aufbringen konnten. Es wird zu keiner gedeihlichen Regelung der Schulfrage kommen, bevor nicht das Naturrecht auf dem Gebiet der Erziehung über naturwidrige Rechtsauffassungen gesetzliche Geltung erlangt. Und erst eine auf der natürlichen Rechtsordnung aufgebaute Schulordnung kann wahre Volksbefriedigung bringen. Diejenigen, die die staatliche Mischschule für ihre Kinder wollen, sollen sie haben; aber man überlasse es auch den christlich gläubigen Eltern, für ihre Kinder die Schule zu wählen, die ihrem Gewissen entspricht. Man darf nicht einwenden, daß eine solche Lösung der Schulfrage den Staat vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten stelle und jedenfalls die Leistungsfähigkeit des Unterrichtes senken werde. Das Beispiel anderer Länder zeigt, daß auch hier das Wahrwort gilt: Wo ein Wille, da ist ein Weg. Ebenso ungültig wie jener Einwand ist der andere, daß ein auf dem Grundsatz des Elternrechtes und der vollen Gewissensfreiheit aufgebautes Schulwesen zu einer Leistungssenkung führen muß. Es ist nicht verständlich, warum es in einer wesentlichen Frage, in deren Beantwortung es auf die Bejahung von Demokratie und Freiheit ankommt, dem österreichischen Sozialismus gar so schwer fallen sollte, dem seit langem gegebenen Beispiel seiner Bruderparteien in England und Holland in derselben demokratischen und freiheitlichen Grundhaltung in der Behandlung der Elternrechte zu folgen.

Das ist die wichtigste Voraussetzung für die Erstellung eines für alle annehmbaren Schulgesetzes; die Anerkennung dieser menschheitlichen Grundtatsache, des Vorranges des elterlichen Erziehungsrechtes vor allen andern, und ganz allgemein der Urrechte der menschlichen Persönlichkeit. So erscheint der Schulkampf nur als ein Teilkampf in dem weltweiten Ringen, in dem jedes Volk und jeder einzelne Erdenbürger heute seine Stellung beziehen muß, im Ringen um die Wahrung oder Wiederherstellung der menschlichen Vollpersönlichkeit.

Es muß zuerst zu einer umfassenden rechtlichen Flurbereinigung kommen. Es müssen die Rechtsbereiche von Persönlichkeit, Gemeinschaft, Staat, Kirche, Familie wieder genau umgrenzt werden. Hier ist eine der vordringlichsten Aufgaben der neugewählten Volksvertretung gegeben. Es soll darüber in allen beteiligten Kreisen volle Klarheit herrschen.

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