„Freier Zugang zur Bachelorstufe!“

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Helga Nowotny, neue Präsidentin des Europäischen Wissenschaftsrates, über den Unmut an Österreichs Unis, die Kritik an Bologna und ihre Karriere.

Seit 1. März steht Helga Nowotny an der Spitze des Europäischen Wissenschaftsrates, über den die EU Spitzen-Grundlagenforschung fördert. Die FURCHE bat die Wiener Wissenschaftsforscherin zum Interview.

Die Furche: An den österreichischen Unis gehen – zeitgleich zum Bologna-Jubiläumsgipfel – die Wogen hoch. Können Sie den Frust der Studierenden nachvollziehen?

Helga Nowotny: Ja und nein. Ja, weil die Bedingungen, unter denen die Studierenden arbeiten, in manchen Fächern wirklich unzumutbar sind. Nein, weil keine vernünftige Diskussion darüber möglich scheint, wie man die Universitäten in Zukunft gestalten soll. Ich selbst meine, dass alle Österreicherinnen und Österreicher ein Anrecht auf freien Hochschulzugang für die Bachelorstufe haben sollen – auch ohne Studiengebühren. Aber in der Master- bzw. Doktoratsstufe sollten beide Seiten – die Unis wie auch die Studierenden – das Recht haben, auszuwählen. Dazu müsste man aber eine Diskussion darüber beginnen, was man eigentlich in der Bachelorstufe vermitteln will. Bisher wurde diese inhaltliche Diskussion in Österreich nicht geführt.

Die Furche: Ein freier Bachelor-Zugang wäre ziemlich das Gegenteil von dem, was die Wissenschaftsministerin plant und was sich auch die Universitäten selbst wünschen, nämlich Zugangsregelungen für alle überlaufenen Fächer …

Nowotny: Mein Vorschlag bezieht sich natürlich auf eine längerfristige Überlegung, die eine Reform des gesamten tertiären Sektors und eine Neugestaltung des Inhalts der Bachelor-Curricula voraussetzt. Das passiert nicht von heute auf morgen. Kurzfristig bleibt wahrscheinlich nichts anderes übrig, als die überlaufenen Fächer zu beschränken oder wenigstens teilweise von den Universitäten zu Fachhochschulen zu verlagern.

Die Furche: Zur Kritik am vielfach überfrachteten Bachelor-Studium kommt häufig die generelle Kritik an „Bologna“ – dass es nämlich nicht mehr um umfassende Bildung, sondern um wirtschaftlich verwertbare Ausbildung gehe …

Nowotny: Bologna ist teilweise bewusst missverstanden, aber auch ganz unterschiedlich implementiert worden. In manchen Ländern ist das glatt über die Bühne gegangen und man hat sich schnell umgestellt, weil man das Positive daran gesehen hat: Man kann im Ausland studieren, ohne mit der Unsicherheit leben zu müssen, ob Zeugnisse bei der Rückkehr angerechnet werden. An der ETH Zürich, wo ich damals tätig war, hat man sich etwa gesagt: Wir bilden Leute aus, die in Zukunft überall hingehen können. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir ihnen diese Möglichkeit eröffnen.

Die Furche: Apropos Zukunft: Die neue Europäische Kommission hat ein Strategiepapier publiziert, wonach bis 2020 mindestens 40 Prozent der Bevölkerung einen Hochschulabschluss haben sollen. Wie realistisch ist dieses Ziel – etwa angesichts einer österreichischen Akademikerquote von 20 Prozent?

Nowotny: Europa ist in diesem Punkt gegenüber den USA insgesamt im Hintertreffen. Bildung wird immer wichtiger, und wenn Europa weltweit seine Position ausbauen will, dann müssen mehr junge Menschen ein Hochschulstudium durchlaufen. Wenn bei der Kommission von 40 Prozent die Rede ist, so wird hier aber natürlich nicht an Master oder Doktoren, sondern an Bachelors gedacht.

Die Furche: Derzeit hängen in Österreich aber noch 87 Prozent der Bachelors ein Masterstudium an …

Nowotny: Das wundert mich nicht, weil das Bachelor-Studium nicht die Erwartungen erfüllt. Man hat einfach die Bologna-Architektur über das alte System drübergestülpt und an den Inhalten nichts verändert. Aber das muss und wird sich ändern.

Die Furche: Sie selbst stehen nun an der Spitze des European Research Councils (ERC), das pro Jahr eine Milliarde Euro für Grundlagen-Spitzenforschung vergibt. Wie ist diese Summe einzuordnen?

Nowotny: Das klingt nach viel Geld, entspricht aber nur 0,5 Prozent der gesamteuropäischen Budgetausgaben für Forschung und Entwicklung. Für das achte Rahmenprogramm (nach 2013, Anm.) würde ich mir schon eine Verdopplung des Budgets wünschen – und könnte dann noch immer guten Gewissens sagen, dass wir nur Spitzenforschung fördern.

Die Furche: Wie viele Frauen sind unter den Geförderten?

Nowotny: Beim Starting Grant für aufstrebende Wissenschafterinnen und Wissenschafter sind es immerhin 27 Prozent. Doch beim Advanced Grant für etablierte Forschende liegen wir bei 14 Prozent, worüber wir sehr enttäuscht sind. Aber das entspricht eben der Durchschnittszahl ordentlicher Universitätsprofessorinnen in Europa.

Die Furche: Bei den Rektorinnen schaut es in Österreich noch schlechter aus: null Prozent!

Nowotny: Ja, leider. Ich wäre in Österreich nie Rektorin geworden!

Die Furche: Woran liegt das?

Nowotny: Ich glaube, in den universitären Leitungsfunktionen herrscht noch ein sehr konservatives, männliches Milieu. In anderen Ländern gibt es auch nicht sehr viele Rektorinnen, aber etwas mehr. Die ETH Zürich hat derzeit übrigens eine Rektorin, die von den anderen Professorinnen und Professoren direkt gewählt wurde.

Die Furche: Sie selbst stehen mit 72 Jahren am Höhepunkt Ihrer Karriere. Wie lange wollen Sie eigentlich noch arbeiten?

Nowotny (lacht): Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt. Man könnte es ja so sehen: Die Frauen müssen einfach länger leben, wenn sie etwas erreichen wollen …

* Das Gespräch führte Doris Helmberger

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