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Forschung und Lehramt

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Wenn der Mittelschulabsolvent heute in das Universitätsstudium eintritt, begegnet er zwei großen Schwierigkeiten. Er erhält einmal das Unterrichtsgut in einer zu viel voraussetzenden Form vorgesetzt, die ihm den Ubergang von der Mittelschule zur Hochschule reichlich schwer macht. Wenn er sich nicht gerade der Forschung zuwendet, was heute die Ausnahme geworden ist, erhält er außerdem ein Wissensgut vermittelt, das auf seine künftige praktische Tätigkeit — in der Regel das Lehramt — nicht genügend Bedacht nimmt.

Das ist so. Aber die Universität ist nicht schuld daran. Andererseits darf auch nicht das Absinken des Niveaus der Mittelschule für alle diese Schwierigkeiten allein verantwortlich gemacht werden. Es ist nun -einmal so, daß die heutige Mittelschule die Vorbedingungen zum Weiterstudieren in einem viel weiteren Kreis von Wissenschaftsgebieten als ehedem gibt und daher notwendig für jedes einzelne dieser Gebiete weniger gründlich vorbereitet. Hierin war der Gymnasiast des vorigen Jahrhunderts, besonders was die sprachlichen und historischen Disziplinen anbelangt, besser daran. Dagegen ist nicht zu leugnen, daß er für ein technisches Studium weniger Vorbedingungen mitbrachte, als sie heute der Absolvent jeder beliebigen Mittelschule zur Verfügung hat.

Ein Beispiel aus der Praxis der eben erwähnten sprachlichen und historischen Disziplinen, das wohl auch für andere Gebiete gilt. Der künftige Mittelschullehrer wird in Fragen der Textkritik, der Sprach- und Stilbeurteilung, der Geschichte der Literaturgattungen eingeführt, ohne genügend Sprachkenntnisse für die Bewältigung schwierigerer Texte zu haben, ohne die Übersicht über jene wichtigsten Literaturwerke zu haben, die ihm unausgesetzt zum Vergleich vor Augen geführt werden; das heißt, der Historiker soll die Methodik der Quellenbehandlung lernen, ohne das Tatsachengerüst und die Zusammenhänge zu kennen, aus denen allein die behandelte Quelle verständlich wird.

Es sind daher in der letzten Zeit Vorschläge gemacht worden, welche die ersten Studienjahre mehr einem Wissensstoff vermittelnden Normalunterricht vorbehalten sollen — erst dann soll der • Hörer dem eigentlichen wissenschaftlichen Betrieb zugeführt werden. Parallel damit müßte wohl eine intensivere Prüfimg und Übung der pädagogischen Begabung gehen. Ein heilsamer, ein befreiender Vorschlag. Die Mehrzahl der heutigen Universitätshörer ist ja doch nicht imstande, den Mangel an materialmäßigem Wissen selbständig zu beheben. Der Lehrer wird daher immer wieder gezwungen, Dinge vorzutragen, die er eigentlich voraussetzen müßte. Er empfindet dabei, daß darunter die eigentliche wissenschaftliche Methode des Vortrages leiden muß, und kehrt schließlich nach einigen schwachen Versuchen, einfach materialmäßig zu .lehren“, zur ersteren, ernsten Behandlung des Materials zurück — das unsichere Gefühl inuNacken, daß er damit über die Köpfe hinweg redet. Eine klare Trennung zwischen einem vorbereitenden, materialmäßig lehrenden und einem wissenschaftlichen, methodisch schulenden und synthetische Ubersicht gebenden Studienabschnitt würde daher im Interesse der Ausbildung des künftigen Mittelschullehrers einen großen Fortschritt bedeuten.

Auch für den Forscher? Hier tauchen schon die Schwierigkeiten auf. Für den künftigen Mittelschullehrer mag ein summarischer Einblick in den wissenschaftlichen Betrieb in Form einer etwa zweijährigen Schulung genügen. Vom künftigen Forscher dagegen muß mehr verlangt werden. Jedermann weiß, wie schlecht es derzeit um unseren wissenschaftlichen Nachwuchs bestellt ist. Was würde geschehen, wenn man den Universitätsunterricht auch noch mehr als bisher auf die Erfordernisse des künftigen Mittelschullehrers abstimmte und die eigentliche Forschungsarbeit, von der überhaupt erst nach zwei- bis dreijähriger Einführung gesprochen werden kann, sozusagen dem Privatfleiß und dem autodidaktischen Eifer der künftigen Forscher überlassen würde. Kein Universitätsprofessor darf sich damit zufrieden geben, einen Fachunterricht für Mittelschullehrer allein zu bieten. Der Verzicht auf die eigene wissenschaftliche Arbeit und die

Fortführung der wissenschaftlichen Tradition würde schnell genug auch zu einem Versiegen der Tradition der guten Mittelschule führen und Routine an Stelle von Bildung setzen.

Es gibt also nur zwei Möglichkeiten, um den Schwierigkeiten dieser doppel-geleisigen Aufgabe zu begegnen. Man muß entweder auf den Universitätsunterricht, der im obigen Sinne umgestaltet wird, eine Art .Dozentenschule“ aufsetzen, den englischen .honours grades“ und der französischen .ecole des hautes etudes“ entsprechend, oder aber man muß.mit Beibehaltung des wissenschaftlichen Charakters der Universität vom ersten Studienjahr an, ohne jede Konzession, dem Mangel an Voraussetzungen für den wissenschaftlichen Betrieb durch zusätzliche Lehrkurse in den ersten Semestern begegnen. Es ist klar, daß die erste Lösung die bessere wäre, sowohl für den Mittelschulehrer wie für den künftigen Forscher. Ihre Hauptschwierigkeit besteht darin, daß sie vom künftigen Forscher noch längere Studienzeit, also noch größere materielle Opfer als bisher verlangen würde. Auf der Universität selbst wäre in diesem Fall wohl auch eine beträchtliche £rweiterung des wissenschaftlichen Stabes notwendig, während andererseits die zusätzlichen Kurse der zweiten Lösung auch von Mittelschullehrern abgehalten werden könnten.

So oder so — der augenblickliche Zustand muß geändert werden. Die schwächeren Hörer haben augenblicklich ihr ganzes Studium hindurch zu kämpfen, die für kommende Forschung Geeigneten dagegen schwimmen frühzeitig in den Beruf ab. Wir verlieren diese wertvollen Kräfte, bevor sie noch gründliche Forscherausbidung erhalten haben. Diese wahnwitzige Vergeudung eines geistigen Nationalvermögens können wir uns als armer Staat kaum leisten. Sie zu verhindern, ist ein Gebot der Stunde.

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